Sanktionen gegen Russland werden verhängt

Erstmals seit dem Kalten Krieg werden wieder Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt, offen ist, ob eine Eskalationsspirale in Gang kommt

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Die Botschafter der 28 Mitgliedstaaten haben sich am Dienstag in einer zehnstündigen Sitzung auf umstrittene Wirtschaftssanktionen gegen Russland geeinigt. Das geschah genau zwölf Tage nach dem mutmaßlichen Abschuss von Malaysia Airlines Flug MH17 über dem Osten der Ukraine. Obwohl weder die Untersuchungen am Absturzort wegen Angriffen der Ukraine beginnen konnten (Ukrainischer Außenminister: "Wir sind die Menschen des Friedens"), noch die Flugschreiber ausgewertet sind und zudem bisher keine Beweise vorgelegt wurden, wird Russland für die fast 300 Toten mitverantwortlich gemacht. Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges vor 25 Jahren werden deshalb wieder Wirtschaftssanktionen gegen Moskau verhängt.

Nicht nur das ist erstaunlich, sondern zudem reibt man sich verwundert die Augen, dass über die so bedeutsame Frage, wie mit einem bisherigen strategischen Partner umgegangen wird, nicht die Regierungschefs entschieden haben. Nein, man ließ dies von gänzlich unbekannten Botschaftern erledigen. Die debattierten im abhörsicheren Hinterzimmer. Hatte man Angst vor neuen Lauschangriffen aus den USA? Dabei waren es doch die USA, die die EU zur Verschärfung der Sanktionen gedrängt hatten.

Es handelt sich um die dritte Stufe der Sanktionen. Zunächst wurden, nachdem sich die Bevölkerung der Krim angeblich mehrheitlich in einer Abstimmung für einen Anschluss an Russland entschied), alle Verhandlungen zwischen der EU und Moskau ausgesetzt. Dabei hatten die USA, die Nato und die EU im Kosovo genau einen Präzedenzfall geschaffen. Dort wurde, anders als auf der Krim, die Abtrennung von Serbien sogar militärisch erzwungen.

Später wurden in der zweiten Stufe die Sanktionen auf einzelne Russen und Ukrainer beschränkt. Zwar hat man die Liste der Betroffenen erneut länger gemacht und 18 weiteren Personen die Einreise in die Gemeinschaft untersagt und Konten bei europäischen Banken gesperrt, doch wurden nun erstmals auch weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Damit wird nun die dritte Sanktionsstufe gezündet. "So soll Russland dazu gebracht werden, im Ukraine-Konflikt an einer diplomatischen Lösung mitzuarbeiten und seine Unterstützung der pro-russischen Milizen in der Ostukraine zu stoppen", teilte die EU-Kommission mit.

Verständigt hat man sich auf Exportverbote und Beschränkungen in vier Bereichen. Künftig dürfen keine Rüstungsgüter zwischen Russland und der EU gehandelt oder Produkte zur zivilen wie auch militärischen Verwendung nach Russland exportiert werden. Ein Exportstopp gilt auch für Hochtechnologie-Geräte, vor allem im Bereich der Ölförderung. Ausgenommen sind ausdrücklich aber Produkte für die Erdgasförderung. Zentral zielen die Sanktionen auf den Finanzsektor ab. Russische Banken, die vom Staat kontrolliert werden, dürfen keine neuen Wertpapiere in der EU mehr verkaufen. Es kommt ein Handelsverbot für neue Anleihen und EU-Bürger dürfen fortan keine russischen Anleihen mehr kaufen. Die Banken sollen nicht mehr in der Lage sein, die russische Wirtschaft zu finanzieren.

Zugleich soll, so wird in verschiedenen Medien auf ein internes Kommissionspapier verwiesen, eine "Marktunsicherheit" geschaffen werden, die auch zu Kapitalabflüssen beitragen soll. Genau die strebt die für Europa zuständige Staatssekretärin im US-Außenministerium Victoria Nuland an. Sie nannte sie "Skalpell… ein neues Instrument der europäischen und der US-Außenpolitik". Die Maßnahmen sollen zunächst auf ein Jahr begrenzt werden. Eine erste Überprüfung soll den Angaben zufolge nach drei Monaten erfolgen.

