Russland finanziert Atommeiler in Ungarn: Europas neue Energie-Abhängigkeit?

Flaggen EU, Russland

Bild: Tomas Ragina, Shutterstock.com

Die neuen Reaktoren sind ein Politikum. Denn sie zeigen die Widersprüchlichkeit der EU-Atomkraftstrategie. Über Lücken im europäischen Sanktionsregime.

Als der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am 5. Juli Moskau besuchte, um mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Aussichten für eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ukraine zu erörtern, war die Aufregung in Brüssel groß. Auch Kiew verurteilte die Reise – insbesondere, da Ungarn seit Anfang des Monats den rotierenden EU-Vorsitz übernommen hat.

Wenn Orbáns Sonderweg okay ist

Es ging bei dem Besuch aber nicht nur um einen möglichen Waffenstillstand. Orbán und Putin sprachen auch über einen Atom-Deal – genauer gesagt über Paks II. Dabei handelt es sich um zwei neue Nuklearreaktoren in Ungarn, die mit russischen Krediten und der Hilfe des russischen Atomkonzerns Rosatom gebaut werden sollen. Putin erklärte nach den Gesprächen:

Die Arbeiten an dem gemeinsamen Vorzeigeprojekt, dem Ausbau des Kernkraftwerks Paks, gehen weiter. Die Inbetriebnahme des fünften und sechsten Blocks wird es ermöglichen, die Kapazität dieses Kraftwerks um mehr als das Doppelte zu erhöhen. Die Stromversorgung der ungarischen Wirtschaft und die Versorgung von Industrieanlagen und Haushalten mit preiswerter und sauberer Energie werden dadurch verbessert.

In Bezug auf diese ökonomische Kooperation zwischen Moskau und Budapest gab es vonseiten der EU in diesem Fall jedoch keine Zurechtweisung. Dabei sparen EU-Kommission und führende EU-Mitgliedstaaten ansonsten ja nicht mit Kritik und Opposition, wenn es um Orbáns "Sonderweg" geht.

Ausnahmeregelung für Reaktoren

So hat der ungarische Ministerpräsident seit über zwei Jahren die Bemühungen der EU, Kiew zu unterstützen und Sanktionen gegen Moskau wegen seines Vorgehens in der Ukraine zu verhängen, regelmäßig blockiert, verzögert oder abgeschwächt – und damit immer wieder den Unmut Brüssels auf sich gezogen.

Doch während beim EU-Außenministertreffen am 24. Juni gegen den Willen Ungarns entschieden wurde, die Zinsgewinne eingefrorener russischer Vermögen für Militärhilfen an die Ukraine zu nutzen, und man zugleich das 14. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedete, ließ man Orbán beim Nukleardeal mit Russland nicht nur gewähren, sondern gab grünes Licht.

Ungarn erhielt eine Ausnahmeregelung von der EU für das Zwölf-Milliarden-Euro-Projekt des russischen Atomkonzerns zur Erweiterung des ungarischen Kernkraftwerks mit einer Gesamtkapazität von 2.000 Megawatt um zwei Blöcke mit jeweils 1.200 Megawatt – womit dann in Zukunft 80 Prozent des ungarischen Stroms von dem Atomkraftwerk Paks bereitgestellt werden können.

Russland als Kreditgeber

Der Bau der beiden Blöcke wird zugleich mit einem Kredit über zehn Milliarden Euro größtenteils von Russland finanziert. Ungarn wurde dafür vollständig von den EU-Sanktionen gegen Russland befreit.

Das bedeutet auch, dass sich europäische Unternehmen, darunter deutsche, französische und österreichische Firmen, an dem Paks-II-Projekt beteiligen können, ohne die Genehmigung ihrer nationalen Behörden einholen zu müssen. Die Vorbereitungen für den Bau laufen bereits, die Atomreaktoren sollen dann ab 2032 Strom liefern.

Einem Greenpeace-Bericht zufolge haben europäische Unternehmen wie Siemens Energy in Deutschland und das französische Unternehmen Framatome Verträge im Wert von Hunderten Millionen Euro für die Atomprojekte von Rosatom außerhalb Russlands abgeschlossen. Ohne diese Technologie- und Wissenstransfers würden viele der neuen Projekte des Staatsriesen zum Stillstand kommen.