Russische "Einmischungsoperation" wird zu einem Monstrum aufgeblasen

Sonderermittler Mueller legt Anklage gegen 13 Russen wegen Verschwörung gegen die USA vor, dabei sind die Dimensionen gegenüber amerikanischen Einmischungsoperationen eher als mickrig zu bezeichnen

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Pünktlich zum Wochenende war die Veröffentlichung der von Sonderberichterstatter Robert Mueller erhobenen Anklage von 13 russischen Bürgern und 3 russischen Organisationen das politische und mediale Ereignis. Vorgeworfen wird den Angeklagten der Versuch einer Verschwörung zur Manipulation der US-Präsidentschaftswahl oder allgemeiner "Einmischungsoperationen (influence operations). US-Behörden und Ministern regeln, so heißt es in der Schrift, die Aktivitäten von ausländischen Personen und Organisationen, um einen Einfluss auf die Wahlen und das politische System aufzudecken und zu verhindern. Nach dem Foreign Agent Registration Act (FARA) sei es Ausländern verboten, Ausgaben zu tätigen, um Wahlen zu beeinflussen, oder politisch aktiv zu werden, wenn sie sich nicht zuvor als "ausländische Agenten" vom Justizministerium registrieren zu lassen.

Natürlich, alle Regierungen schätzen in der Regel keine Einmischung von außen, zumal wenn sie heimlich geschieht und der Opposition zugutekommt. Es ist aber derzeit schon erstaunlich, wie Politik und Medien die Ermittlungen über diese angeblich 2014 einsetzenden "Verschwörung" selbst instrumentalisieren, um innenpolitisch am Ast von Donald Trump zu sägen, der letztlich ursprünglich nur eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland anstrebte, obgleich weder in der Anklageschrift noch in anderen offiziellen Dokumenten begründet behauptet wird, dass diese "Einmischungsoperationen" auch nur irgendeinen nennenswerten Einfluss hatten. Man könnte umgekehrt fast schon glauben, dass damit die Sache der Demokraten und Trump-Gegner in der Republikanischen Partei sowie bei den Geheimdiensten befördert wird.

Dass die politischen Strippenzieher, die für die Konfrontation mit Russland und gegen Trump, nicht darauf hinweisen, dass die USA das Beeinflussungsspiel mit allen Mitteln bis hin zu militärischen Interventionen, Unterstützung von Putschen und Mordanschlägen seit Jahrzehnten betreiben, ist verständlich. Es wundert nur wieder einmal, wie auch die vermeintlich kritischen US-Medien in der innenpolitischen Polarisierung weitgehend gefangen sind und das oft nicht auch selbstkritisch zumindest erwähnenswert finden.

Beachtenswert in diesem Fall ist, dass die Anklage keine staatlichen Organe oder deren Mitarbeiter der Verschwörung beschuldigt. Die russische Regierung wird ausdrücklich ausgespart, ebenso wie bislang nicht behauptet oder gar bewiesen wurde, dass Trump oder sein Wahlkampfteam von der Verschwörung wusste oder auch kooperierte. Im Zentrum der Anklage steht ein Oligarch - wie es sie auch zahlreich in den USA gibt - mit gewissen Beziehungen zum Kreml und zu Putin: Jewgeni Prigozhin, ein ehemaliger Sportler, der neun Jahre wegen Betrugs im Gefängnis saß und schließlich mit Fastfood-Imbissen vermutlich zum vielfachen Milliardär wurde, und dessen Firmen "Internet Research Agency", die schon länger als "Trollfabrik" bekannt ist, und Concord Caterin sowie Concord Management and Consulting.

Der Hauptvorwurf ist, dass sich die angeklagten Russen als Amerikaner ausgegeben und falsche amerikanische Identitäten, unter denen sie Accounts und Gruppen auf Sozialen Medien - vor allem auf Facebook und Instagram - einrichteten, angenommen hatten, um "polarisierende US-politische und soziale Themen" zu verbreiten. So hätten die Angeklagten "amerikanische Infrastruktur" benutzt, d.h. Webspace bei amerikanischen Providern gemietet, und "Hunderte von Email-Accounts" eingerichtet.

