Reisen Sie nach Mallorca, aber bleiben Sie zu Hause!
Der Telepolis-Wochenrückblick mit Ausblick
Liebe Leserinnen und Leser,
am Wochenende hat der Frühling begonnen – wegen eines Bugs im Gregorianischen Kalender allerdings schon am Samstag und nicht wie gewohnt am 21. März. Korrigiert wird die ganze Chose wohl erst im Jahr 2102.
Als nicht ganz so langfristig, aber und dennoch zäh erweist sich das Management der andauernden Corona-Pandemie. Denn während die Natur in Zeiten des zunehmenden Lichts zum Leben erwacht, igelt sich das Land wieder ein. Auch dieses Mal ist schon vor dem Bund-Länder-Treffen am heutigen Montag klar, was beschlossen werden wird: Ein weiterer Lockdown, in den April hinein, wahrscheinlich bis zum 18. des kommenden Monats, womöglich länger.
Vor allem die SPD-regierten Landesregierungen, so sickerte es zum Wochenwechsel an die Presse durch, sprächen sich für eine Rückkehr zu rigideren Corona-Maßnahmen aus.
Die Frage ist, wie lange dieses Spiel so weitergeht. Die Impfungen gegen das Corona-Virus jedenfalls werden – zumindest auf absehbare Zeit – keine Linderung der Lockdown-Pandemie bringen. Nach jüngsten Angaben des Robert-Koch-Instituts sind gerade einmal 3,9 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft, 8,7 Prozent haben zumindest eine Dosis eines Vakzins erhalten. Das kann sich alles also noch hinziehen.
Die Ursache liegt auch, wie man konstatieren muss, in der mangelnden Kompetenz auf Führungsebene. Eines der größten Mysterien dieser Jahrhundertseuche ist nicht die Immunität, R-Wert, Inzidenz oder irgendein Buchstaben-Zahlen-Code einer Virus-Mutation. Das deutsche Corona- Enigma heißt … Jens Spahn.
Der Bankkaufmann steht weiter scheinbar unangreifbar an der Spitze des Bundesgesundheitsministeriums, obwohl er die Impfkampagne bislang weitestgehend in den Sand gesetzt hat, die Firma, für die sein Lebenspartner als Lobbyist arbeitet, dem Spahn‘schen Ressort massenhaft Schutzmasken verkauft hat und die Lage in den Krankenhäusern anhaltend schlecht ist.
Für den Christdemokraten blieb dennoch Zeit, inmitten der für viele andere existenzbedrohenden Krise einen Millionen-Immobiliendeals abzuschließen und die Presse einzuschüchtern, wie Telepolis-Autor Arno Kleinebeckel diese Woche berichtete.
Von Elektro-Autos zu Strom-Folter
Aufreger gibt es aber auch jenseits von Corona - und, nein, jetzt geht es nicht um den Trainer der Fußball-Nationalmannschaft der Männer und seine mögliche Nachfolge. Vorletzte Woche schon zog unser Autor Tomasz Konicz unter dem Titel "Mogelpackung Elektromobilität" eine kritische Bilanz von Elektro-Motoren. Was als Essay der Automobilwirtschaft im Kapitalismus gemeint war, wurde von einigen Umweltbewegten Leserinnen und Lesern offenbar als Plädoyer für den Verbrennungsmotor verstanden und führte in Forum und Netz zu teils heftigen Reaktionen.
An dieser Stelle kann ich Sie beruhigen: Telepolis wurde nicht von der Automobilindustrie gekauft und lässt sich auch nicht von Clickbaiting treiben. Ganz im Gegenteil: Wir werden Trends in Gesellschaft und Technik wie gehabt hinterfragen und Debatten austragen. Daher ist für diese Woche zumindest eine Replik auf den Text geplant. Wir sind gespannt, wie die Diesel- und Benziner-Fans reagieren.
Grund für Kontroverse bietet die Pandemie allemal. An diesem Wochenende haben wir uns daher der Frage gewidmet, "wie die Pandemie Wissenschaft und Lehre bedroht". Anlass dazu war ein Beitrag des Bayern-Korrespondenten des Deutschlandfunks, Michael Watzke, einem für seine Arbeit mehrfach ausgezeichneten Kollegen. Ein Beitrag über den Regensburger Psychologen und Telepolis-Autor Christof Kuhbandner aber warf Fragen auf, wie unser Gegencheck ergab.
