Risikoreicher siebenminütiger Höllenritt zur Marsoberfläche

Seite 2: Lautloser Abschied

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Läuft die erste Sequenz des Abstiegs nach Plan, wird am Montagmorgen die so genannte Cruise Stage nach 254-tägiger Reise den Planeten Mars erreichen. Nach dem interplanetaren Parforceritt und einer zurückgelegten eindrucksvollen Strecke von 567 Millionen Kilometern, ist das Schicksal der ringförmigen und im Durchmesser vier Meter großen Cruise Stage endgültig besiegelt. Bereits zehn Minuten vor der Ankunft am berechneten Eintrittspunkt segnet die Marschstufe das Zeitliche.

Begleitet von einem lautlosen Knall, die zehn gezündete Pyroladungen verursachen, trennt sich das Aluminium-Modul von seiner wertvollen Fracht und verglüht größtenteils in der Marsatmosphäre.

Das Aeroshell mit dem Rover im Gepäck kurz vor dem Eintritt in die Mars-Atmosphäre, so wie ein Künstler sich die Szene ausgemalt hat. Bild: NASA/JPL-Caltech

Fortan ist die Eintrittskapsel inklusive ihrer wertvollen Last ganz auf sich alleine gestellt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr - weder für die Sonde selbst noch für die Missionskontrolleure, die keine Möglichkeit der Intervention mehr haben. Für die nächsten mindestens 6,15 bis maximal 7,66 Minuten ist die Nabelschnur zum Jet Propulsion Laboratory und zu allen anderen Empfangsstationen vollends durchtrennt. Von diesem Zeitpunkt an manövriert Curiosity völlig autark und muss auf das Minuten zuvor aktivierte "Guidance, Navigation and Control System" des Rovers vertrauen, das die autonomen Operationen durchführt.

Start der Atlas V-Rakete mit der wertvollen Fracht an Bord. Bild: NASA/Ken Thornsley

Dabei gestaltete sich doch die Zusammenarbeit seit dem Start mit einer Atlas V-Trägerrakete eigentlich recht gut. Am 26. November 2011 hievte das Trägersystem von Cape Canaveral im US-Bundesstaat Florida die Fracht problemlos ins All. Während die ringförmige Marschstufe den Funkkontakt mit dem Deep Space Network (DSN) aufrecht erhielt, die Sonde mit elektrischer Energie versorgte und die Steuertriebwerke kontrollierte, schlummerte an der Spitze des Marschmoduls die in dem zweiteiligen Hitzeschild eingebettete Aeroshell, die Landeeinheit, vor sich hin, ohne Blessuren zu erleiden.

Massiver und massiger Hitzeschild

Blessuren hingegen in Kauf nehmen muss der vordere Hitzeschild spätestens dann, wenn er am Montag zusammen mit der Landeeinheit in rund 131,1 Kilometer Höhe mit einer Geschwindigkeit von 5,9 Kilometern pro Sekunde über den Grund des Gale-Kraters, dem Zielgebiet, in die Mars-Atmosphäre eintaucht. Mit einer Größe von 4,5 Metern übertrifft er sogar die Hitzeschilder der Apollo-Raumkapseln der Mondmissionen um zirka 50 Zentimeter.

Aeroshell und Hitzeschild (oben). Bild: NASA/JPL-Caltech

Bevor das Hitzeschildsystem überhaupt gefordert wird, muss zunächst einmal ein anderes wichtiges Manöver gelingen. Knapp sechs Minuten vor dem Eintritt in die Atmosphäre gilt es, zwei Gewichte von jeweils 75 Kilogramm abzusprengen, deren ursprüngliche Aufgabe darin bestanden hat, den Schwerpunkt der Abstiegskapsel während der gesamten Mission auf der Rotationsachse zu stabilisieren.

Bild: NASA/JPL-Caltech

Um die Rotation vollends zu stoppen, zünden die acht Manövertriebwerke des Abstiegsmoduls für einige Sekunden, bis der passende Eintrittswinkel erreicht ist und der Hitzeschild seine Position eingenommen hat.

Beim Eintritt in die Planetenatmosphäre sammeln die Sensoren Daten über die Dichte, Temperatur, Windstärke und das vorgesehene Landegebiet, eine Ellipse von 7 mal 20 Kilometer. In dieser Phase kann der Bordcomputer im Notfall noch bis zu drei Kurskorrekturen vornehmen.

Der Gale-Krater, an dessen Rand Curiosity landen soll. Die kleine eingezeichnete Ellipse ist die Zielregion (20 x 7 Kilometer groß). Gale hat einen Durchmesser von 154 Kilometer und entstand vor 3,5 Milliarden Jahren. In seiner Mitte befindet sich der Mount Sharp, der ungefähr 5,5 Kilometer in die Höhe ragt. Für Curiosity eignet sich diese Region, da dort viele verschiedene Sedimente und Gesteinsschichten vorhanden sind, in denen möglicherweise Restspuren von Leben zu finden sind. Mindestens zwei Jahre lang soll der Rover die Böden und die Atmosphäre en detail erforschen. Bild: NASA/JPL-Caltech/ESA/DLR/FU Berlin/MSSS

Beim Abstieg steuert der Flugcomputer auch die acht Manövertriebwerke. Einmal aktiviert, ermöglichen sie den Flug von S-Kurven innerhalb der Mars-Atmosphäre. Auf diese Weise können Anflugwinkel und Landegeschwindigkeit der Sonde besser kontrolliert und eine Landung präziser durchgeführt werden.

