Sahra Wagenknecht: Von links bis heute

Seite 2: Die linke Sackgasse

Daraus entsteht ein spannender Kampf um politische Ordnung – im Kopf wie in ihrer politischen Arbeit. Sie beginnt, wie kaum eine andere in Deutschland, den Todeskampf des Kapitalismus in seinem vermeintlich letzten Stadium zu analysieren. Und entwirft einen Ausweg. Ein Konzept für eine radikal neue Wirtschaftsordnung, die Wiedergeburt eines "zweiten Sozialismus" aus dem wiedervereinigten Deutschland. Eine Art soziale Marktwirtschaft Update 2.0.

Ihr politischer Optimismus scheint trotz Voranschreitens des – wie sie es nennt – "Neofeudalismus" ungebrochen. Sie will verändern, den neuen Sozialismus noch selbst erleben. Und ruft als Fraktionsvorsitzende der Linken eine außerparlamentarische Oppositionsbewegung ins Leben mit dem Namen Aufstehen. Burn-out und partieller Rückzug folgen.

Sahra Wagenknechts Denken bildet dabei immer eine intellektuelle Brücke zwischen DDR und BRD, Ost und West. Sie ist Politikerin und politische Ökonomin zugleich, vereint Sachkompetenz mit radikaler Kritik.

So hält sie seit drei Jahrzehnten das Bewusstsein wach, dass der Kapitalismus am Ende ist und über eine andere, bessere Welt nachgedacht werden sollte. Sie mahnt: Wir brauchen den Systemwechsel.

Trotz aller Wandlungen von der DDR-Sozialistin zur Verfechterin von Markt, Wettbewerb und Leistung hat sich Sahra Wagenknechts inneres Koordinatensystem, ihr Kompass in den letzten dreißig Jahren nicht geändert. Sie bleibt auf Kurs. Und der ist keineswegs auf Umsturz ausgerichtet, sondern auf ein eher konservatives Programm.

Von Goethe und Hegel, ihren geistigen Vätern inspiriert, kämpft sie um ökonomische Ordnung und Sicherheit, um nationalen Wohlstand und eine bessere Führung der Gesellschaft. Und um Reichtum mit weniger Gier, dem sich andere Werte wie Freiheit unterzuordnen haben. Illiberale Schwingungen waren in ihrem Denken immer präsent. Im Zuge der "Flüchtlingskrise" kommen sie verstärkt wieder an die Oberfläche.

Ihr großes Verdienst: Mit Sachverstand hebelte sie seit den 90er-Jahren die neoliberale Rhetorik aus, wo immer sie auftritt. Und sie legte den Finger in die Wunde einer immer weniger leistungsfähigen und unsozialen Volkswirtschaft. Sie blieb fokussiert und hat vielen Menschen mit ihrer Analyse und Kritik Mut gemacht.

So wird sie trotz Widerständen gegen ihren "Kommunismus" Stück für Stück zur Ikone der Linken, verbindet dabei fast spielerisch Kapitalismuskritik mit dem Alltagskampf für soziale Reformen. Das unterscheidet sie von den Helden der 68er-Proteste im Westen, die in ihrem Marsch durch die Institutionen den Kurs aus den Augen verloren haben.

Sahra Wagenknechts Marsch durch die Nachwende-BRD verläuft anders. Sie bleibt auf Kurs, weil ihr Antrieb tiefer wurzelt. Und weil die Politikerin Wagenknecht mit der politischen Ökonomin Wagenknecht gemeinsam vorangehen.

Sie vertritt dabei einerseits realpolitische Reformen mit ökonomischem Sachverstand, der weiß, wie der real-existierende Kapitalismus funktioniert. Ihr eigentliches Ziel ist aber der Systemwechsel. Denn, wie sie früh feststellt, stellen Lösungen innerhalb des kapitalistischen Systems keine Überwindung des Grundübels dar.

Daher kreisen ihre Gedanken immer wieder um ein gesellschaftliches Alternativmodell zum Kapitalismus. Ihr Gegenentwurf besteht in einer sozialeren Leistungsgesellschaft, orientiert an maximalem Output und Wohlstand.

Die Idee von Wagenknecht ist: Entmachtung des Großkapitals, langsame Ersetzung durch die "klugen Köpfe" der Koordinierer-Klasse, die den Laden in Zukunft allein organisieren sollen, mehr Markt und Konkurrenz, während der geplünderte Teil der Welt grosso modo mit Versprechungen abgespeist wird.

Doch damit werden der Kapitalismus und das darin enthaltene Ur-Übel nicht wie versprochen überwunden. Das moralische Dilemma von Freiheitsbeschneidungen, Ungerechtigkeiten und Machtballungen schwelt auch im "kreativen Sozialismus" Wagenknechts weiter.

Ihr umstürzender Sozialismus endet im Versuch, den Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Sie glaubt dabei nicht, wie Adam Smith in seinem Hauptwerk "The Theory of Moral Sentiments", an Ergebnisgleichheit, sondern an gleiche Chancen, also Leistungsgerechtigkeit.

Ihre Reform, die im Kern einen revolutionären "Enteignungsakt" enthält, ermöglicht dabei keine Demokratisierung von unten, Freiheit und Gerechtigkeit. Ihre soziale Marktwirtschaft 2.0 befördert keineswegs, wie Wagenknecht meint, menschliche Kreativität und Vielfalt. Sie plädiert für Elitenkoordination, Märkte und Parteien, nicht für ihre Überwindung. An den Modellen für eine demokratische Planung oder regionalen Wirtschaftsdemokratie geht sie vorbei, wie viele Linke.

Realpolitisch kann zudem davon ausgegangen werden, dass die revolutionäre Entmachtung des Großkapitals, wenn es denn dazu kommen sollte – mit seinen durchaus chaotischen und kämpferischen Abläufen – am Ende die Koordinierer-Klasse mit in den Abgrund ziehen wird. Und wenn nicht, dann wird diese neue tonangebende Klasse die "Masse" genauso in Schach halten wie die vorherige, um Privilegien zu verteidigen.

Wagenknechts Lob der "klugen Köpfe" sowie die Entsorgung globaler Gerechtigkeit ist dabei keineswegs rein parteistrategisch begründet. Ihre Haltung wurzelt im Konzept einer Elitendemokratie und der Apologie nationalen Reichtums, mit diversen anti-libertären Schwingungen, die auch in linken und marxistischen Strömungen anzutreffen sind.

Ihre geistigen Inspirationen stammen nicht zufällig von Goethe und Hegel, konservativ-bürgerlichen Denkern. Heute schließt sie an Intellektuelle wie Paul Collier oder Bernd Stegmann an, die Moral entsorgen und sich im Angesicht des kapitalistischen Weltsturms ins nationale Schneckenhaus der reichen Industriestaaten zurückziehen wollen.

Eine wiederbelebte soziale Marktwirtschaft ist als Ziel aber eine Sackgasse, in die sich die Linke und die Sozialdemokratie seit rund hundert Jahren zunehmend verstrickt haben, wie Rosa Luxemburg schon vor hundert Jahren erkannte.

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