Das betraf nicht nur die Zuordnung des Lehrstuhlinhabers für Pädagogische Psychologie VI der Universität Regensburg zum Lager der Corona-Leugner, sondern auch den Vorwurf, er setze bestimmte Corona-Maßnahmen mit dem Milgram-Experiment gleich. Dabei wurde vor Jahrzehnten einmal getestet, wie weit ein Proband bereit ist, einer (tatsächlich fiktiven) Person auf Weisungen hin Schmerzen zuzufügen. Um den Bericht Watzkes einzuordnen, dokumentierte Telepolis sein gesamtes Interview mit Kuhbandner.
Nach Malle, aber nicht zur Familie
Auch in der neuen Woche werden uns die Pandemie-Maßnahmen beschäftigen, vor allem die skurrilen Widersprüche. So wurde der Deutschen liebste Urlaubsinsel Mallorca aufgrund einer niedriger Positiv-Rate bei Corona-Tests für den Reiseverkehr freigegeben. So ganz scheinen die Entscheidungsträger in Berlin der Sache aber doch nicht zu trauen: Wer aus Mallorca zurückkommt, soll dennoch verpflichtend getestet werden oder gar in Quarantäne.
Und während die ersten Ferienflieger auf die Baleareninsel starten, warnte Vizekanzler Olaf Scholz: "Aus meiner Sicht sollte es zu Ostern besser keine große Reisewelle geben." Damit hat die Regierung die Lage vor den anstehenden Feiertagen für ihre Bevölkerung auf die übliche Weise geklärt. Als Faustregel gilt: Fliegen Sie nach Palma oder Cala D’Or an den Strand, aber besuchen Sie auf keinen Fall Ihre Verwandten im nächsten Bundesland! Das wäre unverantwortlich!
Im Schatten all dieses Irrsinns treiben Autokraten, Geheimdienste und andere Freiheitsfeinde ihr Unwesen. In der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Nacht zu Samstag ein Dekret erlassen, um den Austritt aus der sogenannten Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen zu erwirken. Juristen stellen die Legalität des Erlasses in Frage.
Die Istanbul-Konvention war 2011 vom Europarat vorgestellt worden. Staaten, die dem Abkommen seither beigetreten sind, verpflichten sich, Frauen vor Gewalt zu schützen und entsprechende Gesetze zu erlassen. Ziel ist eine "echte Gleichstellung von Frauen und Männern". Telepolis wird das Thema am heutigen Montag noch einmal aufgreifen und Hintergründe liefern, nachdem wir die Debatte in der Türkei schon mehrfach abgebildet haben. Was sagt eigentlich die Bundesregierung zum Gebaren des Nato-Parters Türkei.?
Neues bei Telepolis
Widmen werden wir uns in dieser Woche noch einmal einem Bericht des National Intelligence Council, der Koordination US-amerikanischer Geheimdienste. In der vergangenen Woche hatte die New York Times berichtet, Russland habe sich bei der US-Wahl 2020 nach Ansicht der US-Geheimdienste für den damaligen Präsidenten Donald Trump eingesetzt und sich bemüht, dessen Herausforderer Joe Biden zu schaden sowie Unfrieden im Land zu stiften.
Wer die öffentliche Version des Dokuments liest, kommt ins Grübeln. Belege werden nicht angeführt, auch Hinweise auf sichere Erkenntnisse sucht man vergeblich. Stattdessen: Mutmaßungen, Nebelstocherei, Konjunktive. Und Absätze wie:
We assess foreign cybercriminals probably did not work to interfere or influence the US elections on behalf of or at the direction of a nation state. We have low confidence in this assessment. We assess that some cybercrime groups probably operate with at least the tacit approval of their nation state hosts.
Hat wohl kaum jemand gelesen. Wir schon. Die Analyse folgt.
Bei Telepolis freuen wir uns auf einige inhaltliche und personelle Neuerungen. Dieser Wochenüberblick ist Teil davon. Zum Redaktionsteam demnächst mehr. Zum Inhalt: Wir werden stärker auf das Forum eingehen. In Planung ist eine Kolumne mit dem Arbeitstitel "Drei Fragen aus dem Forum", die derzeit konzipiert wird. Dafür arbeiten wir enger mit dem Moderatorenteam und dem hauptamtlichen Teamleiter zusammen.
Darüber und über weitere Entwicklungen bei Telepolis lesen Sie von nun an wöchentlich.
Bis dahin, bleiben Sie uns gewogen, Ihr