Sag mir, wo die Bomben sind wo sind sie geblieben?
Lügendetektoren im Einsatz in Los Alamos
Wohin die brisanten Informationen auf zwei Datenträgern aus dem US-Atomwaffenlabor Los Alamos verschwunden sind, ist immer noch unbekannt. Inzwischen ruht die Arbeit dort und alle Beschäftigten sollen erneut eingehend in Sachen Sicherheitsstandards geschult werden. Aber der neueste Skandal ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass sich in der Forschungsstätte und Waffenschmiede immer wieder beachtliche Sicherheitslücken auftun, in denen Material verschwindet.
Wer momentan die Website des Los Alamos National Laboratory besucht, erfährt nichts über die aktuellen Vorkommnisse außer dem lapidaren Hinweis: "Solange die Aktivitäten ausgesetzt sind, bleibt das Labor bei den normalen Öffnungszeiten.“ Keine Pressemitteilung bezieht Stellung zur aktuellen Situation.
Entsprechend ist es nicht erstaunlich, dass Satiriker bereits eine ersten Bericht online gestellt haben, das gesamte Laboratorium mitsamt allen Mitarbeitern und einer vor Ort befindlichen Untersuchungskommission sei leider komplett verschwunden (Los Alamos Now Lost Alamos).
Schlamperei und Sicherheitslücken
Ganz so schlimm ist in Wirklichkeit nicht, aber die Fakten sind auch ganz ohne Ironie erstaunlich. Seit Jahren ist die Forschungsstätte, die heute sowohl Grundlagenforschung betreibt (Magnetfeld des Mondes) als auch Plutonium-Pits, Kernbestandteile nuklearer Sprengköpfe herstellt (Neustart der US-Atomwaffen-Produktion), immer wieder wegen Sicherheitslücken und Schlampereien in die Schlagzeilen.
1999 wurden hier geheime Daten über das amerikanische Atomwaffenprogramm von dem Wissenschaftler Wen Ho Lee auf einem allgemein zugänglichen Rechner abgespeichert, wobei der Verdacht von Spionage für China im Raum stand (Daten aus US-Atomwaffenlabor geklaut), aber nicht nachgewiesen wurde. Der asiatische Amerikaner könnte auch schlicht Opfer von rassistischen Vorurteilen geworden sein (Justice for New Americans).
Aber das war nicht der einzige Fall von Spionage in Los Alamos seit seiner Gründung 1943. Und das obwohl das Labor der Ort ist, wo unter strengster Geheimhaltung einst die erste Atombombe gebaut wurde und heute das Personal das Atomwaffenarsenal der USA sowie nationale Vorräte an Tritium, Plutonium und angereichertem Uran verwaltet und wartet und schon die russische Atom- und Wasserstoffbombe durch Spionage in Los Alamos zustande kam.
Spionage mit Tradition
Dazu kamen jede Menge anderer dubioser Vorfälle, die sich in den letzten Jahren ballten. Im Jahr 2000 tauchten nach mehrwöchiger Suche verschwundene Computer-Festplatten, auf denen geheime Daten über die nuklearen Waffen Frankreichs, Russlands und Chinas gespeichert waren, hinter einem Fotokopiergerät wieder auf. 2001 wurde dann ein Mitarbeiter als Hacker festgenommen (Sicherheitslücken beim Los Alamos National Laboratory?). Im Jahr 2002 kam heraus, dass Eigentum der Einrichtung im Wert von fast drei Millionen Dollar nicht auffindbar war. Vergangenes Jahr fehlten plötzlich sogar zehn Datenträger und der Direktor Pete Nanos beurlaubte mehrere Angestellte zwangsweise. In Los Alamos tut sich offensichtlich in kurzen Zeitabständen immer wieder ein Sicherheits-Wurmloch auf, in das Materie hineingesogen wird.