Dann heißt es, strategisches Ziel sei, Uneinigkeit ins politische System zu bringen, ab 2016 habe man dann Trump gegen Clinton unterstützt, was aber dann eigentlich eher der Versuch wäre, einen Kandidaten stark zu machen, anstatt zu polarisieren, es sei denn, jeder Wahlkampf bringt Uneinigkeit ins Spiel. Zudem hätten die Russen Protestaktionen organisiert, koordiniert oder beworben, sich einiger Identitätsdaten realer Amerikaner bedient oder unter falschen Namen Konten eingerichtet. Die Zusammenarbeit mit einigen Amerikanern sei von diesen unwissentlich geschehen, wird festgehalten.

"Virtueller Krieg gegen die USA" (New York Times)

Angeblich hätten die Ausgaben für das "Projekt Lakhta", das mehrere in- und ausländische Missionen hatte, also selbst nach der Anklageschrift nicht allein auf die USA ausgerichtet war, ab September 2016 monatlich 1.250.000 US-Dollar betragen. Wie viel davon in die amerikanische Kampagne floss, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Summen, die zuvor investiert wurden. In vielen Medien wird suggeriert, es seien dauerhaft und für die Kampagne in den USA monatlich so viel Geld investiert worden.

Selbst wenn also drei Monate lang ausschließlich die amerikanische Kampagne dann mit 3.750.000 US-Dollar finanziert wurde, wäre das eine lächerliche Summe gegen die Wahlkampfbeeinflussungsmaschinen der amerikanischen Kandidaten. Insgesamt flossen hier mehr als 2,1 Milliarden US-Dollar in den Wahlkampf, Clinton verlor, obgleich sie mit fast 800 Millionen US-Dollar doppelt so viel wie Trump mit etwas mehr als 410 Millionen ausgab. Nach Facebook wurden gerade einmal 6700 US-Dollar für Werbung auf Facebook ausgegeben. 10 Millionen hätten sie gesehen, weniger als die Hälfte vor der Wahl.

DOJ statement and indictments reveal the extent and motivations of Russian interference in 2016 election. Claims of a "hoax" in tatters. My take: Implausible that Russian actions did not influence the views and votes of at least some Americans.

Mehr als Vermutungen bietet auch Ex-CIA-Chef John Brennen (2013-2017) nicht

Die für amerikanische Beeinflussungsoperationen relativ kleine Einmischung wird zum "Informationskrieg" oder zum "virtuellen Krieg" (New York Times) gegen die USA aufgeblasen - jenseits aller Nachweise für deren Wirksamkeit. Trump wird zum Vorwurf gemacht, dass er keine Sorge darüber geäußert hat, dass "eine ausländische Macht fast vier Jahre lang versucht hat, die amerikanische Demokratie auszuhebeln, und noch weniger entschlossen ist, sie zu stoppen, das auch dieses Jahr fortzusetzen".

Noch ist keineswegs klar, ob der Kreml wirklich hinter der Kampagne steckt, für die New York Times ist aber klar, dass "Russland sich in einem virtuellen Krieg gegen die USA durch Desinformationswerkzeuge des 21. Jahrhunderts und Propaganda befindet". Das sei eine Schlussfolgerung der Geheimdienstchefs und von Trumps leitenden Beratern: "Aber es ist ein Krieg, der auf der amerikanischen Seite ohne Oberbefehlshaber geführt wird."

Dabei führt die NYT selbst einige Maßnahmen an, die die Trump-Regierung gegen Russland gestartet hat, abgesehen davon, dass immer davon die Rede ist, vor allem Russland, aber auch China seien die großen Gegenspieler und militärischen Gegner der USA. Es gab weitere Sanktionen, es werden Waffen an die Ukraine geliefert, in Syrien werden Milizen bombardiert, unter denen sich auch russische Söldner befanden, in Europa rüstet das Pentagon weiter auf, Russland wird für die NotPetya-Angriffe verantwortlich gemacht und die Geheimdienste, teils unter von Trump ernannten Direktoren, warnten für neuen Einmischungen Russland in die Midterm-Wahlen.

