Republikaner holen auf

Auch bei einem Sieg der Demokraten bei den Kongresswahlen wird es keine drastischen innen- oder außenpolitischen Kurswechsel geben

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Nachdem der letzte Wahlkampftag mit einer Flut von Parteiwerbung auf allen medial verfügbaren Kanälen zu Ende ging, werden sich heute um die 40 Prozent der amerikanischen Wählerschaft an die Wahlurnen begeben. Umfragen ließen erkennen, dass die Republikaner ihren Abstand auf die Demokraten in der Wählergunst am Wochenende auf einige Prozentpunkte verringern konnten.

Neben der Nachricht von der Todesstrafe für Saddam Hussein, die am Montag die Wahlkampfberichterstattung verdrängt hatte (Todesurteil gegen den Diktator), dürfte ein weiterer Grund für die recht erfolgreiche Aufholjagd der Republikaner an einer neuen Methode bzw. an der Intensität der Wählermobilisierung liegen. In Dutzenden von Staaten mit Kopf-an-Kopf-Rennen klingelten am Sonntag und Montag die Telefone gleich mehrfach hintereinander mit automatisierten Nachrichten (MP3-Beispiele). Tenor: Auf keinen Fall den Demokraten xy wählen, er geht nicht in die Kirche, will Terroristen dieselben Rechte gewähren wie dem gesetzestreuen amerikanischen Bürger etc... Der "telephone blitz", der vom National Republican Congressional Committee bezahlt wurde, führte umgehend zu Beschwerden der Demokraten, die die Verletzung der Bundeskommunikationsgesetze und schlichtweg Belästigung beanstandeten. Doch zu spät – die Gerichte werden sich erst nach den Wahlen damit befassen.

Trotz dieser "get-out-the-vote"-Taktiken und trotz des finanziellen Vorsprungs der Republikaner (US-Wahlen mit November-Überraschung?) sagten sämtliche Umfragen eine Kräfteveränderung im Kongress voraus - die Übernahme des Repräsentantenhauses durch die Demokraten. Dramatische Kursänderungen in der Innen- und Außenpolitik sind selbst bei einer zusätzlichen Übernahme des Senats durch die Demokraten nicht zu erwarten. Doch immerhin dürften sich die politischen Spielräume, etwa für einen Truppenrückzug aus dem Irak, etwas erweitern.

Die innenpolitischen Initiativen, die ein demokratisch dominierter Kongress in die Wege leiten würde, sind wenig umstritten und würden sich unter Umgehung größerer Scharmützel mit den Republikanern zunächst auf das Machbare konzentrieren. Unmittelbar nach der Konsolidierung der Ausschüsse würde die neue Mehrheit die Anhebung des staatlich garantierten Mindestlohns, die Stopfung der größten Löcher im öffentlichen Krankenversicherungssystem "Medicare" oder die staatliche Unterstützung der Stammzellenforschung gesetzlich zu verankern versuchen, jeweils in der Hoffnung, ein Großteil der Öffentlichkeit sowie ein Maximum an moderaten Republikanern würde zustimmen. Diese populären "mom-and-apple-pie"-Maßnahmen wären in der Tat relativ leicht durchführbar.

Doch eine Initiative, die der Irakpolitik eine Abweichung von der Bush-Doktrin des "stay the course" abverlangen würde, wäre sofort ein Streitpunkt. In dieser Hinsicht hat die Führung der Demokraten mit ihrer Haltung nach dem Motto "Lasst die Republikaner selbst daran scheitern" bislang recht behalten. Doch die zu erwartende und beabsichtigte Kontrolle über außenpolitische Schlüsselausschüsse wird der Partei die Formulierung einer klaren Strategie abverlangen, die sie bislang vermissen ließ. Bislang existieren dazu erst Szenarien. Keines davon ist innerparteilich mehrheitsähig. Das gesamte Washingtoner Establishment wartet auf einen Bericht und dessen Empfehlungen, die vom Kongress in Auftrag gegeben wurden und in den Wochen nach den Wahlen von der überparteilichen Baker-Hamilton-Kommission veröffentlicht werden sollen.

Vier Vorschläge, allesamt in den vergangenen Monaten von führenden Demokraten formuliert, kursieren indessen. Der Abgeordnete John Murtha aus Pennsylvania hatte für ein sofortiges "redeployment" aus dem Irak plädiert. Gleichzeitig stellt sich Murtha eine "schnelle Eingreiftruppe" im Kuwait sowie die fortgeführte Präsenz der Marines vor. Unterstützt wird der Vorschlag vom Fraktionschef der Demokraten im Senat, Harry Reid, und weiteren führenden Demokraten. Der Ex-Präsidentschaftskandidat und Senator John Kerry sowie sein Kollege Russ Feingold rufen zur Erstellung eines Zeitplans für einen Truppenrückzug bis zum 1. Juli 2007 auf, der zwischen den USA und dem Irak ausgehandelt werden soll, und zu einem internationalen Irakgipfel nach dem Vorbild der Daytoner Verhandlungen. Kerry plädiert darüberhinaus für die Verlagerung von mindestens 5.000 US-Soldaten aus dem Irak an die afghanisch-pakistanische Grenze.

Rechtslastige Demokraten wie Senator Joseph Lieberman und Senatorin Hillary Clinton weigern sich, Alternativszenarien zu entwerfen und stellen bei sanfter Kritik an der Bush-Regierung die angebliche "Terrorgefahr" für die USA in den Vordergrund. Clinton forderte Pentagonchef Rumsfeld wegen "Führungsschwache" zum Rücktritt auf. Eine vierte Option schwebt dem Senator aus Delaware Joseph Biden vor, "drei starke Regionen mit einer begrenzten, aber wirksamen Zentralregierung".

Biden und Leslie Gelb vom "Council of Foreign Relations" führten ihre Vorstellung von einem entsprechenden "bipartisan redeployment" in einem Beitrag für das "Wall Street Journal" genauer vor. Der gegenwärtige Kriegskurs der Bush-Regierung widerstrebe den nationalen Interessen der USA als auch beider Parteien: "Republikaner wollen keinen Präsidentschaftswahlkampf 2008 mit dem Irak im Nacken. Demokraten wollen keine Präsidentschaft 2009 mit der Aussicht, den Krieg zu verlieren". Die Mehrzahl der US-Truppen müsse innerhalb der kommenden 18 Monate aus dem Irak abziehen, ohne ein Chaos zu hinterlassen. Die Empfehlungen der Baker-Hamilton-Kommission nach den Wahlen seien als Grundlage für eine verbindliche, parteiübergreifende Irakpolitik zu nehmen.