Der Beschluss orientiert sich weitgehend an bisherigen Vorschlägen der EU-Kommission. Wie erwartet wird vor allem Rücksicht auf Frankreich genommen. Schon verkaufte Rüstungsgüter dürfen geliefert werden. Vor allem geht es um vier Hubschrauberträger vom Typ Mistral, die zudem ausgerechnet in der Konfliktzone im Schwarzen Meer stationiert werden sollen. Auf dem ersten Kriegsschiff werden in Frankreich schon Soldaten ausgebildet, es soll im Herbst wie geplant übergeben werden. Es geht um 1000 Arbeitsplätze beim angeschlagenen Nachbar und um einen Auftrag im Umfang von 1,2 Milliarden Euro allein für die ersten beiden Schiffe.

Deutsche Unternehmen dürfte es härter treffen, weil auch keine Dual-Use-Güter mehr geliefert werden können. Das trifft viele Maschinenbauer, deren Produkte häufig in diese Kategorie fallen, weil sie sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Die Hersteller hatten schon geklagt, dass sie fertige Anlagen nicht nach Russland liefern können, weil die Exportgenehmigungen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ausgeblieben sind.

Doch während sich deutsche Wirtschaftsverbände klar hinter den Sanktionskurs stellen ("Keine Freunde von Sanktionen, aber…"), ist man in Österreich eher davon überzeugt, dass die Sanktionen nichts erreichen werden. "Glaubt jemand ernsthaft, dass durch Sanktionen Russlands Präsident Wladimir Putin reumütig zurückkehrt, die Krim zurück gibt und sein Interesse an der Ukraine verliert? Wenn das jemand glaubt, dann muss ich sagen, der ist naiv", sagte Präsident der Österreichischen Wirtschaftskammer (WKÖ). Christoph Leitl sprach sich deshalb erneut gegen die Sanktionen aus, welche die österreichische Wirtschaft hart treffen werden. "Schon derzeit erwarten wir ein Minus bei den Exporten von 20% im laufenden Jahr gegenüber dem Vorjahr." Russische Gäste im Tourismus blieben aus und die neuen Sanktionen würden die Zahlen noch weiter verschlechtern.

Doch auch in Deutschland gab es bisher noch Mahner, die eher an einer Wirksamkeit von Sanktionen zweifelten und vor einer "Sanktionsspirale" und "extremen Vergeltungsmaßnahmen" von Seiten der Russen warnten. Zwar hat sich die EU, angesichts der Gasabhängigkeit, nicht an diese Frage herangetraut und sogar Hochtechnologie im Gassektor vom Exportstopp ausgenommen, doch Russland könnte angesichts der Zuspitzung seinerseits als Reaktion den Gashahn abdrehen. Und würde das Land zudem den Ölhahn abdrehen, dann fiel nicht nur ein Anteil am deutschen Primärenergieverbrauch von 7 bis 8% weg, sondern schon schmerzhafte 15%. Dazu kommt, dass auch etwa 30% der Steinkohle aus Russland nach Deutschland geliefert werden.

Und Russland lässt jedenfalls bisher nicht erkennen, dass es sich von der Sanktionseskalation beeindrucken ließe. Außenminister Sergej Lawrow hatte schon am Vortag der Brüsseler Sanktionsentscheidung erklärt: "Ich denke, dass jeder dabei verliert." Russland sei "absolut in der Lage, alles selbst zu machen", fügte er an. Russland fordert seinerseits inzwischen den Westen auf, die außer Rand und Band geratenen Machthaber in Kiew zur Vernunft zu bringen. Erneut seien bei Angriffen zahlreiche Zivilisten ermordet und erneut russisches Territorium beschossen worden. "Die Lage im Osten der Ukraine eskaliert mit jeder Stunde dramatisch", heißt es in einer warnenden Erklärung des Außenministeriums.