Rösler sucht wirtschaftliche Zusammenarbeit mit as-Sisi

Ägyptens Stabilität ist das Gravitationszentrum in der Region, so der WEF-Managing Director

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Es war ein Gespräch nicht ganz auf Augenhöhe. Der frühere deutsche Wirtschaftsminister scheint den Gebetsfleck auf der Stirn des Retters Ägyptens zu fixieren, statt ihm in die Augen zu schauen. So zeigt es die Momentaufnahme des gestrigen Treffens zwischen Philipp Rösler und Abdel-Fattah as-Sisi. Nun laufen Gespräche in einer von vielen Signalen bestimmten Atmosphäre ab, die kippen kann, so könnte es als störendes Zeichen der Unhöflichkeit aufgefasst werden, wenn einer den anderen mit dem Blick in die Augen fixiert. Und unhöflich wollte Rösler bestimmt nicht sein.

Als vor noch nicht so allzu langer Zeit, im Januar 2013, Ägyptens frühere Präsident Mohammed Mursi den damaligen Bundesminister für Wirtschaft und Technologie in Berlin besuchte, erklärte Rösler Journalisten, woran er den Gesprächspartner aus den Reihen der Muslimbrüder verlässlich "erinnern" werde: den politischen Lehrsatz nämlich, dass wirtschaftliche Investitionen nur denkbar seien, wenn Kairo die Achtung der Menschenrechte garantiere.

Wirtschaftlichen Erfolg für Ägypten wird es allerdings auf Dauer nur geben, wenn auch gesellschaftliche Freiheit herrscht.

Als Kriterien der Freiheit nannte er Menschenrechte und Religionsfreiheit.

Jetzt bekleidet Rösler kein Regierungsamt mehr, sondern, seit Dezember 2013, den Posten des Managing Director beim World Economic Forum (Rösler zieht in die Schweiz). Damit kommen ihm neue Freiheiten zu. Menschenrechte muss man nicht mehr notwenigerweise ansprechen.

Grund dazu hätte es gestern gegeben: Wie an anderen Orten der Welt auch werden sich viele in Kairo gefragt haben, wie der Prozess, der in Oberägypten zu 683 Todesurteilen gegen Muslimbrüder geführt hat, ohne dass Anwälte gehört wurden, zu vereinbaren ist mit einer ordentlichen Rechtssprechung, die doch eigentlich ein Grundpfeiler für die innere Stabilität eines Landes sein soll.

Der Polizeistaat hat ein Imageproblem

Hätte sich der WEF-Direktor ein genaues Bild von der Situation des Landes verschaffen wollen und sich etwa nach der "revolutionären Jugend" erkundigen, die as-Sisi in den Tagen der Absetzung Mursis als Pfeiler der Zukunft Ägyptens pries - und als treibende Kraft hinter Mursis Fall (vgl. Ägypten: Die bezahlte Revolution) -, so hätte ihm das gestern verkündete Verbot der "Bewegung des 6. April" einen guten Anlass geboten.

Das Verbot erlaubt der Regierung - ähnlich wie im Fall des Verbotes der Muslimbrüder - , sämtliche Besitztümer und Vermögen der Oppositionsbewegung, die schon unter Mubarak aktiv war, zu konfiszieren und Mitglieder wie Sympathisanten ohne große Begründungsanstrengung festzunehmen.

Ägyptens Führung verhält sich wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl so, dass sie jeder europäischen oder westlichen Maßgabe einer demokratischen Grundordnung verhöhnt. Bzw., um die Brutalität, mit welcher der autoritäre Polizeistaat-Kurs eingeschlagen wird, angemessen zu übersetzen: Sie ohrfeigen sie. Ägyptens Machthaber halten von demokratischen Werte derzeit so viel, wie dies Prügel, Gefängnisstrafen, Folter und Todesurteile für Abweichler und Verbote für missliebige Organisationen erzählen.

Damit einher geht ein Imageproblem, das besonders westliche Touristen irritiert. Der Wirtschaft geht es, auch durch das Ausbleiben dieser Einnahmen, miserabel. Der Finanzminister droht damit, staatliche Subventionen für Treibstoff und andere subventionierte Güter zu kürzen. In Ägypten steht ein Sparprogramm an. Die Bevölkerung ist beunruhigt, was sich auch an den vielen Streiks zeigt, die "den nächsten Präsidenten herausfordern".

Finanzielle Hilfen zur Unterstützung im Kampf gegen den Extremismus

Ägypten braucht finanzielle Hilfen. So löst sich ein Rätsel: Was für einen Wahlkampf bestreitet eigentlich as-Sisi?, war in den letzten Tagen in ägyptischen Zeitungen zu lesen. Man sehe ihn kaum in der Öffentlichkeit. Die Antwort: As-Sisi trifft sich mit wichtigen Leuten im Hintergrund. Zum Beispiel mit Rösler, als Vertreter des WEF. Sisi wünscht sich Zusammenarbeit, die ihn wirtschaftlich unterstützt - und in seinem "Kampf gegen den islamistischen Terror", zu dem er die Niederschlagung der politischen Opposition aus den Reihen der Muslimbrüder für das globale Parkett auffrisiert hat.

Die internationale Gemeinschaft muss darauf achten, was im Nahen Osten passiert, um der Ausweitung des Extremismus zu entgegnen, der zu einer wirklichen Bedrohung der regionalen Sicherheit und Stabilität geworden ist.

As-Sisi im Gespräch mit Rösner, zitiert nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Mena

Die Antwort des WEF-Managing Directors auf den Casting-Text des Präsidentschaftskandidaten für die CNN-BBC-al-Arabija-Öffentlichkeit wird leider nur fragmentarisch wiedergegeben. Al-Ahram zitiert Rösler mit der Einschätzung, dass Ägyptens "politische und wirtschaftliche Stabilität das Gravitationszentrum der Region Naher Osten" sei.

Heißt wohl, ist ein Land nur groß genug und als Wirtschaftspartner und Markt attraktiv, so kommt es vor allem darauf an, den stabilisierenden Kräften, in dem Fall dem Militär, zu helfen, egal, wie diese genau operieren. Mehr will man nicht wissen. Bis die "ägyptische Straße" wieder alle überrascht?