Amerikanische Beeinflussungsoperationen sollen ganz etwas anderes sein

Wenn man - über Afghanistan, Irak, Syrien und Libyen hinaus - nur in die kürzere Geschichte der Beeinflussungsoperationen von amerikanischen Politikern, Thinktanks/NGOs, Geheimdiensten und auch der Regierung in Osteuropa zurückblickt, wird man sich daran erinnern, dass die USA oder amerikanische Interessengruppen hinter der Unterstützung oppositioneller Gruppen und der daraus entstehenden "bunten Revolutionen" in Serbien, Georgien, Weißrussland und der "orangenen Revolution" in der Ukraine standen.

Natürlich wurden auch politische Entwicklungen in Russland von den USA aus gefördert - zwischen 1993 und 2014 mit mehr als 18 Milliarden US-Dollar, zu Wahljahren floss immer mehr Geld. Und in den 1990er hatten sich die USA ganz offen eingemischt, um Jelzin an der Macht zu halten, der die Wirtschaft liberalisierte bzw. auf einen kruden Kapitalismus umschaltete, wodurch sie in eine tiefe Krise schlitterte und sich Kriminalität, Korruption und Oligarchencliquen ausbreiteten. Putin ist mithin auch das Ergebnis amerikanischer Beeinflussungsoperationen.

Erinnert sei auch daran, dass Victoria Nuland, Staatssekretärin für Europäische und Eurasische Angelegenheiten, im Dezember 2013, als die Maidan-Bewegung schon im Vorteil gegen über der bösen, wenn auch gewählten Regierung war, ganz offen erklärt hatte, dass die USA innenpolitisch in der Ukraine demokratische Entwicklungen mit 5 Milliarden US-Dollar gefördert habe. Es kam schließlich auch heraus, dass die USA nach einem Sturz der ukrainischen Regierung auf Jazenjuk setzte, der dann auch Regierungschef wurde ("Fuck the EU").

Westliche Politiker hatten ganz offen und ganz unkritisch gegenüber den rechtsnationalen Strömungen die Maidan-Bewegung auch durch Präsenz unterstützt, sich also massiv eingemischt, schließlich ging es nach der gescheiterten Orangenen Revolution darum, die Ukraine von Russland zu lösen und sie in die EU und in die Nato einzubinden. Dabei nahm man in Kauf, dass 2014 ebenso wie 2004 nur eine Oligarchen-Clique von der anderen abgelöst wurde.

Schon die Neigung, schnell von einem Krieg zu sprechen, wenn Beeinflussungsoperationen stattfinden, ist verräterisch. Suggeriert wird, dass es egal ist, ob man mit Informationen oder mit Waffen kämpft, weswegen auch von Informationen als Waffen gesprochen wird. Dementsprechend werden in der Türkei kritische Journalisten eingesperrt und zu hohen Strafen verurteilt. Mehr als Krieg gibt es nicht, das Interesse ist, mit der Verwendung des Wortes einen Konflikt zu eskalieren und zuzuspitzen.

Immerhin veröffentlichte die NYT schließlich auch einen Artikel, in dem ehemalige Geheimdienstmitarbeiter berichteten, dass solche Beeinflussungsoperationen auch für die amerikanischen Dienste - und, wie man hinzufügen müsste, für manche Organisationen wie National Endowment for Democracy - praktizierten. "Wenn man einen Geheimdienstoffizier fragt, ob die Russen die Regeln brechen oder etwas Bizarres machen, ist die Antwort nein, überhaupt nicht", so Steven Hall, bis 2015 Leiter der CIA-Abteilung für russische Operationen. Die Amerikaner hätten auch in der Vergangenheit solche Beeinflussungsoperationen durchgeführt: "Und ich hoffe, wir machen das auch heute noch." Der Artikel läuft aber letztlich darauf hinaus, dass die amerikanischen Beeinflussungsoperationen nicht vergleichbar seien mit den russischen, schließlich würden sie Gutes anstreben.

Man könnte in diesem Fall sogar Donald Trump zustimmen, der gestern twitterte: "Wenn es das ZIEL Russlands war, Zwist, Störung und Chaos in den USA zu schaffen, dann waren sie mit all den Ausschussanhörungen, Ermittlungen und Hass zwischen den Parteien über ihre wildesten Träume hinaus erfolgreich. Sie lachen sich tot in Moskau. Werde vernünftig Amerika!"