Sachbücher des Monats: August 2014

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

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Jeden Monat neu präsentiert von der Süddeutschen Zeitung, dem Norddeutschen Rundfunk, Buchjournal, Börsenblatt und Telepolis. (Die Jury )

Im Frühjahr 1954 posierte André Malraux für einen Fotografen der Illustrierten Paris Match mit den ausgelegten Doppelseiten eines Kunstbildbandes. Dabei entstand eine Ikone der modernen Kulturgeschichte, die bis heute durch viele Bücher und Kataloge geistert. Der Kunsthistoriker Walter Grasskamp analysiert Strategien der Selbstinszenierung dieses umstrittenen Autors und Politikers, um sich anschließend dem Buch

Le Musée imaginaire de la sculpture mondiale

zuzuwenden - ein imaginäres Museum der Weltkunst. Vorbilder, Entwicklungsgeschichte und Wirkung der Idee eines imaginären Museums stehen dann im Mittelpunkt des Buches, das auch ein vergessenes Vorbild Malraux' vorstellen kann: Die

Encyclopédie photographique de l'art

, die der Fotograf André Vigneau zwischen 1935 und 1949 publiziert hatte. Mit dieser Wiederentdeckung wird der Vergleich verschiedener Modelle der frühen Kunstpublizistik möglich, unter denen der Münchner Anthologie

Der Blaue Reiter

der Rang eines Pionierunternehmens zukommt: 1912 suggerierte sie zum ersten Mal typografisch die neue und kontroverse Idee einer Weltkunst, der auch Malraux anhing und deren Blütezeit hier rekapituliert wird.

C.H. Beck Verlag, 232 Seiten, 65 Abb., € 29,95

oder Die Vermessung des Bösen

War der Marquis de Sade (1740 - 1814) ein Sadist, Verbrecher und Geisteskranker oder ein Aufklärer, ja ein Vorkämpfer gegen Triebunterdrückung und scheinheilige Moral? Der Historiker Volker Reinhardt versucht in dieser De-Sade-Biographie das wahre Leben des südfranzösischen Adeligen hinter den zahlreichen Mythen und Bildern freizulegen. Er beschreibt mit Material aus dem 18. und 19. Jahrhundert die freigeistige, ausschweifende Jugend des schönen Marquis, seine ersten Experimente mit unschuldigen Opfern, die lange Zeit der Flucht und Gefangenschaft, sein Engagement in der Französischen Revolution und schließlich seine letzten Jahre in einem Irrenhaus. Besonderes Augenmerk gilt dabei den philosophischen Romanen de Sades, in denen Männer und Frauen auf abgelegenen Schlössern sexuelle Konstellationen testen, auf grausamste Weise die moralische Widerstandskraft ihrer Opfer auf die Probe stellen, dabei über die Natur des Menschen räsonieren und so in Wort und Tat das Böse vermessen. Am 2. Dezember 1814 starb de Sade, aber die Erinnerung an ihn ließ sich nicht auslöschen. Im Schlusskapitel zeigt Volker Reinhardt, wie der "göttliche Marquis" von der Psychoanalyse über Nietzsche und die Kritische Theorie bis hin zu Surrealismus und Existentialismus zu einer Schlüsselgestalt der Moderne geworden ist

C.H. Beck Verlag, 464 Seiten, € 26,95

Eine innere Geschichte des neuen Amerika

Niemand kann mit Sicherheit sagen, wann die Abwicklung begann - wann die Bürger Amerikas zum ersten Mal spürten, dass die Bande sich lösten. Dass der Glaube an die gemeinsame Zukunft nicht mehr gültig ist. Doch irgendwann bemerkten es alle: Tammy, Fabrikarbeiterin, Dean Price, gläubiger Kleinunternehmer, Matt, Irak-Kriegsveteran, aber auch die vermeintlichen Gewinner wie Oprah Winfrey, Rapper Jay-Z oder der PayPal-Investor Peter Thiel. Das große Versprechen von Glück und Wohlstand für alle gilt nicht mehr. Institutionen und Werte sind ausgehöhlt. Es zählt nur noch eine Macht: das organisierte Geld. Aus dem Amerikanischen von Gregor Hens

