Rewind the Myth

Superhelden neu erfunden

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Die X-Men hatten den Anfang gemacht, dann kam Spiderman und brachte die ganze Lawine erst ins Rollen. Hollywood hat die Superhelden von Marvel und DC entdeckt und bringt seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts die Helden reihenweise ins Kino bzw. DVD-Presswerk. Egal ob Spiderman, Daredevil, Catwoman oder der Hulk – zurück zum Ursprung ist das Motto der Verfilmungen. Trashige Kostümrangeleien sind im wahrsten Sinne des Wortes von gestern. Eine neue Ernsthaftigkeit und Innerlichkeit prägt den modernen Superheldenfilm.

Es wird schwer, im Kino an den Comicverfilmungen mit Superhelden vorbeizukommen. Batman flattert gerade durch den Projektor, die Fantastischen Vier warten nur noch darauf, endlich verstrahlt zu werden – besonders der Comic-Verlag Marvel war unter der Führung des in Fankreisen legendären Stan Lee in den letzten Jahren erfolgreich dabei, seine Superhelden an Hollywood zu lizensieren – in diesem Jahr neben den Fantastischen Vier auch Elektra, ursprünglich aus der Feder von Frank Miller und der dritte Teil von "Blade". Zusammen mit Christopher Nolans "Batman Begins" also vier Superheldenfilme in einem Jahr. Der Marvel-Trailer mit den grob gerasterten Comicseiten ist mittlerweile schon so häufig im Kino und auf DVD zu sehen, dass Warner Brothers nun eine ähnliche Sequenz mit dem Logo von DC-Comics vor "Batman Begins" geklebt haben.

Frappierende Gemeinsamkeiten

So unterschiedlich die Superheldenfilme seit 2000 stilistisch auch sein mögen, es gibt einige frappierende Gemeinsamkeiten. Ganz auffallend tun alle neuen Verfilmungen so, als ob es zuvor noch nie eine andere Adaption ihrer Vorlagen auf die Leinwand gegeben hätte. Sam Raimis "Spiderman" knüpfte ja neben den Comics allenfalls an die TV-Serie aus den 70er Jahren mit Nicholas Hammond als Peter Parker bzw. Spiderman an. Die liegt nun so lange zurück, dass die Erinnerung daran gründlich verblasst war. Ähnlich war auch die Situation bei Ang Lees "Hulk" – die 70er-Jahre Serie mit Bill Bixby und Lou Ferigno schien ebenso wenig existiert zu haben; auch wenn Lou Ferigno einen Cameo-Auftritt als Bodyguard in Ang Lees Film hatte. Andere Charaktere wie "Daredevil" oder "Elektra" waren zuvor noch nie verfilmt worden – selbstverständlich, dass man dann auch am Anfang beginnt.

Gänzlich auffällig wird dies jedoch bei "Batman Begins". Die Filmversionen von Tim Burton und Joel Schumacher sind im Handel ohne weiteres erhältlich). Aber auch Christopher Nolan geht in dem neuesten Batman-Film ganz an den Anfang der Figur zurück und ignoriert die ersten vier Filme komplett. Und dieses "zurück zu den Ursprüngen" geht auch einher mit der Art der Filmhandlungen. Es geht nämlich auch in den Kopf und damit in die Psyche der Helden.

Es begann an dem Tag, an dem ich starb

Wie lebt es sich mit Superkräften? Diese Frage steht im Zentrum. In "X-Men" und X2;;www.imdb.com/title/tt0290334 lernen Mutanten unterschiedlicher Couleur in einem Internat, mit ihren besonderen Fähigkeiten umzugehen. Der Held der beiden Filme, Wolverine, befindet sich ganz explizit auf einem Selbsterfahrungstrip. In Sam Raimis erster "Spiderman"-Verfilmung wird der Superheld von seinem Gegner, dem Grünen Goblin, mit der Frage konfrontiert, warum er sich denn für die "normalen Menschen" einsetze, die ihn am Ende doch nur fallen sehen wollten. In Teil zwei versucht Peter mehr oder weniger gut sein Privatleben mit dem Leben als Spiderman zu kombinieren und schlittert in eine Existenzkrise. Batman muss die Traumata seiner Kindheit überwinden und Catwoman erzählt über sich ganz am Anfang des Filmes:

It all started on the day that I died. If there had been an obituary, it would have described the unremarkable life of an unremarkable woman, survived by no one. But there was no obituary, because the day that I died was also the day I started to live. But that comes later. This was my life. Days blended together, consistently ordinary, thanks to a job that was the practical version of my passion. I was supposed to be an artist by now. Instead, I was designing ads for beauty cream.

