Revolution gewählt
Venezuelas Präsident Hugo Chávez ist für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt worden
Am Steuer eines leuchtend roten VW-Käfers und sichtlich gut gelaunt fuhr Venezuelas Präsident Hugo Chávez am Sonntagvormittag in Caracas zur Wahl vor. Hunderte Anhänger und ausländische Gäste erwarteten den Staatschef im Stadtteil 23 de Enero, einer Hochburg der "bolivarischen Revolution", die am Sonntag mit deutlicher Mehrheit bestätigt wurde. Mit einem Vorsprung von drei Millionen Stimmen, über rund 25 Prozentpunkte, konnte sich der Staatschef am Ende des Tages durchsetzen. Mehr als seinen Anhängern ist nun seinen Gegnern klar, dass an Chávez kein Weg mehr vorbeiführt.
Mit Spannung wurde die Reaktion der Opposition um den Sozialdemokraten Manuel Rosales erwartet. In den Tagen und Wochen vor der Wahl hatten einige seiner Bündnispartner wiederholt erklärt, dass sie einen Wahlsieg des Amtsinhabers nicht anerkennen werden (Orange Revolution in Caracas?).
Entsprechend gespannt war die Stimmung in Caracas am Sonntagnachmittag, als Mitglieder Rosales' Wahlteams begannen, "erhebliche Unregelmäßigkeiten" zu beklagen. Der Kandidat berichtete in den privaten Fernsehsendern, dass die Wahlmaschinen, als Stimmen für ihn abgegeben wurden, ihren Dienst versagt hätten. Wenige Stunden später war von all dem keine Rede mehr. "Ich erkenne die Wahl an", erklärte der Gouverneur des nordwestlichen Bundesstaates Zulia gegen 22 Uhr.
Unkomplizierter Ablauf der Wahl verhindert Proteste
Der Entscheidung war offenbar ein Richtungsstreit zwischen dem Parteienbündnis um Rosales vorhergegangen. Mit seinem für viele überraschenden Eingeständnis der Niederlage beendete er diese Debatte zwar abrupt, provozierte vor laufenden Kameras aber enttäuschte und wütende Reaktionen - bis hin zu derben Beschimpfungen.
Regierung und Opposition war klar, dass mit der Stellungnahme Rosales' jeglichen Protestplänen gegen einen vermeintlichen Wahlbetrug ein jähes Ende gesetzt wurde. Teile der Opposition hatten ein solches Vorgehen sorgsam vorbereitet, indem sie ihre Anhänger durch offensichtlich unrealistische Wahlvorhersagen glauben machten, dass Rosales in Führung liege. Weil ein Sieg der Gegenseite nur durch Wahlbetrug zustande kommen könne, seien Proteste notwendig. Dass Rosales dieses Spiel nicht mitmachte, war die eigentliche Überraschung des Wahlabends.
In seinem Kampagnensitz war die Spaltung der Opposition am Wahlabend offensichtlich. Julio Borges, der Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia, die während des Putsches im April 2002 eine führende Rolle gespielt hatte, war dort schon seit dem Nachmittag nicht mehr gesehen worden.
Zu dem Eingeständnis hatte aber nicht nur die Entscheidung des Oppositionskandidaten beigetragen, sondern auch das Wahlsystem. Erstmals wurde in den wichtigsten Bundesstaaten Wahlmaschinen der Firma Smartmatic als Teil eines Wahlprozesses eingesetzt, der kaum anfechtbar war. Nach der Abgabe der Stimme, die in der Maschine digital gespeichert und zugleich auf Papier gedruckt wurde, erhielten die Wähler einen zweiten Beleg, mit dem sie ihr Votum kontrollieren konnten. Diesen Ausdruck warfen sie in eine Wahlurne ein. Schließlich wurde jeder Wähler anhand einer Wahlliste des Lokals, in dem er gemeldet war, identifiziert und musste seine Teilnahme per Unterschrift bestätigen. In der Mehrzahl der Wahllokale waren überdies Vertreter der Regierung und Opposition anwesend. Diese Zeugen kontrollierten Teilnehmerzahl und rechtmäßigen Ablauf. Die Funktionalität des Systems wurde auch den internationalen Beobachtern von vier Missionen bestätigt.
Herausforderungen auf beiden Seiten
Nach einer Reihe strategischer Fehler steht die venezolanische Opposition vor einer schwierigen Situation. Weil die radikalen Teile im vergangenen Dezember einen Boykott der Parlamentswahlen durchgesetzt hatten (Erdrutsch- oder Pyrrhussieg?), sind die Regierungsgegner im Parlament bis auf weiteres nicht vertreten. Schwer wiegt auch der Ansehensverlust, weil mit dem Ausgang der Abstimmung nicht nur die Kräfteverhältnisse, sondern auch die Manipulation der Umfragen deutlich wurden. Zwar kündigte Rosales am Wahlabend an, weiter für eine Mehrheit zu kämpfen. Mit einem labilen und in Teilen diskreditierten Parteienbündnis wird das aber kaum möglich. In seinem Bundesstaat Zulia wird er sich zudem einem Abwahlreferendum stellen müssen.
