Russland und die Ukraine - der Westen öffnet dem Nationalismus Tür und Tor
Der Westen nimmt mit seiner Sanktionspolitik eine Eskalation der wirtschaftlichen Lage in beiden Ländern hin und stärkt damit nationalistische Kräfte
Es ist unfassbar, aber wir erleben gerade, wie der Westen das Ende dessen vorantreibt, woran er selbst einige Jahrzehnte lang hartnäckig gearbeitet hat: Die Schaffung eines offenen, globalen Wirtschaftssystems. Was derzeit in Russland und der Ukraine geschieht, wird sich bitter rächen, weil der Westen mit seiner Sanktionspolitik in Verbindung mit dem Rückgang des Ölpreises und dem dramatischen Fall des Rubelkurses eine Eskalation der Lage hinnimmt, die sich in beiden Ländern nur in einer unkontrollierbaren Explosion des Nationalismus entladen kann.
Die drastische Anhebung der Zinsen in Russland von 10,5 auf 17 Prozent sollte ein Alarmsignal ersten Ranges für den Westen sein. Der Rückgang des Ölpreises in Verbindung mit dem Verfall des Rubelkurses hat ein Ausmaß erreicht, bei dem die russische Regierung offenbar nur noch mit Panikmaßnahmen über die Runden zu kommen versucht. Das ist extrem gefährlich, weil die nächste Maßnahme die völlige Abschottung des russischen Geldsystems vom Westen sein muss. Wer diesen Schritt geht, ist auch politisch auf dem Weg in die Abschottung. In der Ukraine ist der Notstand längst ausgebrochen und wird durch die russische Krise noch einmal verschärft. Der Westen beharrt derweil auf seinen üblichen "Reformen", die unerträgliche Härten für eine ohnehin gebeutelte Bevölkerung bedeuten werden. Auch hier steht am Ende die Stärkung nationalistischer Kräfte, aber keine Lösung der wirtschaftlichen Probleme oder irgendeines politischen Konfliktes.
Man kann sich vorstellen, wie sich in vielen westlichen Zirkeln klammheimlich die Hände gerieben werden ob der Wucht der Ereignisse, die Russland derzeit treffen. Der Rückgang des Ölpreises trifft die Wirtschaft, aber auch den Staatshaushalt direkt, weil der Staat abhängig ist von den Einnahmen des Ölexports. Die Abwertung des Rubels, die sich in immer größerem Tempo vollzieht, lässt die Devisenreserven der Zentralbank dahinschmelzen und zwingt sie - solange man nicht zu einer vollständigen Kontrolle der Finanzbewegungen und der Devisenströme übergeht -, die Zinsen in einer Situation zu erhöhen, in der dem Land ohnehin eine Rezession droht. Ist das die Entwicklung, die den russischen Präsidenten dazu bewegt, zu Kreuze zu kriechen, die Krim zurückzugeben und auch sonst alles zu tun, was der Westen, unterstützt von den wirtschaftlichen Sanktionen, von Anfang an verlangt hat?
Wer das hofft, ist ungeheuer naiv. Natürlich wird Russland genau das nicht tun, sondern es wird sich zunehmend abkapseln. Dem Rubelverfall mit Zinserhöhungen zu begegnen, ist allerdings noch ein Relikt aus den bald der Vergangenheit angehörenden Konzepten des Westens. Es ist keine dauerhaft wirksame Maßnahme zur Beruhigung der Devisenmärkte und brandgefährlich bei einer sich schnell verschlechternden wirtschaftlichen Lage.
Richtung Abschottung
Selbst wenn es kurzfristig gelingen sollte, mit den hohen Zinsen Zocker anzulocken, die auf den großen Reibach hoffen, kann man die Lage Russlands damit nicht stabilisieren. Denn diese Gelder werden so schnell wieder verschwunden sein, wie sie kommen. Folglich muss Russland, sobald sich seine Wirtschaftsexperten von den wirtschaftswissenschaftlichen Dogmen des Westens wie der Kapitalverkehrsfreiheit und dem Freihandel vollständig gelöst haben, zu einer strengen Devisenbewirtschaftung übergehen. Russland wird nämlich nicht, wie das Entwicklungsländer in dieser Lage üblicherweise tun, den von den USA kontrollierten IWF zu Hilfe rufen.
