Rüstung im Deutschland-Tempo: Bundesregierung plant massiven Schub für heimische Industrie
Die Regierung plant massive Förderung der Rüstungsindustrie. Eine neue Strategie soll Hindernisse abbauen. Wie weit wird der rote Teppich ausgerollt?
Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, der deutschen Rüstungsindustrie massiv unter die Arme zu greifen. Um dies zu gewährleisten, wird aktuell an einer "Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie" gearbeitet, deren Entwurf kürzlich bei Politico veröffentlicht wurde.
Dort werden viele der seit einiger Zeit zirkulierenden Vorschläge und Forderungen aufgegriffen, um der Rüstungsindustrie den roten Teppich auszurollen.
Zwar handelt es sich bei den meisten Vorhaben zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch um wenig mehr als Absichtsbekundungen, sollten aber auch nur Teile davon umgesetzt werden, dürfte dies der "Sicherheits- und Verteidigungsindustrie" (SVI) erheblichen Rückenwind verschaffen.
Vorläufer und SPD-Vorlage
Neu sind die Ambitionen zur Stärkung der deutschen Rüstungsindustrie natürlich nicht – direkte Vorläufer des aktuell zirkulierenden Papiers sind das "Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland" vom Juli 2015 sowie das im Februar 2020 veröffentlichte "Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie".
Schon in der 2015er-Variante wurde dem "Erhalt nationaler verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien" eine zentrale Bedeutung zugemessen und eine entsprechend Liste mit schützenswerten Fähigkeiten vorgelegt, die in der 2020er-Version noch einmal erweitert wurde.
Zwar wurden schon damals auch Maßnahmen wie eine europäische Bündelung und eine "exportpolitische Flankierung der Verteidigungsindustrie" sowie einige andere Maßnahmen ins Spiel gebracht, die neueren Überlegungen reichen aber nun weit darüber hinaus.
Einen Vorgeschmack, wohin die Reise gehen würde, erhielt man spätestens im Juli 2024, als die SPD-Bundestagsfraktion das Positionspapier "Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa" vorlegte. Prominent wird dort beispielsweise klargestellt:
Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist nicht irgendeine Industrie; es ist die Aufgabe der Bundesregierung und des Parlaments, die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz dieses heimischen Industriezweiges, im Sinne der nationalen und europäischen Sicherheit, zu garantieren. Leitend dürfen dabei nicht Marktmechanismen sein, sondern Sicherheitsinteressen, Werte und Normen.
SPD-Positionspapier: S. 1
Schon seit einiger Zeit ist zudem beobachtbar, dass staatliche Beteiligungen an Rüstungskonzernen wieder Konjunktur haben – auch dieser Trend soll forciert werden:
Um Schlüsseltechnologien zu halten und deren Proliferation besser zu kontrollieren, sollten staatliche Beteiligungen des Bundes an Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie im Einzelfall (mit Sperrminorität) erwogen werden.
SPD-Positionspapier: S. 6
Weiter werden baurechtliche Hürden und andere Hemmnisse ins Visier genommen:
Dies schließt beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren ein und erlaubt es einzuschreiten, falls nationale Sicherheitsinteressen durch kommunales Planungsrecht konterkariert werden.
SPD-Positionspapier: S. 2
Und schließlich wird auf das Vorhalten großer Produktionskapazitäten und eine Bevorratung gesetzt:
Durch Abnahmegarantien und langfristige Verträge müssen Planungssicherheit und Anreize für Unternehmen geschaffen werden, in ihre Produktionskapazitäten zu investieren. Diese sind notwendig, um ein Produktionsniveau an Munition, Verschleißteilen und Gerät aufzubauen, das dem Ziel der Bevorratung gerecht wird und für Krisenfälle entsprechende Aufwuchsreserven bereithält.
SPD-Positionspapier: S. 2
Ausweitung der Schlüsseltechnologien
Ursprünglich sollte die "Nationale Sicherheits- und Verteidigungsstrategie" noch vor der Sommerpause erscheinen, nun wird irgendwann im September angepeilt.
Angefertigt wird das Dokument unter der Federführung des Wirtschaftsministeriums unter dem selbsternannten grünen "Rüstungsindustrieminister" Robert Habeck, aber auch andere Ressorts, vor allem Finanzen und Verteidigung sind involviert.
