Rezession aufgrund von Sparpolitik ist "unvermeidbar"

Die EU-Kommission beschäftigt sich derzeit mit eigenen Plänen für eine europäische Wirtschaftsregierung

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Angela Merkel hat sich mit ihren Plänen für eine europäische Wirtschaftsregierung viele zum Gegner gemacht. In der EU fühlen sich vor allem kleinere Staaten vom unabgesprochenen Vorpreschen des deutsch-französischen Duos Merkel-Sarkozy überrannt. Und auch im Bundestag stößt das Vorgehen auf Kritik. Sowohl in Europa als auch im Bundestag sollen demokratische Prinzipien ausgeschaltet werden, so der Vorwurf der Parlamentarier. Noch am vergangenen Donnerstag, so kritisierte der europapolitische Sprecher der Grünen, Manuel Sarrazin, sei den Abgeordneten erklärt worden, dass es kein Papier über einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit gebe. Das angeblich nicht existente Dokument ist jedoch mittlerweile im Internet aufgetaucht.

Doch auch die EU-Kommission beschäftigt sich mit dem Thema Wirtschaftsregierung und arbeitet derzeit eigene Vorschläge aus, wie diese aussehen könnte. Im Europäischen Rat soll zudem bis zum 15. März eine gemeinsame Position zu diesem Thema beschlossen werden, die Grundlage als Grundlage für Verhandlungen mit dem EU-Parlament dienen soll. Dies erklärte gestern Abend Markus Schulte (CDU), der der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen in der Europäischen Kommission angehört, bei einem Fachgespräch der Grünen Bundestagsfraktion in Berlin. Schulte, der vor allem die ungenügende Haushaltskonsolidierung in wirtschaftlich guten Zeiten kritisierte, erläuterte den bisherigen Stand der Überlegungen zur Wirtschaftsregierung.

So sei beabsichtigt, den Stabilitäts- und Wachstumspakt weiter zu stärken. Dies soll über die Einführung eines "Prinzips vorsichtiger Haushaltspolitik" geschehen, wonach das Ausgabenwachstum künftig so gestaltet werden soll, dass es eine vorsichtige Schätzung der Wachstumserwartungen des jeweiligen Staates nicht überschreitet. Diese Maßnahme soll helfen, die Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu halten. Weiterhin gehört es zur vorsichtigen Haushaltspolitik, dass künftig dem Schuldenkriterium mehr Gewicht beigemessen werden soll, frühere und automatische Sanktionen sollen die Staaten zur Einhaltung des Stabilitätspaktes zwingen. Sanktionen sollen künftig vom Europäischen Rat mit einer qualifizierten Mehrheit innerhalb von zehn Tagen abgelehnt werden müssen, so die Vorstellungen in Brüssel. Bisher muss der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit Sanktionen zustimmen.

Neu eingeführt werden soll ein Rahmen für Mindeststandards in der Haushaltspolitik. Noch bevor die Nationalstaaten in ihren jeweiligen Parlamenten Haushalte beschließen, sollen vorher auf europäischer Ebene Empfehlungen abgegeben werden. Strikte Ausgabenkontrolle auch in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten soll offenbar ein wesentliches Merkmal der Wirtschaftsregierung werden - in diesem Punkt liegt der aktuelle Arbeitsstand in der EU mit dem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit nicht weit auseinander, der ebenfalls eine Verschärfung des Stabilitätspaktes bis spätestens Ende Juni fordert und eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in allen Mitgliedsstaaten in der Verfassung festschreiben will.

Weiterhin sehen die bisherigen Planungen eine strenge Regelung zum Schuldenabbau vor. Jedes Land soll künftig verpflichtet werden, jenen Teil der öffentlichen Verschuldung, der oberhalb von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt, innerhalb von 20 Jahren in gleichmäßigen Teilen abzubauen. Da die Verschuldung innerhalb der EU deutliche Unterschiede aufweist und die wirtschaftliche Lage in den jeweiligen Ländern nicht berücksichtigt wird, birgt diese starre Regel wirtschaftlichen Sprengstoff. Wenn gleichzeitig alle EU-Mitglieder ihre "übermäßigen" Defizite um 1/20 pro Jahr zurückfahren, um den Stabilitätspakt zu erfüllen, könnte sich die EU geradewegs in eine Rezession hineinsparen.