Jetzt stellte sich heraus, dass erneut zwei Zip-Disks mit geheimen Informationen aus der Waffen-Abteilung der Physik nicht auffindbar sind. Wie das Project On Government Oversight aufdeckte, wurden zudem mindestens 17 E-Mails mit als geheim eingestuftem Inhalt über ungeschützte Computer verschickt. Dazu kamen diverse Unfälle, erst letzte Woche verletzte sich eine 20jährige Beschäftige mit einem Laser am Auge, weil alle davon ausgegangen waren, dass das Gerät abgeschaltet sei.
Und das alles, obwohl Pete Nanos als Reaktion auf einen Vorfall mit Plutonium im vergangen Sommer, bei dem zwei Arbeiter leicht verstrahlt worden waren, erst jüngst der Öffentlichkeit versichert hatte: "Sicherheit, Absicherung und Zuverlässigkeit sind unsere Top-Prioritäten." (Laboratory receives preliminary notice of violation). Er ist erst seit 2003 Direktor in Los Alamos, sein Vorgänger musste wegen der Schlampereien, Diebstähle und Sicherheitsmängel seinen Hut nehmen.
Zwangsurlaub und Lügendetektoren
Jetzt sind fast alle der 12.000 Beschäftigen zwangsweise beurlaubt. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat Direktor Nanos allen einen deutlichen Brief geschrieben, in dem er ankündigt, es werde erst wieder weitergearbeitet, wenn
keine Abteilung die Sicherheit, den Geheimnisschutz oder die Umwelt gefährdet. Mir egal, wie viele Leute ich feuern muss. Wenn Sie glauben, Regeln seien Quatsch, kündigen Sie jetzt und ersparen es mir.
Der Großteil hat bei spontan angesetzten Schulungen zu erscheinen. Wie ein Sprecher der Institution, Kevin Roark, mitteilte, sollen die Wissenschaftler jetzt das grundlegende ABC erlernen:
Das A steht für Assessment, die Beurteilung ihrer Jobs zusammen mit ihren Managern, das B steht für den (Auf-)Bau von Ablaufplänen für die Büroarbeit und die Teamarbeit, das C für Commitment, die Verpflichtung alles Nötige für die Sicherheit des Labors zu tun.
Die meisten werden in einigen Tagen an ihre Arbeit zurückkehren, aber für die etwa zwanzig Mitarbeiter, aus deren Bereich die Datenträger verschwanden, könnten Monate vergehen, bevor das geschieht. Mit ihnen werden zurzeit intensive Gespräche geführt, und zur Überprüfung ihrer Aussagen werden auch Lügendetektoren eingesetzt. Am Montag versammelten sich die Journalisten am Einganz von Los Alamos, um gleich etwas über den Besuch von Kongressmitgliedern und Vertretern des Energieministeriums vor Ort zu erfahren. Kongressmitglied Diana DeGette sagte nach der Inspektionsvisite gegenüber der New York Times:
Offen gesagt war ich nach den Sicherheitslücken, die sich früher gezeigt hatten, bestürzt darüber, dass diese neuen Probleme auftreten konnten. Es ist für mich deutlich, dass die Schritte, die die frühere Führung unternommen hat, leider ungenügend waren. Ich denke, dass manche der Wissenschaftler die Wichtigkeit der Erfüllung aller Sicherheitsprozeduren nicht verstehen.
Neue Interessenten am Betrieb
Das Energieministerium ist die Behörde, der das Los Alamos National Laboratory untersteht. Das Labor wird seit 61 Jahren im Auftrag des Ministeriums von der University of California geführt. Allerdings ist sehr fraglich, wie lange noch. Eine Ausschreibung läuft, im September 2005 soll neu entschieden werden. Unter den Bewerbern um den Vertrag sind die University of Texas und auch Firmen wie Lockheed Martin. Es geht um die nationale Sicherheit, es geht um eine Menge Prestige und es geht um viel Geld. Das jährliche Budget der Einrichtung beträgt 2,2 Milliarden Dollar.
Entsprechend erstaunt es nicht, dass erste Spekulationen auftauchen, ob einer der Konkurrenten um den lukrativen Vertrag hinter den neuesten Vorfällen stecken könnte, denn eine Diskreditierung der jetzigen Führung könnte die Chancen kommendes Jahr natürlich erhöhen.