Devisenbewirtschaftung und systematische Einschränkung des Handels mit dem Westen (Russland ist seit einigen Jahren Mitglied der WTO) sind aber genau die Schritte in Richtung Abschottung, auf die in Russland nationalistische Kreise weit rechts von Präsident Putin nur warten.
Dass das wirtschaftlich erfolgreich sein wird, ist nicht wahrscheinlich. Wir haben dazu vor einiger Zeit geschrieben
Das Land ist groß genug und hat die Ressourcen in sachlicher und menschlicher Hinsicht, die ihm erlauben, auch ohne verstärkte Kooperation mit dem Westen zu prosperieren, wenn es selbst die richtigen Lehren aus dem Versagen des westlichen neoliberalen Modells zieht. Letzteres ist allerdings zweifelhaft, da die meisten russischen Experten in den Zeiten der neoliberalen Revolution groß geworden und ausgebildet worden sind.
So wird man lange herumexperimentieren, ohne eine wirkliche Lösung zu finden. Aber das Scheitern wird den Nationalismus nur weiter stärken, da für jeden Fehlschlag der Westen politisch verantwortlich gemacht werden kann. Nicht anders als bei uns, wo es gelingt, mit der lächerlichen Fiktion einer drohenden "Islamisierung des Abendlandes" Tausende jede Woche auf die Straßen Dresdens zu bringen, kann man das Volk mit Verweis auf einen "Feind von außen" über jede eigene Fehlleistung hinwegtäuschen.
In der Ukraine ist trotz vorübergehender Anbindung an den Westen die gleiche Richtung vorgezeichnet. Ein politisch in seinen Grundfesten erschüttertes System, dem neoliberale "Reformen" aufgedrängt werden, die für Jahre ähnlich verheerende Wirkungen wie in Südeuropa haben dürften, kann jederzeit in Richtung Nationalismus abdriften, ohne dass der Westen dann noch irgendetwas dagegen unternehmen könnte.
Es war für jeden denkenden Menschen von vorneherein klar, dass man mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen ein Russland, das seine Eigenständigkeit verteidigt, nichts erreichen kann außer einer Verschärfung des Konflikts. Der Westen hat aber mit seiner hochmütigen "Sanktionspolitik", bei der die deutsche Regierung ohne Murren mitgemacht hat, eine Lawine ins Rollen gebracht, die ohne Schaden kaum mehr aufzuhalten sein wird. Gerade jetzt, wo der Rückgang des Ölpreises und der spekulativ angefeuerte Verfall des Rubelkurses den wirtschaftlichen Druck auf die russische Regierung dramatisch verschärfen, würde eine kluge Politik des Westens politisch einen Schritt zurücktreten und ein Angebot für neue Formen der Kooperation machen.
Auch Russland ist Teil der G 20 und, wenn das Kommuniqué des letzten Treffens in Australien (wir haben hier darüber berichtet) nicht in den Wind geschrieben war, müsste man Russland zumindest bei der Stützung des Rubelkurses auf einem niedrigen Niveau entgegenkommen und dafür bedingungslose westliche Hilfe anbieten (was praktisch nicht bedeutet, Geld auszugeben, sondern nur, die Devisenmärkte kurzfristig zu stoppen). Kluge Politik ist aber weit und breit nicht zu sehen. Wer sich jetzt die Hände reibt, wird sich am Ende die Augen reiben angesichts des Schadens, den er selbst mitangerichtet hat statt ihn zu verhindern.
Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Website flassberg-economics übernommen. Heiner Flassbeck will hier versuchen, "der Volkswirtschaftslehre eine rationalere Grundlage zu geben".