Russlands Soldatenhunger: Werden nun Migranten zum Kriegsdienst erpresst?

Seite 2: Millionen von mittelasiatischen Wanderarbeitern

Mittelasiatische Wanderarbeiter gibt es in Russland in großer Zahl, Presseberichte sprachen vor der Covid-19-Pandemie von zehn Millionen Arbeitnehmern. Im Zuge der Pandemie verließ etwa die Hälfte von ihnen das Land.

2022 gab es eine große Einwanderungswelle von mehreren Millionen Migranten aus den armen Republiken Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan, sodass der Stand vor der Pandemie nun wieder erreicht sein dürfte.

Die Mittelasiaten sind im russisch besetzten Teil der Ukraine nicht nur in der Armee im Einsatz. Viele werden auch von Firmen angeworben, die sich mit dem Wiederaufbau zerstörter Städte wie Mariupol beschäftigen, berichtet der Zentralasienexperte Sher Hashimov in einer Analyse.

Diese Jobs waren nach seiner Auffassung trotz schlechter Arbeitsbedingungen wegen guter Verdienste unter den Migranten lange beliebt. Das hat sich inzwischen geändert, seit es in zentralasiatischer Presse Berichte über Migranten gibt, die in die besetzten Gebiete der Ostukraine als Arbeiter kamen, aber dann zum Kampfeinsatz erpresst wurden.

Der Trick: Flüchtende müssen russische Papiere unterzeichnen

An Attraktivität eingebüßt habe Russland als Auswanderungsland nach Meinung des Experten für die Mittelasiaten jedoch 2023 mit der Rekrutierung für die Front. Kasachstan entwickele sich deswegen zunehmend zu einer Alternative zum russischen Arbeitsmarkt. Das ist für Russland nicht unbedenklich, da im Zuge des Krieges dort aktuell ein akuter Arbeitskräftemangel herrscht.

Nicht nur Arbeitsmigranten bekommen in Russland den Soldatenhunger der Offiziellen zu spüren. So gibt es einen Bericht der britischen BBC, dass mehrere der an der finnisch-russischen Grenze abgewiesenen Migranten mit Ziel EU, die in Russland eigentlich nur auf der Durchreise waren, nach Ablauf ihres Visums dort festgesetzt wurden.

Ohne nötige Sprachkenntnisse wurden ihnen russische Dokumente vorgelegt, die sie unterzeichnen sollten, um in Russland bleiben zu können: im Rahmen einer Arbeit "für den Staat". Wer unterschrieb, wurde zum Kampfeinsatz an die Front gebracht.

Wie sich Migranten schützen können

Die Vorladung zu den Einberufungsämtern hat für die Betroffenen einige Konsequenzen. Die exilrussische Zeitung Meduza berichtet, dass den Betroffenen die Zulassung von Fahrzeugen, die Aufnahme von Krediten und der Verkauf von Immobilien untersagt wird, damit sie sich nicht vor Antritt eines Frontdienstes absetzen können.

Die Zeitung empfiehlt allen, die nicht im Krieg kämpfen wollen, tatsächlich nicht an der eigenen Meldeadresse zu wohnen, öffentliche Verkehrsmittel und größere Menschenansammlungen zu meiden, da die Behörden hier die Zustellung von Vorladungen veranlassen.

Die Praxis, Ausländer für die russische Armee arbeiten zu lassen, gibt es rechtlich bereits seit 2003. 2015 wurde sie im Zuge des Syrienkrieges auf den direkten Kampfeinsatz ausgeweitet.

Jedoch erst ab 2022 begann man in Russland, im großen Stil Nichtrussen für den Kampf in der eigenen Armee anzuwerben. 2023 ging das Werben in Druck über und ein sich länger fortsetzender Krieg verheißt in Russland lebenden Zentralasiaten nichts Gutes.