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Die Entwicklungshilfe gerät immer stärker in den Sog sicherheitspolitischer Erwägungen
Mit der Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik ändert sich auch der Charakter der Entwicklungshilfe. Eingebunden in das ressort-übergreifende Konzept der "vernetzten Sicherheit", folgt sie mehr und mehr einer militärischen Logik. Das bringt sie in einen Zielkonflikt mit ihren bisherigen Kerngeschäften "Armutsbekämpfung" und "Demokratie-Förderung".
Die Zentralafrikanische Republik stand bisher nicht auf der Agenda der bundesdeutschen Entwicklungshilfepolitik, da Berlin das Land der Einflusssphäre Frankreichs zurechnete. Mit der Entscheidung, sich an der hauptsächlich von Paris getragenen EU-Mission "EUFOR RCA" zu beteiligen und 80 Soldaten für das Ausfliegen von Verwundeten dorthin zu entsenden, änderte sich das jedoch.
Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller verkündete im Bundestag einen neuen Ansatz der Kooperation mit Frankreich und ernannte die Zentralafrikanische Republik zum neuen "Zielland" deutscher Entwicklungszusammenarbeit. "Ich wurde nicht nach Soldaten gefragt. Ich wurde nach Entwicklungshelfern, nach Ärzten und nach Hilfe im zivilen Bereich gefragt. Aber ich danke den französischen Freunden, die hier großartige Arbeit leisten", erklärte der CSU-Politiker.
Mali, wo gerade 250 Bundeswehr-Soldaten Armee-Angehörige im Rahmen einer EU-Ausbildungsmission schulen, gehört dagegen schon zu den Zielländern des "Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" (BMZ), erhält jedoch zusätzliche Mittel zur Versorgung von Flüchtlingen. In Afghanistan bleibt Bundesministerium ebenfalls aktiv; eine "Verlässliche Partnerschaft in Zeiten des Umbruchs" will man dort gewähren. Für den Schutz der zivilen Helfer sollen dabei internationale Truppen und die Bundeswehr sorgen. "Wir können uns nicht komplett auf afghanische Sicherheitskräfte verlassen", so Müller in einem Interview mit der "Zeit".
Am Hindukusch hat die Kollaboration auch begonnen. Unter Federführung des Auswärtigen Amtes entwickelten Verteidigungsministerium, Innenministerium und BMZ 2003 gemeinsam das erste Afghanistan-Konzept. Es sah sowohl eine Aufstockung der Truppen als auch größere Entwicklungshilfe-Anstrengungen vor und wies dem Bonner Ministerium dabei die Aufgabe zu, die Wiederherstellung der Wasser- und Energieversorgung sowie andere Infrastruktur-Maßnahmen zu koordinieren. "Durch ein verstärktes ziviles und militärisches Engagement" beabsichtigte die Bundesregierung damals, dazu beizutragen, "dass der Teufelskreis aus mangelnder Sicherheit und fehlendem Aufbau-Fortschritt durchbrochen wird".
Entwicklungshilfe embedded
In der Praxis erwies sich die Devise "Getrennt marschieren, vereint schlagen" allerdings als nicht allzu erfolgreich. Hatte das BMZ anfangs noch viel Wert auf eine auch räumliche Trennung vom Bundeswehr-Feldlager gelegt und in Kunduz das "Deutsche Haus für Entwicklungspolitik" eröffnet, so trieben die veränderte Sicherheitslage - und der neuer Dienstherr Dirk Niebel - die Aufbauhelfer zunehmend unter die Kuratel der Truppe. Infolgedessen wurden diese immer stärker als ein Teil der Armee wahrgenommen, was der Arbeit Akzeptanz-Probleme bescherte und die Gefahr für Leib und Leben erhöhte.
Damit nicht genug, mussten die Einwicklungsexperten zudem noch mit den zivilen Angeboten von Bundeswehr und anderen Armeen konkurrieren. Es gehörte nämlich bald zur Strategie der kämpfenden Verbände, die "hearts and minds" der Bevölkerung mit kleinen Aufmerksamkeiten gewinnen zu wollen. Sie hatten sogar einen Fachterminus dafür: CIMIC. "Deutsche Soldaten im Auslandseinsatz reparieren Schuldächer oder bohren Brunnen - diese Bilder verbindet die Öffentlichkeit mit dem Begriff CIMIC (Civil Military Cooperation), erklärt die Bundeswehr unter der Überschrift "CIMIC - inmitten der Bevölkerung".
