SNP bereitet zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum vor
Demonstrationen in Katalonien
Die schottische Regionalregierungsministerpräsidentin Nicola Sturgeon hat angekündigt, im nächsten Monat einen Plan für ein zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum vorzulegen, das in fünf bis zehn Jahren stattfinden soll. Ein erstes Unabhängigkeitsreferendum war vor knapp einem Jahr gescheitert: Etwa 55 Prozent der Schotten hatten sich dagegen entschieden (vgl. Schottland bleibt britisch).
Dass Sturgeon und ihre Scottish National Party (SNP) schon so bald nach dieser Niederlage auf einer Wiederholung der Abstimmung hinarbeiten, hat mehrere Gründe: Erstens verzeichnete die SNP bei der britischen Unterhauswahl einen Erdrutschsieg und gewann 56 der insgesamt 59 schottischen Mandate im Westminster-Parlament (vgl. UK-Wahl: Tories und SNP klare Sieger [2. Update]). Diesen Sieg wertet die SNP auch als Beleg ihrer Ansicht, das die kurz vor dem ersten Unabhängigkeitsreferendum von den Führern der Tories, der Labour Party und der Liberaldemokraten gemachten Versprechungen mehr schottischer Selbsverwaltungsrechte bislang nicht in zufriedenstellendem Ausmaß eingelöst wurden. Dafür, dass das auch viele Schotten so sehen, spricht eine neue Ipsos-Umfrage, der zufolge aktuell eine Mehrheit von 55 Prozent für eine schottische Unabhängigkeit stimmen würde.
Zweitens gehen die Wünsche der schottischen und der englischen Wähler sehr weit auseinander: Während die Schotten einer Regionalpartei eine Mehrheit gaben, die offensiv für ein "Ende der Sparpolitik" warb, wählten die Engländer ganz überwiegend die Tories, die versprachen, die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Anzeichen dafür, dass sich diese sehr unterschiedlichen Erwartungen der beiden Völker wieder angleichen, sind nicht in Sicht. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Streit zwischen SNP und Tories an Schärfe zunimmt, und nicht nur mehr Schotten, sondern auch mehr Engländer als bislang zur Überzeugung bringt, dass sich so komplett verschiedene Zukunftsvorstellungen in zwei getrennten Staaten leichter verwirklichen lassen als in einem einzigen.
Drittens dürfte viele Schotten im letzten September vor allem deshalb gegen eine Unabhängigkeit ihres Landes gestimmt haben, weil sie in Brüssel einen noch schlimmeren Moloch sehen als in London und weil sie sich die Chance auf eine Teilnahme am von Premierminister David Cameron versprochenen EU-Ausstiegsreferendum erhalten wollten. Scheitert dieses Referendum 2016 oder 2017, dann wäre für diese Wählergruppe ein wichtiger Anreiz entfallen, gegen eine schottische Unabhängigkeit zu votieren. Entscheiden sich die Briten jedoch für ein Verlassen der EU, könnte die SNP Wähler mobilisieren, die sich von einer EU-Mitgliedschaft mehr Vorteile als Nachteile versprechen und darauf hoffen, dass ein unabhängiges Schottland die Aufnahme beantragt.
Sturgeon machte bereits in der Vergangenheit deutlich, dass sie einen EU-Ausstieg nur dann akzeptieren werde, wenn sich sowohl insgesamt als auch in allen vier Landesteilen des Vereinigten Königreichs Mehrheiten dafür ergeben. Lässt die britische Regierung bei einem Abweichen der schottischen Entscheidung das Votum des ganzen Landes gelten, wäre das für die SNP ein fast perfekter Anlass, ein neues Unabhängigkeitsreferendum zu begründen.
Auf eine Unabhängigkeit seiner Region hofft auch der katalanische Regierungschef Artur Mas von der Convergència Democràtica de Catalunya (CDC). Nach dem Verbot einer Volksbefragung im letzten Jahr einigte er sich mit dem Vorsitzenden der Partei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) auf vorgezogene Regionalparlamentswahlen am 27. September 2015 als Referendumsersatz. Erreichen die Parteien, die für eine Unabhängigkeit Kataloniens eintreten, bei dieser Wahl eine Mehrheit, will Mas das als demokratisches Mandat für eine Unabhängigkeitserklärung werten, die spätestens im März 2017 erfolgen soll.
Am Freitag, dem katalanischen Nationalfeiertag (der an die Kapitulation Barcelonas 1714 erinnert), fanden in mehreren Städten Massendemonstrationen für eine Unabhängigkeit statt: Der Polizei von Barcelona zufolge versammelten sich alleine in der Hauptstadt 1,4 der insgesamt nur siebeneinhalb Millionen Bewohner der Region. Die spanische Zentralregierung geht dagegen nur von etwa einer halben Million Teilnehmern aus. Sie macht bislang keine Anstalten, sich in der Unabhängigkeitsfrage auf Mas zuzubewegen (vgl. Auf dem Weg in katalanische Unabhängigkeit).
Im Unterschied zu Schottland, wo das keltische Gälisch mit 1,1 Prozent Sprecheranteil und sinkender Tendenz praktisch nur mehr als Zierde fungiert, ist die Unabhängigkeit Kataloniens auch eine Frage der Sprache: Im August erregte der katalanische Justizminister Germà Gordó spanienweites Aufsehen, als er anregte, ein unabhängiges Katalonien könne - ähnlich wie Deutschland, Rumänien, Ungarn oder Russland - auch Volkszugehörigen Pässe ausstellen, die nicht in den Grenzen des neuen Staates leben. Dabei nannte er Valencia, die Balearen sowie Teile Südfrankreichs und Aragons (nicht jedoch den vom französischen Staatspräsidenten und dem Bischof von Urgell gemeinsam beherrschten Zwergstaat Andorra, in dem Katalanisch alleinige Amtssprache ist).
In der Region Valencia spricht etwa ein Drittel der fünf Millionen Einwohner zu Hause eine Mundart, die faktisch ein katalanischer Dialekt ist, aber aus politischen Gründen nicht immer so genannt wird. Auf den Balearen sind es knapp die Hälfte der 1,1 Millionen Insulaner. In Aragon und in Frankreich versteht man die Sprache in den Grenzgebieten zu Katalonien noch, spricht sie aber im Alltag eher selten.
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