Todesurteil gegen den Diktator
Irak: Die letzte Karte für Bush
„And swing he shall“: Das Todesurteil, das gestern über Saddam Hussein verhängt wurde, war voraussehbar; für viele stand es bereits seit längerem fest. So gab auch Premierminster Maliki schon einen Tag vor der Urteilsverkündung via Fernsehen an seine Landsleute die Warnung aus: „Freut euch nicht zu sehr.“
Doch trotz Ausgangssperre und verstärkten Sicherheitsmaßnahmen brach Jubel über das Urteil in großen Teilen der irakischen Bevölkerung aus. Auch international fand der Richterspruch mehrheitlich Beifall - selbst von Ländern, deren Einstellung zur Todesstrafe eigentlich ein Lob verbieten müsste. England z.B., das Unterzeichner der europäischen Initiative zur Abschaffung der Todesstrafe ist.
Typisch für das Verfahren gegen Saddam Hussein, das immer wieder zur Farce geriet und viele Ungereimtheiten und Paradoxien aufzeigte. Und vielleicht auch typisch für die generelle westliche Zugangsweise zum Irak, die dort den Forderungen nach „Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit“ zum Trotz viele Gelegenheiten zum Vorwurf zweifacher Maßstäbe und der Doppelmoral liefert.
Es ist allerdings auch anmaßend über das Urteil zu richten und sich dabei über die vielen Opfer der „Republik der Angst“ unter Saddam Hussein hinwegzusetzen. Die Freude von Kurden und Schiiten und auch von Sunniten – so einfach ist es nicht mit der Aufteilung des Irak - über den Urteilsspruch ist verständlich. Bislang ist das Urteil noch nicht rechtsverbindlich. Der Einspruch erfolgte automatisch, das Kassationsgericht muss den Spruch bestätigen. Dennoch gibt es Spekulationen, wonach das Todesurteil innerhalb weniger Monate vollstreckt werden könnte.
Nicht die einzige Spekulation, die sich um das Urteil rankt. Angesichts deutlicher Parteinahmen – nicht nur in Tikrit – zugunsten des abgesetzten Tyrannen drehen sich die meisten um die Frage, welche Auswirkungen das Urteil für die Fraktionskämpfe im Land haben wird, im besonderen für den militanten Widerstand aus den Reihen der Sunniten. Dass er durch das Urteil eingedämmt würde, glauben wohl nur die wenigsten. Der Dynamik von Racheakten, die dem schwelenden Bürgerkrieg unterliegt, wird das Todesurteil eher weiteren Treibstoff zufügen.
Brisant ist jene Spekulation, welche auf den Kern der Unabhängigkeit der Vertreter des souveränen Irak von der Besatzungsmacht USA zielt. Gemunkelt wird, dass das Timing des Urteils im Zusammenhang mit dem amerikanischen Wahlkampf stünde: Zwei Tage vor der Kongresswahl liefere das Todesurteil dem amerikanischen Präsidenten eine gute Vorlage, um das Steuer für seine Partei noch einmal herumzureißen, so die Mutmaßung. Und tatsächlich nutzt Bush die Gelegenheit, ähnlich wie bei seinem Präsidentschaftswahlkampf das Osama-Bin Laden-Tape, um noch einmal bei der amerikanischen Wählerschaft mit einem „historischen Meilenstein“ im Kampf gegen den Terror zu punkten – unter donnerndem Beifall seiner Anhängerschaft.
Egal wieviel Druck die amerikanische Regierung auf das Saddam-Tribunal tatsächlich ausüben konnte, um das Urteil zeitgerecht für eigene Zwecke verarbeiten zu können, die Frage ist, ob die amerikanische Wählerschaft noch einmal gewillt ist, den Illusionen der Regierung Bush Glauben und Vertrauen zu schenken. Die Wahlkampf-Catch-Phrase von Bush zum Urteil lautet: “Saddam Hussein’s trial is a milestone in the Iraqi people’s efforts to replace the rule of a tyrant with the rule of law.” Sie zeigt einmal mehr eine bizarre Beschönigung und Verzerrung irakischer Verhältnisse - „Rule of law?“ Wo im ganzen Land herrscht anderes Gesetz als das der Willkür, der Gewalt und der Anarchie?
Angesichts amerikanischer Hoffungen, die man mit dem Waffengang im Irak verbunden hatte, zeigt die irakische Realität, in der das Urteil (das ja eigentlich schon mit der Gefangennahme Saddam Husseins im Dezember 2003 (vgl. Saddam Hussein festgenommen) feststand) jetzt gefällt wurde, wie weit man von den ursprünglichen Zielen abgekommen ist.
Während man etwa zu Weihnachten 2003 noch von irakischen Bloggern lesen konnte, dass sie sich auf das Verfahren gegen Saddam Hussein freuen, weil er dadurch endlich gezwungen werde, die ganze Wahrheit über seine Gewaltherrschaft und seine Verbrechen am Volk zu offenbaren, liest man in Blogger-Reaktionen zum gestrigen Urteil vor allem Enttäuschung. Über den jetzigen Zustand des Landes, über das Versagen der Besatzung, über das Ausbleiben von Wahrheitsfindung. Die letzte Spitze des Postings von Riverbend gegen die Besatzer mag im Vergleich zu den täglichen Ungeheuerlichkeiten im Irak harmlos sein, doch für den ursprünglich anvisierten „neuen, freien, demokratischen Irak“ spricht sie Bände: Lokale Fernsehsender, die Pro-Saddam-Demonstrationen zeigten, wurden geschlossen und von irakischen Sicherheitskräften durchsucht.
Das Gerichtsverfahren gegen den früheren Tyrannen hätte zu einem wichtigen Teil der Vergangenheitsbewältigung im Irak (einschließlich der Beziehungen, die der Westen mit dem Tyrannen vormals pflegte) werden können. Sie wird jedoch in den Stadtvierteln von Bagdad und in anderen Städten längst auf andere Art exekutiert. Das ist der große Schatten, den der bisherige Prozess auf die Befreiung des Irak wirft; von einem Triumph kann demnach nicht die Rede sein.