Die Hardthöhe lässt allerdings keinen Zweifel am Sinn der Übung: "CIMIC ist keine Entwicklunghilfe, sondern Bestand der militärischen Operationsführung." Die Verwechslungsgefahr war dennoch groß, wenn die Hilfsgüter vom Himmel fielen, aber sie rieselten eben nicht über den ärmsten Regionen, sondern über den strategisch wichtigsten ab. Und Brunnen entstanden ebenfalls bevorzugt dort und nicht etwa wegen des akuten Bedarfs, sondern weil es sich um umgehend positive Resonanz versprechende "Quick Impact Projects" handelte. Zeitraubendere und aufwendigere, dafür aber umfassender wirkende Unternehmungen nahm die Bundeswehr hingegen nicht in Angriff.
Das Geld für die grün-olive Entwicklungshilfe kam trotzdem nicht aus dem Wehr-Etat: "Die Spanne der 'Geldgeber' reicht vom Auswärtigen Amt oder dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit über nationale und internationale Organisationen bis hin zu freigiebigen Privatpersonen", erklärt die Armee. Auch über die "Quick Impact Projects" hinaus gaben sich die Militärs gern einen zivilen Anstrich und benutzten der Tarnung wegen nicht gekennzeichnete Zivil-Fahrzeuge, was die Verwechslungsgefahr für Helfer noch einmal erhöhte. Nicht wenige Nichtregierungsorganisationen (NRO) haben wegen dieser Verwischung der Grenzen ihre Tätigkeit in Afghanistan schließlich eingestellt, und auch Venro, die bundesdeutsche Dach-Organisation von Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit, kritisiert die Instrumentalisierung von Aufbau-Arbeit scharf. "Die NRO wehren sich gegen die zunehmende Dominanz sicherheitspolitischer Überlegungen, die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe 'im Windschatten militärischer Interventionen' vor allem als strategische Option betrachten", heißt es in einer Stellungnahme zum Konzept der "vernetzten Sicherheit".
Mythos "failed state"
Nichtsdestotrotz blieb die Entwicklungshilfe seither "embedded". Afghanistan hatte die Blaupause für eine Politik geliefert, die in "failed states" nicht nur die Mutter aller modernen Kriege, sondern auch von Terror, Gewalt und Kriminalität zu erkennen glaubt und deshalb auf zivil-militärische Zusammenarbeit bei Friedenserzwingung und "nation building" setzt. "Ohne Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung keine Sicherheit", sollte es seither immer heißen.
Auch in das jüngst veröffentlichte BMZ-Papier "Die neue Afrika-Politik" fand dieses Denken Eingang. "Die größte Gefahr und das größte Hemmnis für Entwicklungserfolge sind Krisen und gewaltsam ausgetragene Konflikte", stellt das Dokument fest. Flucht und Vertreibung führt es ebenfalls auf diese Gründe zurück. Deshalb gilt es für das BMZ zunächst, "die Waffen zum Schweigen zum bringen", dann allerdings - "Wir dürfen unseren militärischen Einfluss in Afrika nicht überschätzen" - müssten diplomatische und entwicklungspolitische Strategien zum Zuge kommen. "Ohne schnelle zivile Unterstützung und mittelfristige Perspektiven für die Menschen wird es nicht möglich sein, den Frieden zu konsolidieren und damit weiterer Gewalt vorzubeugen", heißt es in dem Text.
Aber ungeteilte Zustimmung fand - und findet - der "failed state"-Ansatz im BMZ nicht. "Mit Blick auf die Ursachen der verschiedenen sicherheitspolitischen Herausforderungen (Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, Völkermord, organisierte Kriminalität) ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass diese in der Regel nicht in einem systematischen oder strategischen Verbund miteinander stehen", hielt das Ministerium 2004 in dem Bericht "Zum Verhältnis von entwicklungspolitischen und militärischen Antworten auf neue sicherheitspolitische Herausforderungen" fest. Der britische Sozialwissenschaftler Aidan Hehir kann dem Staatsversagen-Theorem ebenfalls nichts abgewinnen und spricht vom "Mythos failed state".
Viele Forscher halten indessen nach wie vor Armut für die Hauptursache von Kriegen in Entwicklungsländern. Sogar die Weltbank teilt Jürgen Wagner zufolge diese Ansicht: "Empirisch ist das auffälligste Muster, dass sich Bürgerkriege besonders auf arme Staaten konzentrieren." Werner Ruf, emeritierter Professor für internationale Beziehungen und Außenpolitik, sieht "Elend, Hunger und Perspektivlosigkeit" auch als wesentliche Triebkräfte für die desaströse Lage im neuesten Einsatzgebiet "Zentralafrikanische Republik" an, das auf dem "Human Development Index" der UN den 180. und damit siebtletzten Platz belegt. Daneben macht er in dem chrismon-Interview jedoch noch die Politik der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich für die jetzige Situation mitverantwortlich, weil diese dort Herrscher beinahe nach Belieben ein- und wieder abgesetzt und ein System aus Ausplünderung, Korruption und Kriminalität errichtet habe.