Der Volkswirtschaftler Sebastian Dullien, der beim Fachgespräch ebenfalls anwesend war, hat deshalb Bedenken. Lediglich wenn es von außen tolle Wachstumsimpulse gäbe, könnte der Abbau des Schuldenstandes in Europa ohne größere Schäden vonstatten gehen. Dies sei aber unwahrscheinlich, so Dullien. Realistischer ist seiner Meinung nach, dass dies zu einer Beschädigung des Wachstums, dem Abbau wirtschaftlicher Kapazitäten und letztlich zu Langzeitarbeitslosigkeit führen würde. Politisch festgelegte Konsolidierungspfade seien meist schlecht, so der Volkswirt. Zudem bestehe die Gefahr, dass auf Kosten der Zukunft gespart wird. Bei Infrastruktur und Bildungsausgaben ließe sich leichter sparen als beispielsweise bei bestehenden Renten. Dullien kritisierte zudem die 60-Prozent-Grenze des Stabilitätspaktes. Diese sei willkürlich gewählt und nicht wissenschaftlich begründbar.

Schulte erklärte, der Abbau des Schuldenstandes solle so wachstumsfreundlich wie möglich erfolgen. Allerdings werde es unvermeidbar sein, dass einige Länder durch eine Rezession gehen müssen. Eine Alternative zum Schuldenabbau sieht der CDU-Politiker nicht.

Tobt ein Kulturkampf hinter den Kulissen in Brüssel?

Allerdings ist eine strenge Haushaltspolitik nicht das einzige Element einer Wirtschaftsregierung, wie sie derzeit in Brüssel verhandelt wird. Auch die in der Vergangenheit oft kritisierten ökonomischen Ungleichgewichte sollen zu einem wichtigen Thema werden. Werden makroökonomische Unterschiede zu groß, soll es künftig Sanktionen geben. Anhand eines Scoreboards, in welches sowohl makro- als auch mikroökonomische Faktoren einfließen sollen - unter anderem auch die Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite, welches für jeden Indikator Warnschwellen enthält -, sollen Probleme festgestellt werden. Die Indikatoren sollen dabei an aktuelle Entwicklungen angepasst und erweitert werden können.

Zu Sanktionen führt das Scoreboard selbst jedoch nicht, vielmehr werden erst nach einer vertieften Analyse gegebenenfalls Empfehlungen für ein Land ausgesprochen. Sollten diese mehrfach nicht eingehalten werden, folgen Sanktionen. Weiterhin sieht der bisherige Beratungsstand eine Verschärfung der europäischen Bankenaufsicht vor.

Immerhin, das Problem der großen wirtschaftlichen Ungleichgewichte, welches sich in hohen Exportüberschüssen auf der einen Seite und negativen Bilanzen auf der anderen Seite äußert, ist in der EU angekommen. In welche Richtung die endgültige Entscheidung nun gehen wird, ist allerdings noch offen. Nach welchen Kriterien genau wirtschaftliche Ungleichgewichte bewertet werden sollen, steht noch nicht endgültig fest.

Thomas Fricke von der Financial Times Deutschland vermutet, dass hinter den Kulissen in Brüssel derzeit ein Kulturkampf tobt, in den Bundeskanzlerin Merkel mit "gruseligen Vorschlägen" wie dem Wettbewerb um günstige Lohnstückkosten, der Einführung der Schuldenbremse oder der Erhöhung des Renteneintrittsalters eingreifen will. Wenn prozyklische Wirtschaftspolitik nichts bringt, dann bringe auch die Verschärfung des Stabilitätspaktes nichts. Das sei vielmehr ein Symbol für die Finanzmärkte, welches nur so lange funktioniert, wie diese daran glauben.

Eine Schwächung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit, beispielsweise durch Lohn- und Abgabenerhöhungen, um für eine Angleichung der Leistungsbilanzen und wirtschaftliche Chancengleichheit in der EU zu sorgen, wird Deutschland, welches über Jahre hinweg eine exportzentrierte Politik praktiziert hat, wohl nicht akzeptieren.

Gleichzeitig laufen sowohl die Vorschläge des Pakts für Wettbewerbsfähigkeit als auch die Ideen in der Kommission darauf hinaus, mit Schuldenabbau und strenger Haushaltskontrolle eine prozyklische und damit krisenverschärfende Wirtschaftspolitik zu forcieren. Dabei lobt selbst Schulte die expansive Politik, die Deutschland mit seinem Konjunkturprogramm in der Finanzkrise betrieben hat. Sie sei eine gute Brücke über die zeitweilige Exportschwäche der deutschen Wirtschaft gewesen, so Schulte. Künftig soll diese Brücke allerdings anderen Ländern versperrt werden.