Mehr als eine Minute nach dem Atmosphäreneintritt glüht der vordere Hitzeschild hell. Hierbei muss die Außenhülle des Hitzeschildes Temperaturen bis zu 2100 Grad Celsius überstehen. Aufgrund der enormen Reibung verringert sich die Geschwindigkeit von Curiosity weiter.

Größter "interplanetarer" Fallschirm

Nach dem Abwurf weiterer Gewichte von jeweils 25 Kilogramm "knallt" es erneut. Mithilfe einer Sprengladung öffnet sich bei einer Fallgeschwindigkeit von 400 Metern pro Sekunde 255 Sekunden nach dem Eintauchen in die Mars-Atmosphäre der Überschall-Hauptfallschirm. In elf Kilometer Höhe entfaltet sich der 16 Meter große Bremsfallschirm, der laut NASA der größte und stärkste "interplanetare" ist, der jemals entworfen und produziert wurde und dem Neunfachen der Erdbeschleunigung standhält.

Schnappschuss des Mars Reconnaissance Orbiter vom 25. Mai 2008 von der absteigenden Phoenix-Sonde. Man erkennt deutlich den Bremsfallschirm und das Landemodul. Ob von Curiosity ebenfalls ein solcher Schnappschuss gelingt? Der Versuch soll jedenfalls mit der HiRISE-Kamera unternommen werden. Bild: NASA/JPL/University of Arizona

Kurz darauf wird der vordere Hitzeschild weggesprengt. Während sich in dieser Phase die Landeeinheit mit 125 Metern pro Sekunde dem noch acht Kilometer entfernten Marsboden nähert, misst das Landeradar-Instrument TDS fortwährend den relativen Abstand zur Oberfläche und die Geschwindigkeit der Sonde. Zeitgleich sammelt die MARDI-Abstiegskamera Daten von dem Landegebiet und leitet diese - wie das TDS - an den Bordcomputer weiter.

NASA/JPL-Caltech

Nach dem 80-sekündigen Fallschirm-Intermezzo wird der zweite Hitzeschild mitsamt der Fallschirmeinheit abgeworfen. In dieser Phase befindet sich die Sonde in einer Höhe von etwa 1,5 Kilometer und nähert sich mit 100 Meter pro Sekunde der Oberfläche. Jetzt treten die acht Bremstriebwerke der Abstiegsstufe in Aktion - mit voller Wucht.

Bild: NASA/JPL-Caltech

Zünden und funktionieren sie planmäßig, verringert sich die Geschwindigkeit des Moduls auf 75 Zentimeter pro Sekunde. Es sind nur noch zwölf Sekunden bis zum Touchdown. Und doch folgt nunmehr das vielleicht anspruchsvollste Manöver der gesamten Mission, bei dem der so genannte Sky Crane zum Einsatz kommt.

Bild: NASA/JPL-Caltech

Während sich von den acht Triebwerken vier ausschalten, balanciert sich das Landemodul 18,6 Meter über der Marsoberfläche horizontal aus. Drei aus Polyamidverbindungen bestehende Kabel seilen sodann den 799 Kilogramm schweren Rover langsam ab - Zentimeter für Zentimeter, bis zur vollen Abspullänge von 7,5 Metern. Ein weiteres Verbindungsseil garantiert den Datentransfer.

Undank ist der Welten Lohn - hiervon können in der Raumfahrt insbesondere Trägerraketen, Zubringer, Marschstufen respektive Versorgungsmodule ein Liedchen singen, werden sie doch nach getaner Arbeit in der Regel einfach weggesprengt und ihrem Schicksal überlassen. Dies gilt auch für das Landemodul mitsamt Sky Crane, das kontrolliert zum Absturz gebracht wird. Bild: NASA/JPL-Caltech

Dass der Sky Crane in Aktion tritt, erfolgt aus gutem Grund. Denn nur wenn die Bremsraketen einen Mindestabstand zum Marsboden halten, lässt sich das Eindringen von aufwirbelndem Staub in die Elektronik oder Sensoren des Rovers verhindern.

Curiosity, der kleinwagengroße Roboter, ist vollgestopft mit Elektronik und Sensoren bzw. Computern. Ausgerüstet mit zehn wissenschaftlichen Instrumenten avanciert er zum Geologie- und Chemielabor. Er kann bestenfalls indirekt Spuren von ehemaligem Leben in Gestalt von organischen Molekülen auf dem Mars nachweisen, keineswegs jedoch Lebensformen direkt aufspüren. Mehr hierzu im nächsten Beitrag … Bild: NASA/JPL-Caltech

Parallel hierzu entfaltet der Rover sein Fahrgestell und bringt die sechs Räder in Landeposition. Nur noch wenige Meter bis zum Aufsetzen des Marsgefährts. Zirka 15 Sekunden nach dem Sky-Crane-Manöver berühren sie den Marsboden, woraufhin sich die Verbindungsleinen lösen. Der Sky Crane kappt die Seile. Zeitgleich zünden die vier Triebwerke der Landeeinheit erneut und katapultieren das Modul in einem Winkel von 45 Grad 150 Meter in seitlicher Richtung und damit aus der Landezone. Zurück bleibt Curiosity …