Und in der Tat reflektiert das Dokument stark die Präferenzen des Pistorius-Ministeriums, und es übernimmt viele Forderungen des Positionspapiers der SPD-Bundestagsfraktion. Schon im Mai 2024 schrieb die Wirtschaftswoche einen Ausspruch von Pistorius aufgreifend, die Strategie solle ein "'Deutschland-Tempo' für die Rüstung ermöglichen."
Nun ist also ein weit fortgeschrittener Entwurf ins Internet gelangt. Demzufolge solle die Rüstungsindustrie in die Lage versetzt werden, "skalierfähig" zu sein, was bedeute, den Bedarf nach Rüstungsgütern in "Qualität und Quantität schnell und gesichert zu decken".
Auch hier stehen weiterhin die "Schlüsseltechnologien" im Zentrum der Überlegungen:
Unter verteidigungsindustriellen Schlüsselindustrien sind technologische und technische Kompetenzbereiche zu verstehen, die zur Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit und Versorgungssicherheit der Bundeswehr und unter Gesichtspunkten der technologischen Souveränität unabdingbar sind.
Nationale Sicherheits- und Verteidigungsstrategie, Entwurf, Stand: 12.8.2024
Zentrale Kategorien
Schon das 2020er-Papier führte drei Kategorien ein, die nun auch in der Neufassung beibehalten wurden: Als "Global" wurden Technologien eingestuft, die keinerlei Beschränkungen unterliegen und problemlos im Ausland beschafft werden können – da hier keine alleinigen Einträge vorhanden sind, bedeutet das wohl, dass darunter alles fällt, was in den beiden anderen Kategorien nicht aufgeführt wird.
Der Bereich "Europäisch" beinhaltet die "Sicherung der Technologie in Kooperation mit europäischen Partnern", schließt also faktisch selbst manche Nato-Verbündete, insbesondere die USA aus. Sechs Bereiche fielen damals hierunter: Handfeuerwaffen, Dreh- und Starrflügler (also Hubschrauber und Flugzeuge), ungeschützte Fahrzeuge, ABC-Abwehr, Flugkörper/Lenkverteidigung sowie IT-/Kommunikationssoftware.
Was "Nationale Schlüsseltechnologien" anbelangt, wurde bereits 2015 eine erste Liste erstellt, die in der fünf Jahre später aktualisierten Fassung erweitert wurde – neu hinzugekommen waren die "Elektronische Kampfführung" (EloKa), der "Überwasserschiffbau", die "Künstliche Intelligenz" sowie "IT- und Kommunikationstechnologie", die sich zu folgenden Bereichen gesellten: "Geschützte/Gepanzerte Fahrzeuge", "Unterwasserplattformen", "Schutz, Sensorik", "Vernetzte Operationsführung/Krypto".
Im 2024er-Entwurf bleiben die nationalen Schlüsseltechnologien weitgehend dieselben, sieht man davon ab, dass sich der Bereich "vernetzte Operationsführung/Krypto" ganz entfallen ist und sich die "Elektronische Kampfführung" nun "Elektronischer Kampf" nennt.
Einige Bewegung kam aber in den zumindest europäisch protegierten Bereich, in den nun die Felder "Quantentechnologie", "Munition", "unbemannte Systeme" und "Raumfahrttechnologien" frisch aufgenommen wurden.
Erleichterungen für die Rüstungsindustrie
Hauptziel der Strategie ist es, "agile und schnelle Planungs-, Haushalts und Beschaffungsprozesse" einzuführen. Generell fehle es dafür an "angemessenen gesetzlichen Ausnahme- und Erleichterungstatbeständen." Darunter fällt zum Beispiel:
Die Bundesregierung […] prüft Maßnahmen zum Abbau insbesondere von planungs- und genehmigungsrechtlichen sowie bürokratischen Auflagen beim Auf- und Ausbau von Produktions-, Lager- und Unterstützungskapazitäten.
Um den Ausbau der Produktionskapazitäten zu versüßen, sollen "Voraus-Bestellungen" sowie "feste Abnahmegarantien gegenüber der Industrie" und "die Möglichkeit von Kapazitätsvorhalteprämien" geprüft werden.
Im Zweifelsfall soll der Rüstungsindustrie gegenüber der zivilen Wirtschaft Priorität eingeräumt werden, es seien Maßnahmen zu erwägen, um die "priorisierte Belieferung der SVI auch im Krisenfall ermöglichen."
