Safety first
Seite 2: Mit Sicherheit keine Demokratie
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Aber nicht nur die Armutsbekämpfung droht im Zuge der "Versicherheitlichung" der Politik aus dem Blickfeld zu geraten, sondern auch die Demokratie-Förderung. Seit der Westen in den politischen Beziehungen zu afrikanischen Ländern den Schwerpunkt vermehrt auf die Bekämpfung des Terrorismus und der Piraterie legt, geraten dort bürgerliche Freiheiten zunehmend unter Druck. "Die Priorisierung sicherheitspolitischer Ziele über andere Ziele (...) hat in vielen Staaten der Region die Zunahme von Repression (durch Gesetze) und die Stärkung der Sicherheitsapparate verstärkt", konstatiert eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Ein Beispiel dafür ist Äthiopien, mit dessen Außenminister Tedros Adhanom Ghebreyesus Frank-Walter Steinmeier Ende März in Addis Abeba zusammentraf. In der anschließenden Pressekonferenz bezeichnete der SPD-Politiker die Nation laut Auswärtigem Amt "als einen wichtigen Partner, der bei der Lösung zahlreicher Konflikte in der Region eine wichtige Rolle spiele" und beispielsweise für Stabilität am Horn von Afrika sorge. Deshalb kündigte er auch eine stärkere Hilfe Deutschlands bei der Ausbildung von Sicherheitskräften an. Dass Äthiopien bei den Konfliktlösungen im Kampf gegen den Terrorismus wenig zimperlich vorgeht, stellt dafür keinen Hinderungsgrund dar. 2006 marschierte das Land kurzerhand in Somalia ein, um die gemäßigt-islamistische Regierung abzusetzen, und auch im eigenen Land kennt es kaum Pardon. So wirft Amnesty International der Nation unter anderem vor, bei Protestkundgebungen gegen die Einschränkung der Glaubensfreiheit Hunderte von Muslimen inhaftiert zu haben und in den Gefängnissen zu Foltermethoden zu greifen.
Das alles war dem Auswärtigen Amt nach ellenlangen Ausführungen zur sicherheitspolitischen Agenda der Visite nur einen lapidaren und mit dem restlichen Inhalt in keinerlei Zusammenhang stehenden Schlusssatz wert: "Am Abend kam schließlich auch die innenpolitische Lage in Äthiopien bei einem Gespräch mit Vertretern der Zivilgesellschaft zur Sprache."
Zuvor allerdings, beim Zusammentreffen mit Außenminister Tedros Adhanom Ghebreyesus, war auch schon ein bisschen die Rede davon. Steinmeier gab in einem Interview mit der Deutschen Welle an, Menschenrechtsfragen "intensiv thematisiert" zu haben und referierte die Haltung seines Amtskollegen dazu: "Er besteht auf einem besonderen äthiopischen Weg. Im Fernziel seien wir uns einig: Auch die äthiopische Regierung wolle Demokratie und Beachtung der Menschenrechte." Steinmeiers Kommentar dazu: "Wir haben das zur Kenntnis genommen, aber doch darauf verwiesen, dass nach unserer Erfahrung wirtschaftliche Entwicklung und Demokratie nicht auseinanderzureißen sind." Dann war das also auch mal wieder gesagt.
Im Koalitionsvertrag haben SPD und CDU eine solche Menschenrechtspolitik für die Galerie bei Zielkonflikten zwischen Demokratie und Stabilität ausdrücklich legitimiert. "Wenn es Frieden und Sicherheit dient", kann schon einmal "zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit Ländern, in denen das Regierungshandeln systematisch im Widerspruch zu unseren Werten steht", erfolgen, schreiben die Großkoalitionäre dort.
Und auch die EU geht zum Nachteil der Demokratie auf Nummer sicher. So konstatiert Stefan Brüne in seinem Aufsatz "Testfall Äthiopien: Die neue Afrika-Strategie der Europäischen Union": "Zwar verzichten Vertreter der Europäischen Union auch weiterhin nicht auf öffentliche Kritik an der Menschenrechtspolitik der EPRDF (die seit 1991 amtierende Regierungspartei, Anm. d. V.), aber die Rolle des Democracy Promotors trat erkennbar hinter der des International Security Agent zurück."
Wessen Sicherheit?
Zudem ist bei dieser Akzentverschiebung nicht einmal richtig klar, wessen Sicherheit eigentlich im Fokus steht. Deutlich wird das in dem Aufsatz, den Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihr französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian aus Anlass des EU-Afrika-Gipfels und der verstärkten militärischen Kooperation beider Länder in Mali und der Zentralafrikanischen Republik gemeinsam für die Faz verfasst haben. Suggerieren die Überschrift "Afrika stabilisieren" und die ersten Zeilen noch das Bemühen, dem Kontinent selber helfen zu wollen, so machen die Politiker im weiteren Verlauf den sich angeblich immer stärker verbreitenden Terrorismus schon als große Gefahr für die Sicherheit Afrikas und Europas aus und sprechen schließlich nur noch pro domo. "Es geht um die Versorgung mit strategisch wichtigen Gütern, strategische Handelsinteressen und auch um die Sicherheit europäischer Staatsbürger in Afrika", heißt es in dem Artikel, als wär's ein Stück von Peter Struck, der ja immer schon wusste, was am Hindukusch verteidigt wird: Deutschlands Sicherheit.
Natürlich durfte auch hier wieder der Sermon "Ohne Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung keine Sicherheit" nicht fehlen, aber wenn es jetzt scheint, als ob jeder Entwicklungshilfeminister ein wenig Sicherheitspolitiker und jeder Verteidigungsminister ein wenig Entwicklungshilfe-Minister ist, so hat die Reziprozität doch Grenzen. Schon aus aufgeklärtem Eigeninteresse bemüht sich das BMZ immer ein wenig um Abgrenzung und legt die Schwerpunkte anders.
Während Angela Merkel Anfang April beim EU-Afrika-Gipfel mehr militärisches Engagement Deutschlands bzw. den Willen "auch stärker in Afrika Verantwortung zu zeigen neben der klassischen Entwicklungspolitik" ankündigte, stand Gerd Müller den Waffengängen in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung skeptisch gegenüber. Ein europäisches Krisenreaktionskonzept mit einer Polizei-Komponente und Ordnungskräften sei gefragt in Mali und anderswo, "sehr viel mehr als nur schweres militärisches Gerät". Und auf die Frage, ob bisher zu viel Geld in militärische und zu wenig in zivile geflossen sei, antwortete er: "Wir müssen von einer vernetzten Sicherheit zu einer vernetzen Entwicklung kommen."
Beim neuen Afrika-Konzept der Bundesregierung, welches das BMZ gerade gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium erstellt, könnte der CSU-Politiker diesen Prozess anstoßen. Er dürfte sich mit seinen Vorstellungen gegenüber Steinmeier und von der Leyen allerdings kaum durchsetzen. Die Entwicklungszusammenarbeit wird deshalb vorerst weiter im Sicherheitsnetz zappeln.