Aber auch die Regierung steht vor großen Herausforderungen. Chávez' Partei "Bewegung Fünfte Republik" (MVR) ist bislang Teil eines parlamentarischen Zweckbündnisses. Schon vor der Wahl haben der Präsident und andere ranghohe Regierungsmitglieder die Gründung einer Einheitspartei des Regierungslagers angekündigt.
Das Ansinnen geht auch auf den Druck der Basis zurück, weil zwischen Anspruch und Wirklichkeit des bolivarischen Prozesses in Venezuela mitunter eine breite Kluft liegt. Zwar wird die demokratische Beteiligung der Bevölkerung durch Stadtteilräte und eine Reihe von Instrumenten zur direkten Einflussnahme inzwischen gewährleistet. In den Parteien hat sich das Prinzip der partizipativen Demokratie aber noch nicht herumgesprochen. Juniorpartnern wie der Patria Para Todos wird vorgeworfen, den politischen Prozess von oben kontrollieren zu wollen, auch um an den staatlichen Pfründen zu sitzen. Am Tag nach der Wahl wurde, wie angekündigt, eine Debatte um Korruption begonnen.
Dass es die Regierung mit den gesetzten Regeln auch in den eigenen Reihen ernst nimmt, wurde am Montag offensichtlich. Vor der Abstimmung hatte der Nationale Wahlrat mit Blick auf die regierungsfeindlichen privaten Fernsehsender nachdrücklich mit Sanktionen gedroht, falls am Wahlabend vorab Resultate bekannt gegeben werden. Am Ende war es der von der venezolanischen Regierung mitbegründete internationale Fernsehsender Telesur (Mediale Gegenmacht), der gegen die Regeln verstieß. Einer unmittelbaren Polizeiaktion folgte die politische Konsequenz: Informationsminister Willian Izarra musste seinen Posten räumen.
Zukunft der bolivarischen Revolution
Nachdem mit Chávez auch der politische Prozess bestätigt wurde, ist ein qualitativer Schritt zu erwarten. In den vergangenen Jahren ging es der Regierung maßgeblich darum, den Großteil der marginalisierten Bevölkerung politisch und sozial wieder zu integrieren. Die Sozialprogramme, vor allem in Bildung und Gesundheit, sind die sichtbaren Teile der Politik. Das Programm Misión Identidad sorgte dafür, dass die Menschen in den Armenvierteln erstmals in das Melderegister aufgenommen werden, einen Ausweis, und damit das Recht auf die Beteiligung an den Wahlen erhalten haben. Mit sichtbarem Erfolg: Seit den frühen Morgenstunden reihten sich die Menschen in die Schlangen vor den Wahllokalen ein. Die Wahlbeteiligung lag mit gut 75 Prozent höher als in manchen europäischen Ländern.
Die eigentliche Herausforderung liegt für die Regierung in der Wirtschaftspolitik. Durch die Mehreinkünfte aus dem beständig hohen Ölpreis konnte bislang zwar eine großzügige Sozialpolitik finanziert werden. Erklärtes Ziel der Regierung Chávez ist es aber, die Erdölrente für die Entwicklung einer neuen Binnenwirtschaft zu nutzen. Für eine nachhaltige Veränderung der Wirtschaftsstruktur sind tiefgreifendere Reformen als bislang notwendig.
Gerade die Kräfte an der Basis der "bolivarischen Revolution" weisen darauf hin, dass eine neue Wirtschaftspolitik unter den gesetzten Kriterien zwingend auch die Struktur des Staates verändern muss. Neben anderen drängt der Gewerkschaftsdachverband UNT auf eine Verfassungsreform, durch die der sozialistische Charakter des venezolanischen Staates festgelegt und das Verhältnis der Institutionen entsprechend verändert wird.
Die Aktivisten führen ein Paradoxon an, das unlängst auch die britische Tageszeitung Guardian beschrieben hat: Während in Venezuela vom Sozialismus geredet wird, werden die Reichen immer reicher. Weil das auch im Land wahrgenommen wird, will die Regierung nach der Wahl nun eine Reihe Reformen durchsetzen. Kurzfristig gehört dazu der Abbau der Bürokratie.
Offenbar will die Regierung aber auch den staatlichen Aufbau neu organisieren. "Wir kennen bislang nur Präsidenten und Minister", sagte der Präsident dazu vor der Wahl. Es gebe aber viele Alternativen zu dieser "klassischen Struktur", so Chávez, der auf kritische Nachfragen beschwichtigte: Jede Reform müsse sich im Einklang mit der Verfassung befinden und werde zudem in einem Referendum zur Entscheidung gestellt.