Ein drittes Merkmal geht mit dieser Rückbesinnung auf den Ursprung und die Innerlichkeit einher – eine auffallende Ernsthaftigkeit mit einem teilweise zynischen Humor. Die Zeiten, in denen Adam West und Bury Ward im bunten Kostüm mit visuellem "Crunch!" und Capow! ihre Gegner in schrägen Kameraeinstellungen vermöbelten oder Nicholas Hammond für Actionszenen wirklich aus dem Hochhaus gehängt wurde sind vorbei. Als Kostüme sind Lack und Leder angesagt, statt munterem Gerangel zwischen Gut und Böse sind die Rollen nun nicht immer so einfach definiert.

Catwomans Erwachen, nachdem sie von Sharon Stone durch den Ausguss gespült wurde, ist zwar auch ein Akt der Emanzipation – aber gleichzeitig wird sie auch zur Juwelendiebin. Der Mutant Nightcrawler aus "X2" entpuppt sich schnell als eine gequälte Seele; und Ras Al Ghuls Kreuzzug gegen das Verbrechen in "Batman Begins" ist aus Verzweiflung an der Welt geboren. Im Superheldenkino menschelt es fast ohne Grenzen. Und warum?

Schwierige Geburten

Gründe für diese auffällige Häufung von Comicverfilmungen mit Superhelden lassen sich viele finden. Zuallererst natürlich darf man nicht vergessen, dass Filme, zumal Big-Budget-Streifen, aus einem Grund gemacht werden – sie sind Investitionen, die Profit bringen sollen. Und Superheldenfilme scheinen beim Publikum etwas anzusprechen, das die Leute ins Kino bzw. den DVD-Laden (oder auch in die Tauschbörsen) zieht. Angesichts des Comic-Marktes stellt sich die Frage: Was macht diese Filme denn so anziehend, denn seit den 90er Jahren stagniert der Markt für Superheldencomics. Die ehemaligen Erzrivalen Marvel und DC sahen sich zeitweise sogar dazu gezwungen, ihre Figuren in einen Topf zu werden und im Marvel-DC-Crossover gegen und miteinander antreten zu lassen. Etliche Versuche, die Figuren zu aktualisieren oder durch ungewöhnliche Wendungen der Geschichten wieder interessanter zu machen, so musste Superman sterben und Batman wurde das Rückgrat gebrochen, zogen nur kurzfristig neue Leser an. Die Marvelverfilmungen haben in der Regel schon eine lange Vorgeschichte mit wechselnden Regisseuren – so wollte eigentlich James Cameron "Spiderman" verfilmen – oder es geschah wie im Fall der Fantastischen Vier, dass ein Film gedreht wurde, der nie veröffentlicht werden sollte, damit die Filmrechte an den Comicfiguren nicht verfallen. Die Warner Studios hatten DC schon in den 70er Jahren aufgekauft, und der Verlag hängt vor allem wegen der Namensrechte an Helden wie Superman und Batman am Warner-Tropf. Die möchte Warner angesichts des Erfolgs der Marvelverfilmungen natürlich behalten und selbst ausschlachten.

Eine kurze Geschichte der Superhelden

Jedoch erklären diese wirtschaftlichen Gründe noch nicht, warum sich so viele Leute von dieser Art von Filmen angesprochen fühlen, so dass Warner und Columbia immense Budgets für Spiderman und Co. lockermachen. Ein Blick zurück in die Geschichte der Superheldencomics ist hierzu hilfreich. Supermans erster Auftritt in dem Heft "Action Comics" Nr. 1 aus dem Jahr 1938 gilt als die Geburt der Superhelden. Normalerweise waren das Helden mit übermenschlichen Kräften, die sie für "das Gute" einsetzten und die sie normalerweise hinter einer Tarnidentität versteckten. Wenn etwa Gefahr drohte, sprintete Clark Kent zur nächsten Telefonzelle und kam in Windeseile als Superman wieder heraus, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Superman zog rasch viele weitere Superhelden nach sich. In den 40er Jahren kämpften viele von ihnen in den Comics im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis. Nach dem Sieg der Alliierten über das Dritte Reich, sank dann auch wieder das Interesse an Geschichten mit Superhelden – das Ende der goldenen Ära war besiegelt.

