SDF haben mit US-Unterstützung die Offensive auf Raqqa begonnen

Eine Frau kommandiert die Offensive gegen den IS. Bild: SDF/QSD

USA übergeht die Türkei und stärkt die kurdische Region Rojava

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Raqqa ist in Syrien das Hauptquartier des Islamischen Staates und selbsternannte Hauptstadt der Terrorgruppe. Am Dienstag um 14 Uhr Ortszeit starteten die SDF der demokratischen Föderation Rojavas die Operation "Initiative zur Befreiung von Nord-Raqqa". Das Kommando hat u.a. YPJ-Kommandeurin Rojda Felat. Da es sich vor allem um arabische Gebiete handelt, bilden die arabischen Brigaden Ehrar Raqqa und Liwa Tahrir, die aus dem Gebiet um Nord-Raqqa stammen, die Angriffsspitze.

Das Gebiet um Nord-Raqqa umfasst einen Bereich von ca. 60 Kilometern. Die dortige arabische Bevölkerung bat die SDF, sie vom IS zu befreien. Die Operation wurde seit Mitte Mai vorbereitet. Die SDF-Einheiten rücken von drei Seiten auf den Norden Raqqas vor. Unterstützt werden sie dabei durch Luftschläge der westlichen Anti-IS-Koalition, angeführt durch die USA. Tatsächlich könnte die Raqqa-Operation der Beginn einer neuen strategischen Ära bedeuten, der die Kräfteverhältnisse in Syrien, aber auch in der Türkei und in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak neu sortiert.

Schon am frühen Mittwochmorgen wurde die Befreiung von 2 Dörfern 5 km von der Stadt Ain Issa entfernt von der Nachrichtenagentur ANF gemeldet. Ain Issa liegt knapp 50 Kilometer nördlich von Raqqa. Ziel der Operation ist es, die Verbindungswege des IS zu anderen von der Terrorgruppe kontrollierten Gebieten unter Kontrolle zu bringen. Ein Video, vom kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., Civaka Azad, veröffentlicht, zeigt den Beginn der Operation.

Neben der Luftunterstützung bekam die SDF offensichtlich Hilfe von 250 amerikanischen Militärberatern, die in Rojava in der Nacht zum 23. Mai eingeflogen wurden. Auch Russland erklärte gestern, zur Unterstützung der Operation bereit zu sein.

Eigentlich sollte die Operation schon viel früher starten. Aber die Behinderung der Türkei, die letzten Treffen zwischen Erdogan und Obama und die Versprechen der Türkei, den Kampf gegen den IS doch zu unterstützen, verzögerten den Beginn. Ankara hatte den USA angeblich zugesagt, die westliche Anti-IS-Koalition mit eigenen Truppen zu unterstützen, wenn die SDF und die kurdische YPG nicht daran beteiligt seien. Offensichtlich waren das leere Versprechungen, denn einen Monat lang tat sich von türkischer Seite aus nichts.

Angeblich wurden die amerikanischen Militärausbilder daraufhin aus der Türkei nach Rojava abgezogen, um dort die Kämpfer der SDF zu trainieren. Letzte Woche traf dann der hohe US-Kommandant General Joseph Votel in Kobane mit SDF-Kommandeuren und der Rojava-Verwaltung zusammen. Dort bekräftigte er, dass die US-Behörden an Rojavas Seite stünden und die Türkei in dieser Sache kein Mitspracherecht mehr hätte.

Auf dem Rückweg ließ Votel Ankara wissen, dass die Entscheidung gefallen sei und sie aus dem Spiel seien. Anders als Merkel mit ihrem Flüchtlingsdeal zeigte Votel der türkischen Regierung klare Grenzen auf. Wenn sie die Airbase Incirlik nicht benutzen könnten, würden sie Rimelan in Rojava nutzen. Die türkische Trumpfkarte Incirlik sticht also kaum noch.

Operation birgt politische wie militärische Risiken

Die Befreiung Nord-Raqqas birgt zweifellos große Risiken. Politisch, weil das Modell Rojava das einzig plausible Modell für ein demokratisches Syrien zu sein scheint. Es ist das einzige Modell, welches die vielen ethnischen und religiösen Gruppen unter einem Dach zusammenbringen könnte. Allerdings sind demokratische Strukturen vor der eigenen Haustür sowohl dem Autokraten Erdogan wie dem kurdischen Feudalherren Barzani im Nordirak ein Dorn im Auge. Auch Assad ist weit davon entfernt, sich demokratischen Strukturen in einem föderalen Syrien zu beugen. Es besteht so weiterhin die Gefahr, dass Rojava von außen von der Türkei massiv angegriffen wird, während der IS mit Hilfe von Geheimdiensten (z.B. dem MIT?) von innen heraus versucht, Rojava anzugreifen.

Militärisch gesehen wird es nicht damit getan sein, Raqqa als Zentrum des IS zu befreien. Letztendlich muss ganz Nordsyrien vom IS und anderen islamistischen Gruppen befreit werden. Das bedeutet, die Operation von Raqqa auf Minbij und auf das gesamte Gebiet im Norden von Aleppo auszuweiten und auch das letzte Schlupfloch der Islamisten in die Türkei zu schließen: Dscharabalus. Das wäre dann endlich eine Pufferzone, die diesen Namen wirklich verdient, eine demokratische, selbstverwaltete und multiethnische Pufferzone zwischen dem IS und der Türkei.