Und wenn alle Stricke reißen, soll der Staat dann eben direkt das Ruder übernehmen: In "strategischen Fällen" solle es der Bundesregierung möglich sein, sich "an Unternehmen der SVI zu beteiligen."
Ferner werde man "Schlüsseltechnologien" eine "angemessene Priorisierung bei der Vergabe von Forschungsaufträgen einräumen." Außerdem gelte es, die "strikte Trennung zwischen anwendungsorientierter ziviler und militärischer Forschung" zu überwinden.
Mit den Ländern müsse man in eine "Diskussion über die Zivilklauseln" treten, die militärische Forschung an vielen Universitäten untersagen, "um breitere Forschung zu ermöglichen."
Generell müsse die SVI "wettbewerbsfähig sein, um sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen am weltweiten Markt durchsetzen zu können." Hierfür will die Bundesregierung die "Exportaktivitäten" der Branche "unterstützen", unter anderem in der Absicht, die SVI im "internationalen Raum zu flankieren."
Weiter sollen etwaige "Novellierungen im Kriegswaffenrecht" beitragen, "Wettbewerbsnachteile der deutschen SVI in angemessener Weise zu minimieren."
Fragezeichen und Schönheitsfehler
Die Übergänge zwischen problemlos auf dem ausländischen und damit vor allem US-amerikanischen Markt bestellbaren und den strikt europäisch zu beschaffenden Rüstungsgütern sind teils relativ fließend.
Perspektivisch scheint es das Ziel der Bundesregierung zu sein, hier das Pendel immer weiter von den USA hin zu europäischen Kooperationsprogrammen zu verschieben.
Das deckt sich im Übrigen mit der Anfang März 2024 vorgelegten europäischen Rüstungsstrategie EDIS, die das Ziel ausgibt, den Wert europäischer Beschaffungen von aktuell 22 Prozent (78 Prozent aller Rüstungsgüter werden also im Ausland bestellt, allein 63 Prozent aus den USA), auf 50 Prozent (2030) respektive 60 Prozent zu erhöhen.
Allerdings steht man sich hierbei etwas selbst im Weg, denn gleichzeitig will man bei den EU-Programmen, wenn schon nicht überall führen, so doch "mindestens auf Augenhöhe" agieren, was für andere ebenfalls an der Stärkung ihrer Industrien interessierte Länder nicht unbedingt eine große Motivationshilfe sein wird, sich in derartige Programme einzuklinken.
Auf diesen Widerspruch wurde auch im Handelsblatt hingewiesen:
In dem Papier versucht die Bundesregierung, einerseits mehr auf europäische Kooperationen und Synergieeffekte durch gemeinsame Beschaffungen zu setzen, andererseits die heimische Industrie zu stärken. So will sie sich dafür einsetzen, "die Fähigkeitsentwicklung und Beschaffungen kooperativer zu gestalten und damit die Nachfrage stärker europäisch zu bündeln". Gleichzeitig will sie bei internationalen Kooperationen eine Beteiligung der deutschen Industrie "mindestens auf Augenhöhe" sicherstellen.
Handelsblatt, 16.8.2024
So ambitioniert der Strategieentwurf außerdem auch daherkommt, viele der aufgeführten Vorhaben sind zunächst einmal Prüfaufträge oder relativ vage Absichtserklärungen, ob, wie und wann sie sich umsetzen lassen, steht aktuell noch in den Sternen.
Eine Hürde dürfte dabei sein, dass alle Maßnahmen nicht zuletzt unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt wurden:
Zwei Jahre nach Verabschiedung will die Bundesregierung überprüfen, ob mit der Strategie die angestrebten Ziele auch wirklich erreicht werden. Außerdem stellt sie fest, dass die Umsetzung im "Rahmen der Haushalts- und Finanzplanung" erfolge - also nur dann, wenn der Bundestag auch ausreichend Finanzmittel bereitstellt, um beispielsweise Kapazitätsvorhalteprämien oder langfristige Bestellungen auch finanzieren zu können.
Handelsblatt, 16.8.2024
Trotzdem bekundet der Entwurf die Absicht der Bundesregierung, die deutsche Rüstungsindustrie umfassend zu stärken. Inwieweit die diesbezüglichen Versuche von Erfolg gekrönt sein werden, muss sich allerdings erst noch erweisen.