Die zweite Phase begann 1961. Nachdem sich eine kleine Renaissance der Superheldencomics abgezeichnet hatte, veröffentlichten der Autor Stan Lee und der Zeichner Jack Kirby die erste Geschichte mit den Fantastischen Vier. In dieser Serie legten sie neben Action auch jeweils ihr Augenmerk auf die Charaktere und ihre persönlichen Konflikte. Superkräfte waren nicht mehr nur eine bewunderte Gabe sondern oft auch ein Fluch. Dadurch eröffneten sich den Autoren viele Möglichkeiten für Geschichten, die die Charaktere selbst ernster nehmen. Höhepunkt waren die "Daredevil"-und "Elektra"-Comics von Frank Miller.

Während der Kalte Krieg sich mal erhitzte, dann wieder ein wenig abkühlte, gingen bei den Superhelden langsam die Lichter aus. Frank Millers "The Dark Knight Returns" deutete den Batman-Mythos neu, indem er den dunklen Fledermausritter als alternden Helden zeigte, der am Ende als öffentliche Gefahr gilt und sich mit Superman, nur mehr eine Marionette der Politik, duelliert. "Ich bin Politikum", reüssiert Batman im Endkampf mit Superman, "und du ein Witz!". Schonungsloser und treffender könnte die Lage der Superhelden in den 80er Jahren nicht dargestellt werden. Kein Wunder, dass sie nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zunächst ausgedient hatten und angesichts der mageren Verkaufszahlen in den 90er Jahren dabei waren, aussortiert zu werden. Die Autoren und Zeichner reagierten darauf, indem sie die Geschichten und Zeichnungen noch greller machten, alt gediente Helden erst sterben ließen, dann neu erschufen. Aber ohne eine äußere Bedrohung wie den Nazis im Zweiten Weltkrieg oder der Sowjetunion im Kalten Krieg wurden auch keine Superhelden mehr gebraucht.

In den 90er Jahren wurden Internet-Startups und der NASDAQ-Index wichtiger als Dr. Doom. Osama bin Laden war bis zum 11. September 2001 mehr ein Thema für Sicherheitsinsider. Als Symbol der Popkultur, das in den Nachrichten und auf Postern und T-Shirts weltweite Verbreitung fand, existierte der arabische Millionär mit der sanften Stimme bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Bezeichnenderweise rollte die große Welle an Superhelden erst nach dem Anschlag auf die Zwillingstürme ins Kino. Wenn auch wie bei "X-Men" und "Spiderman" die Planung für den Film schon vorher begonnen hatten.

Stabilität in unsicheren Zeiten

Offensichtlich gibt es einen Zusammenhang zwischen politisch unsicheren Zeiten und Geschichten mit Superhelden. Besonders deutlich wird dies in den Comics aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, in denen "Captain America" oder "Flash" bzw. "Der rote Blitz" (aber auch Micky Maus!) gegen Hitler kämpften. Der Marvel-Ära fällt mit der Kubakrise 1962 zusammen, als die Welt kurz vor einem nuklearen Krieg stand. Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden Superhelden uninteressanter, bis sie nach dem 11. September ins Kino gebracht wurden.

Superheldengeschichten greifen also aktuelle Diskurse auf, die sie in einer bestimmten Art verarbeiten – nämlich als Vereinfachung. An den Comics ist diese Tendenz zur Vereinfachung schon wiederholt kritisiert worden und als Verflachung gebrandmarkt. So war in den 40er Jahren neben den Superheldencomics in den USA und Großbritannien auch eine Reihe von Spionagefilmen gedreht worden, in denen die Spione (natürlich meist Nazispione) sich als unbescholtene Bürger getarnt hatten. Der freundliche Herr Kaiser von nebenan – womöglich ein blutrünstiger Nazi nach Feierabend? Figuren wie Superman oder Captain America boten eine Projektionsfläche, um die eigenen Ängste durch eine externe Figur bekämpfen zu können. Dies kann auch durch den Kalten Krieg hindurch verfolgt werden. Die Vereinfachungen wurden dabei kontinuierlich zurückgefahren und die Eindeutigkeit der Rollenzuteilung in Gut und Böse aufgeweicht.