S. Fischer Verlag, 510 Seiten, € 24,99

Unsere Gegenwart gefällt sich darin, Zukunft als Katastrophe zu denken, in Kino, Wissenschaft und Literatur. Eva Horn geht der Geschichte und den Motiven dieses modernen Katastrophenbewusstseins nach. Sie legt dabei die biopolitischen Konflikte frei, die in den Untergangsszenarien - von der Verdunklung des Globus über den Atomtod bis zum Klimawandel - ausgetragen werden. Sie zeigt aber auch, wie in den Rufen nach Sicherheit und Prävention Fiktionen wirksam sind, die man als solche begreifen und analysieren muss. Die künftige Katastrophe zu entziffern bedeutet nämlich immer, eine Geschichte schon zu Ende zu erzählen, die sich erst noch ereignen soll.

S. Fischer Verlag, 475 Seiten, € 24,99

Neoliberalismus und die neuen Machttechniken

Byung-Chul Han setzt in seinem neuen Essay seine Kritik am Neoliberalismus fort. Er führt die Herrschafts- und Machttechnik eines "neoliberalen Regimes" vor, die (im Gegensatz zu Foucaults Biopolitik) die Psyche als Produktivkraft entdeckt hat, und beschreibt eine "neoliberale Psychopolitik", die in eine Krise der Freiheit führt. Im Rahmen dieser Analyse einer "neoliberalen Machttechnik" legt der Südkoreaner darüber hinaus eine Theorie über Big Data und eine Phänomenologie der Emotion vor. Außerdem entwirft er Gegenmodelle dazu.

S. Fischer Verlag, 124 Seiten, € 19,99

In Stalins Sowjetunion durfte es keine Nomaden geben. Sie waren weder politisch noch ökonomisch kontrollierbar; staatliche Herrschaft ließ sich daher kaum durchsetzen. Deshalb begannen die Bolschewiki Ende der 1920er Jahre damit, die multiethnische Bevölkerung Kasachstans mittels Sesshaftmachung, Kollektivierung und "Dekulakisierung" zu unterwerfen. Die Beschlagnahme der landwirtschaftlichen Ressourcen, vor allem der Viehherden, zerstörte die Lebensgrundlagen der kasachischen Nomaden. Die Ökonomie der Steppe brach zusammen. Eine Hungerkatastrophe, die zwischen 1930 und 1934 mehr als eineinhalb Millionen Menschen das Leben kostete und Hunderttausende zu Flüchtlingen machte, war die Folge. "Sowjetisierung durch Hunger" - so nennt Robert Kindler das Projekt der Bolschewiki, Menschen durch die Inszenierung von Krisen in gehorsame Untertanen zu verwandeln. Je größer die Krise, je schlimmer Chaos und Elend waren, desto größer wurde die Macht der Herrschenden. Robert Kindler untersucht nicht nur, was diese Hungersnot auslöste, sondern auch, was sie über die Herrschaftsdurchsetzung an der sowjetischen Peripherie aussagt.

Hamburger Edition, 381 Seiten, € 28,00

Auf Entdeckungsreise durch unseren Verdauungstrakt

Wir riechen und schlürfen, schmecken, kauen, schlucken. Und dann? Was passiert mit Müsli, Steak, Salat und Cola, wenn sie im Schlund verschwunden sind? Mary Roach, die Spezialistin für das ungewöhnliche in den Naturwissenschaften, nimmt uns mit auf eine Reise durch den Verdauungsapparat - vom Mund bis zum After -, die keine Frage auslässt: Warum mögen wir so gern Knuspriges? Warum verdaut der Magen sich nicht selbst? Wie viel kann man essen, bevor der Magen platzt? Kann uns eine Verstopfung umbringen? (Und ist Elvis Presley vielleicht daran gestorben?) Mary Roach trifft Wissenschaftler, die sich mit eher anrüchigen Themen befassen, besucht ein Tierfuttertestlabor, schaut dem Magen bei der Arbeit zu und untersucht den Darm als potentielles Versteck. Aus dem Englischen von Katrin Behringer

