Russland überholt USA als größter Gaslieferant Europas
Die EU erwägt Sanktionen gegen Russlands LNG-Importe, obwohl es gerade zum größten Gaslieferanten aufgestiegen ist. Doch wer füllt die entstehende Lücke?
Die Europäische Union berät über neue Sanktionen gegen Russland. Erstmals sollen auch Maßnahmen gegen den Import von verflüssigtem Erdgas (LNG) ergriffen werden. Zwar soll der Import nicht per se verboten werden, aber die importierenden EU-Staaten sollen daran gehindert werden, das russische LNG wieder zu exportieren.
EU-Kommission plant Sanktionen gegen russisches LNG
Bereits Anfang Mai hatte Telepolis über entsprechende Pläne der EU-Kommission berichtet. Sollte sie sich damit durchsetzen, wären hauptsächlich Frankreich, Spanien und Belgien betroffen, die die größten Umschlagplätze für russisches LNG in Europa sind. Von dort wird das Gas an Länder wie Italien oder Deutschland geliefert, die sich dann nach neuen Lieferanten umsehen müssten.
Doch bisher konnte sich die EU-Kommission damit nicht durchsetzen. Deutschland blockiert und gilt schon als vermeintlicher Quertreiber wie Ungarn, berichtet das Handelsblatt.
Deutschland blockiert Sanktionspläne der EU-Kommission
Die Debatte kommt allerdings auch zur Unzeit: Erst im Mai ist Russland zum größten Gaslieferanten der EU – aber auch anderer europäischer Staaten – aufgestiegen. Erstmals seit fast zwei Jahren lieferte Russland mehr nach Europa als die USA.
Russisches Gas und LNG machten 15 Prozent der Gesamtlieferungen an die EU, Großbritannien, die Schweiz, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien aus, berichtet die Financial Times. LNG aus den USA machte dagegen nur 14 Prozent aus. Dies ist der niedrigste Wert seit August 2022.
Russland überraschend größter LNG-Lieferant Europas im Mai
Experten geben sich dem FT-Bericht zufolge überrascht über die Entwicklung. Tom Marzec-Manser, Leiter der Gasanalyse bei der Beratungsfirma ICIS, sagte: "Es ist erstaunlich, dass der Marktanteil von russischem Gas und LNG in Europa nach all dem, was wir durchgemacht haben, und all den Anstrengungen, die unternommen wurden, um die Energieversorgung zu entkoppeln und von Risiken zu befreien, immer weiter ansteigt".
Einmalige Faktoren beeinflussen Gasflüsse im Mai
Die Trendwende im Mai sei wahrscheinlich nicht von Dauer, so Marzec-Manser. Sie wurde durch einmalige Faktoren beeinflusst, darunter der Ausfall einer großen LNG-Exportanlage in den USA und die Erhöhung der Gaslieferungen aus Russland über die Türkei im Vorfeld geplanter Wartungsarbeiten im Juni. Ferner bleibt die Gasnachfrage in Europa relativ schwach und die Speicherfüllstände sind für diese Jahreszeit auf Rekordniveau.
Weiterhin erwartet er, dass Russland im Sommer LNG über die Nordseeroute nach Asien verschiffen und damit die Lieferungen nach Europa reduzieren wird. Gleichzeitig steige die LNG-Produktion in den USA wieder an.
Auch das Transitabkommen zwischen der Ukraine und Russland für Gaslieferungen in die EU läuft in diesem Jahr aus und gefährdet die Gasflüsse über diese Route. Die Europäische Kommission unterstützt daher Bemühungen, die Kapazität der Pipelines im südlichen Gaskorridor zwischen der EU und Aserbaidschan zu erhöhen, um die russischen Lieferungen zu ersetzen. Bisher reichen die Kapazität auf dieser Route aber bei Weitem nicht aus.
EU-Energiekommissarin besorgt über LNG-Abzweigung nach Asien
EU-Energiekommissarin Kadri Simson äußerte sich bei einem Besuch in Japan besorgt darüber, dass LNG aus Europa abgezweigt werde, um die Nachfrage in Asien zu decken. Tokio und Brüssel hätten daher ein "Frühwarnsystem" zur Überwachung von LNG-Knappheit eingerichtet und vereinbart, dass beide Seiten Energiesparmaßnahmen ergreifen sollten.
Simson betonte, dass die EU darauf vorbereitet sei, mögliche negative Ereignisse bei Angebot und Nachfrage auf den globalen Gasmärkten abzufedern. Die Gasvorräte befänden sich weiterhin auf Rekordniveau und die Gasnachfrage habe sich mit einem Rückgang von 20 Prozent gegenüber 2021 auf einem Rekordtief stabilisiert.
Der jüngste Anstieg der russischen Gaslieferungen nach Europa zeigt, wie schwierig es trotz aller Bemühungen bleibt, die Abhängigkeit von Russland weiter zu verringern, da mehrere osteuropäische Länder nach wie vor auf Importe aus dem Nachbarland angewiesen sind.