Dies wird gerade in "X-Men" von Bryan Singer deutlich. Er erzählt, wie unerkannt unter uns Menschen leben, die durch Mutation übermenschliche Eigenschaften haben, und die für ihre Anerkennung als gleichberechtigte Bürger kämpfen. In den 70er Jahren konnte man in der Comicserie eine Allegorie auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung und die "Black Panthers" sehen. Nach dem 11. September drängt sich eine andere Lesart auf. Die Mutanten können auch als Symbol für die Al Qaida-Schläfer gesehen werden, die zunächst unerkannt sind, aber dann plötzlich Wolkenkratzer in Schutt und Asche legen. Diese Furcht vor dem Nachbarn kommt in einer Szene der Fortsetzung, "X2" besonders deutlich zum Ausdruck.

To Overcome Fear You Have to Become Fear

Nach dem Angriff von Colonel Stryker auf Prof. Xaviers Schule nimmt Wolverine die drei Nachwuchsmutanten Rogue, Pyro und Iceman in Schutz. Sie suchen zunächst Zuflucht bei den Eltern von Iceman – und schnell wird klar, dass der Rest der Familie gar nicht wusste, welche Fähigkeiten ihr Sohn hat, dass er "anders" ist. Icemans Bruder ruft aus Eifersucht heimlich die Polizei, während die Eltern gar nicht wissen, ob sie sich freuen oder fürchten sollen. Beim Eintreffen der Polizei brennt sich der hitzköpfige Pyro seinen Weg frei.

In dieser für den weiteren Verlauf des Films nur wenig relevanten Szene fließen viele verschiedene Themen aus dem Komplex "Angst" zusammen. Gerade in dieser Vielschichtigkeit der Szene zeigt sich, was für ein cleverer Regisseur Bryan Singer ist. Es gelingt ihm eine Balance zu finden, sodass die Szene nicht zugunsten einer der beiden Gruppen ins Kippen gerät. Beide Seiten, die normale Gesellschaft, repräsentiert durch die Eltern und die Polizei, und auch die Fremden, hier als Mutanten dargestellt, erscheinen dem Zuschauer verständlich – auch wenn das Publikum hier wohl eher mit den Mutanten, den Helden des Films als mit den Eltern mitfiebert.

Das Thema "Angst" zieht sich durch alle modernen Comicverfilmungen, wenn auch nicht immer so deutlich wie in "Batman Beginns", in dem die Angst selbst zum Leitthema wird. Der britische Regisseur Christopher Nolan schließt Batman damit an seine vorherigen Filme "Memento" und "Insomnia" an, in denen die Helden jeweils mit ihren psychischen Defekten ringen – Leonard in "Memento" hat ein geschädigtes Kurzzeitgedächtnis und Detective Will Dorner aus "Insomnia" kämpft gegen seine Schlaflosigkeit. In "Batman Beginns" ist es nun die Phobie vor Fledermäusen, die aus Bruce Wayne Batman macht. Angst ist der Motor, der alle Figuren des Films antreibt – bis sich Gotham am Ende durch das Nervengift von Jonathan Crane alias Scarecrow und Ra‘s Al Ghul vor Angst beinahe selbst zerfleischt.

Relevante Projektionen

Durch diese Projektionsflächen erhalten Batman, Spiderman und Co. ihre Relevanz. Denn bezeichnenderweise sind gerade die Superheldenfilme, die diese Ängste nicht oder zu wenig ansprechen, an der Kinokasse hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Ang Lees "Hulk" war, trotz aller Anspielungen auf Wissenschaftler, die ethische Bedenken beiseite schieben, eine künstlerische Nabelschau. Auch wenn der Film weit besser als sein Ruf ist – Drehbuch und Regie griffen die Themen, die in der Luft lagen, nicht genügend auf.

Ebenso hat auch Pitofs "Catwoman" einen schlechten Ruf, den der Film nicht verdient. Hinter den teilweise missratenen Digitaleffekten und der Thunfisch mampfenden Halle Berry verbirgt sich ein ziemlich vielschichtiger Film, der die Themenkomplexe Feminismus, Femme Fatale und Schönheitsindustrie auf phantasievolle und mitunter sehr sensible Weise miteinander verbindet. Aber damit hatte der Franzose Pitof auf die falsche Katze respektive das falsche Pferd gesetzt.