Deutsche Verlags-Anstalt, 384 Seiten, € 14,99

Eine Biographie

Nach mehrjährigen Forschungen und ausführlichen Gesprächen mit Weggefährten, Zeitzeugen sowie mit Jürgen Habermas selbst legt Stefan Müller-Doohm nun die erste umfassende Biographie des letzten Überlebenden der Kritischen Theorie vor. Sie beleuchtet sowohl das Zusammenspiel von philosophischer Reflexion und intellektueller Intervention als auch das Wechselverhältnis von Lebens- und Werkgeschichte vor dem Hintergrund historischer Ereignisse.

Suhrkamp Verlag, 784 Seiten, € 29,95

Karl der Große und die Bildpolitik des Körper

Wurde Aachen zur Europastadt, weil Karl der Große ein passionierter Schwimmer war? Und was hat Mao Tse- tung damit zu tun? Beide Herrscher verbindet eine Politik des Schwimmens. Indem die politischen Akteure sich schwimmend abbilden ließen, wurde der eigene Körper zum Ausweis von sportlicher Tatkraft, patriarchalischer Fürsorge und Führungsstärke überhöht und das Schwimmen zum Hauptelement einer körperbezogenen politischen Ikonologie. Die Beziehung von Wasser, Körper und Macht setzt sich bis heute fort, beispielsweise in der Inszenierung Wladimir Putins als Unterwasserarchäologe.

Verlag Klaus Wagenbach, 176 Seiten, € 26,00

Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Kosmos

Zeit ist etwas völlig Selbstverständliches für uns, wir erleben, wie sie vergeht, wenn wir auf die Uhr schauen, Kindern beim Älterwerden zusehen oder Wettrennen beobachten. Und doch haben Physiker von Newton über Einstein bis zu den heutigen Quantenphysikern eine andere Auffassung der Zeit. Für sie ist sie nicht real, sondern eine Illusion. Für sie wird das Universum von Gesetzen beherrscht, die außerhalb der Zeit stehen, zeitlos sind, von Newtons Gravitationsgesetz bis zur Formel e=mc². Lee Smolin hingegen sieht Zeit als die einzige fundamentale Größe des Universums. Alles andere, auch die vermeintlich unabänderlichen Gesetze, unterliegen seiner Auffassung nach der Veränderung in der Zeit. Newtons Gesetze werden vielleicht nicht immer so grundlegend bleiben, wie wir sie heute verstehen. Mit dieser revolutionären Auffassung stellt er die Zeit in den Mittelpunkt unseres Denkens über die Welt und erklärt, welche Auswirkungen das auf uns, auf die Welt, auf das Universum hat. Aus dem Englischen von Jürgen Schröder

Deutsche Verlags-Anstalt, 416 Seiten, € 24,99

Besondere Empfehlung des Monats August von Hilal Sezgin:

Erkenntnislehre und Lebensweg

Muhammad al-Gazali (1058-1111) zählt zu einer Schlüsselfigur der islamischen Geistesgeschichte. Diese Einführung in seinen Lebensweg und seine Erkenntnislehre macht deutlich, warum al-Gazali mehr denn je für die gegenwärtigen Diskurse der islamischen Theologie von großer Bedeutung ist. Wie erkennt man die Wahrheit der Dinge? Kann man die Realität schmecken? Kann das Herz erkennen? Was ist eigentlich Glückseligkeit? Wie erlangt man innere Gewissheit? Und wie weit ist man bereit zu gehen, um zu ihr zu gelangen? Wissbegierde, epistemologische und existenzielle Krisen, Wendepunkte und Transformationen ein Buch über einen bemerkenswerten und mächtigen Gelehrten des Islam.

Kalam Verlag (Freiburg), 118 Seiten, € 12,00

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