Russland: Der kleinzuhaltende, aber nützliche Feind
Seite 3: Die Implikationen der US-Sicherheitsstrategie
- Russland: Der kleinzuhaltende, aber nützliche Feind
- Russlands ursprünglicher Wunsch auf Nato-Beitritt
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Die Nato ist damit konzeptionsgemäß kein "gesamt"-europäisches Sicherheitssystem, denn die Bündniserweiterung fokussierte sich exklusiv auf die Staaten Osteuropas, die Russland territorial gegenüberliegen.
Die Türkei als eurasisches Land war schon integriert und die Teilrepubliken Ex-Jugoslawiens sind mittlerweile mehrheitlich Mitglieder (Im Kosovo ist die größte US-Basis in Europa – Camp Bondsteel); Moldau sowie die kaukasischen Länder Georgien, Armenien und bedingt Aserbaidschan gelten ebenfalls als geeignete Bündniskandidaten.
Russland sollte und soll damit kein integraler Bestandteil einer europäischen Sicherheitsarchitektur sein. Da nicht integraler Bestandteil der Nato, können Russlands Sicherheitsinteressen mangels Mitgliedschaft auch nicht Gegenstand des vom Bündnis gemeinsam zu organisierenden Schutzes sein. Sie finden keine "systemimmanente" Berücksichtigung, sondern bilden allenfalls eine externe Verhandlungsmasse, auf die das Bündnis je nach Interessenlage eingehen kann oder auch nicht.
Die USA und Nato haben Russland aufgrund seiner Stellung außerhalb des Sicherheitssystems perspektivisch und potenziell die Rolle eines Adversarius, eines möglichen Konfliktverursachers in Osteuropa zugewiesen.
Das europäische Sicherheitssystem, das existiert und sich bis zu Russlands Grenze vorschiebt, also die Nato, stellt unter diesen Bedingungen aus Russlands Sicht sowohl eine militärische Bedrohung als auch ein Instrument zur Kleinhaltung seiner ansonsten möglichen globalen Rolle dar. Letzteres kann man im Westen begrüßen, es ändert aber nichts an der Sichtweise, Ansprüchen und den Reaktionen Russlands.
Gesichert ist aufgrund dieser "Nichtmitgliedschaft des bedrohlichen Russlands" für die USA zugleich der kontinuierliche Nutzen, diese Lage als Begründung für Aufträge an den militärisch-industriellen Komplex (Dwight D. Eisenhower) nehmen zu können, der für die amerikanische Wirtschaftsleistung ohnehin eine wichtige Rolle spielt.
Ohne Feind ist für diesen Komplex nichts zu holen. Eine Mitgliedschaft Russlands in der Nato oder eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur, die den Namen verdient, wären daher für die USA und diesen Komplex nur kontraproduktiv.
Ferner wollte und will die USA aber auch für den Fall eines Wiedererstarkens Russlands verhindern, dass Russlands zu einer Großmacht aufsteigt. Es sollte machtpolitisch eben möglichst kleingehalten werden. Diesem Interesse einer möglichst langfristigen Schwächung Russlands dient nun der – von USA und Nato durch abgelehnte Verhandlungsbereitschaft mitausgelöste und nachfolgend dann tatkräftig unterstützte – Stellvertreterkrieg in der Ukraine, ein Land, das wie beschrieben für Russland die außerordentlich wichtige strategische Bedeutung hat (Brzezinski).
Wie verschiedentlich von US-Seite erklärt, ist der Krieg in der Ukraine umso besser, je länger er dauert, denn umso stärker ist die erhoffte Schwächung Russlands.
Schwächung und Kleinhaltung sollen aber auch mittels des schon "seit Längerem" (so Kanzler Scholz und Außenminister Blinken) geplanten, aber offensichtlich schlecht kalkulierten Sanktionsregimes des Westens erfolgen. Auf den Punkt gebracht bzw. vorschnell ausgeplappert: "Das wird Russland ruinieren", wie Außenministerin Baerbock proklamierte. Besser kann man die Langfriststrategie der USA nicht zum Ausdruck bringen.
Die Strategieplaner aus dem amerikanischen Staatsapparat haben in den oben vorgestellten Sicherheitsstrategien unter dem Schleier von Demokratiesicherung und Schutzgewährung für die europäischen Staaten das von Anfang an verfolgte Kernziel der USA gut verborgen: den machtpolitischen Zugriff der USA auf Europa bzw. den Kontinent Eurasien.
Denn es ist banal und doch fundamental: Wäre Russland in einem europäischen Sicherheitssystem als gleichberechtigter Partner eingebunden (worden), gäbe es - mangels Feind in der Nachbarschaft - keine Notwendigkeit für amerikanische Truppen auf europäischem Boden. Der sachliche Rechtfertigungsgrund für den Einsatz des angeblichen Weltpolizisten zumindest in der hiesigen Region wäre entfallen. Denn für die Lösung von Interessenkonflikten hätten die Europäer bei gleichberechtigter Mitgliedschaft Russlands ein eigenes unabhängiges Sicherheitssystem, sozusagen einen "europäischen Sicherheitsrat".
Und weiter: Gäbe es ein solches "gesamt"-europäisches Sicherheitssystem, gäbe es den aktuellen Krieg in der Ukraine auch nicht. Die heute von Russland wahrgenommene Bedrohungslage durch das Vordringen der USA samt Nato nach Osten wäre nicht existent. Kein fremdes, als bedrohlich wahrgenommenes Militärbündnis würde den Einsatz einer "militärischen Sonderoperation" notwendig machen. Denn Russland würde mit den europäischen Staaten gemeinsam am Tisch des europäischen "Sicherheitsrates" sitzen.
Den Preis für einen Frieden in Europa, ermöglicht durch ein wirklich "gesamt"-europäisches Sicherheitssystem, hätten allerdings die USA zu zahlen. Sie verlören den machtpolitischen Zugriff auf den europäischen Kontinent. Der europäische "Kopf" für die transatlantische "Brücke" wäre zerbröselt, Steuerungszentralen für Einsätze in Russland, aber auch Asien und Afrika wie in Ramstein wären überflüssig. Damit wäre auch der imperiale Einfluss des fernab gelegenen Inselstaates USA auf den eurasischen Kontinent dahin. Diesen Preis ist aber die USA vorerst nicht bereit zu zahlen.
Im Zeitalter der Renaissance von Unaufgeklärtheit und franziskanischer Bedürfnislosigkeit (Sicherung deutscher, europäischer Interessen?) bei gleichzeitig hohem Moralingehabe sieht die Realität in Deutschland und EU tragischerweise anders aus: In begeisterter Assimilation an US-amerikanische Denkweise sowie Interessenlage unterstützen die europäischen Staaten den Krieg in der Ukraine mit allen Kräften und sind bereit, dafür ohne Not die eigenen Interessen und den eigenen Wohlstand zu opfern.
Antrieb und Durchsetzungsvermögen zur Wahrung der eigenen - deutschen und europäischen – (Sicherheits-)Interessen, wie von Dohnanyi schreibt, sind dahin. Die politische Diagnose lautet selbstzerstörerischer Altruismus zugunsten der USA.
Redaktionelle Anmerkung: Das Zitat von Außenministerin Baerbock wurde korrigiert. Sie sagte nicht "Wir werden Russland ruinieren", sondern in Bezug auf die von ihr selbst forcierten EU-Sanktionen: "Das wird Russland ruinieren."