Saudi-Arabiens Fußball-WM 2034: Aufbruch in die Moderne?
Saudi-Arabien gilt als sicherer Austragungsort für die WM 2034. Ist das Teil einer Imagekampagne oder einer Wirtschaftsstrategie für die Erdölmonarchie?
Große Ereignisse werfen ihre Schatten weit voraus: Seit Jahren liebäugelt die Führung der theokratischen Erbmonarchie der Al Saud mit der Krönung durch sportliche Großereignisse. Und so strebt Riad an, die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2034 in den Wüstenstaat zu holen.
Nach Deutschland (2006), Südafrika (2010), Brasilien (2014), Russland (2018) und schließlich dem Öl-Emirat Katar soll die Weltmeisterschaft der hochbezahlten Ballkünstler wieder in einem arabischen Petrostaat stattfinden.
Der durchkapitalisierte Fußballzirkus ist längst zu einem geopolitischen Ränkespiel um Macht, Geld, Einfluss und Einnahmen verkommen. Erinnert sei an die barbarischen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen der WM-Stadien in Katar, an das gekaufte Sommermärchen 2006 in Deutschland oder an die Boykottaufrufe gegen die WM in Russland 2018.
Sport als Schauplatz und Seismograph geopolitischer Konstellationen
Das Geschäft Fußball ist gleichzeitig Schauplatz und Seismograph globaler geopolitischer Konstellationen, dient als liberales Feigenblatt für moderne "Brot und Spiele" und ist ein immenses Geschäftsfeld: Für die Jahre 2019 bis 2022 meldete der Weltfußballverband FIFA Einnahmen rund um die WM in Katar in Höhe von 7,079 Milliarden Euro.
Und nun also Weltfußball in Saudi-Arabien. Obwohl offiziell Salman bin Abdulaziz Al Saud als König regiert, zieht in Riad längst ein anderer die Fäden: Mohammed bin Salman (MBS), seit 2017 Kronprinz und seit 2022 Premierminister des Landes, gilt als de-facto-Herrscher der Allianz aus wahhabitischer Geistlichkeit und dem Herrscherhaus der Al-Saud-Familie.
Unter seiner Führung soll das Land mit seiner mehrheitlich jugendlichen und jungen erwachsenen Bevölkerung in die Moderne geführt werden. MBS lockerte denn auch die Geschlechtertrennung und den Schleierzwang, beendete die Vielehen und versucht das Land mit einer Saudi Vision 2030 für die Zeit nach dem Ende des Ölbooms zukunftsfähig zu machen.
Die zwei Gesichter des MBS
Nach einer Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung soll das ehrgeizige Projekt, das 2015 von der Unternehmensberatung McKinsey Global Institute erdacht wurde, ein Modernisierungsnarrativ liefern und dem Land zugleich ein neues, gemäßigtes Image auf der internationalen Bühne verschaffen.
Das Gründungsnarrativ für dieses gigantische Projekt, zu dem unter anderem die futuristische Stadt Neom gehört, steht im krassen Widerspruch zu den politischen Realitäten: Seit Jahren führt Riad einen mörderischen Krieg gegen den Jemen, lässt mit unschöner Regelmäßigkeit hinrichten, um von Vorfällen wie den mit dem saudischen Journalist Jamal Kashoggi ganz zu schweigen.
Laut Amnesty International sind religiöse oder geschlechtliche Diskriminierung an der Tagesordnung, Folter ist in den Gefängnissen Routine und Kritiker des Herrscherhauses werden systematisch verfolgt. So zeigen sich zwei Gesichter des in Saudi-Arabien allgegenwärtigen MBS - das des strafenden Tyrannen und das des zukunftsorientierten Staatsmannes.
Ein Coup mit Folgen
Zwar wird die endgültige Entscheidung über die WM 2034 erst am 11. Dezember 2024 fallen. Doch es gilt als sicher, dass Saudi-Arabien den Zuschlag erhält ‒ in einer kombinierten Abstimmung mit der Vergabe der WM 2030. Der Coup ist dem Haus Saud geglückt ‒ allen Kritikern zum Trotz. Aber wie?
Alles begann im Rat der FIFA. Dort wurde für 2030 eine Weltmeisterschaft in einer Kombination aus Afrika, Südamerika und Europa geplant. Nebeneffekt: Alle drei Kontinente würden dann für eine Bewerbung für 2034 ausfallen ‒ und der Weg für Saudi-Arabien wäre damit frei.
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Und um ganz sicherzugehen, wurden sogar zwei Statutenbeschlüsse der FIFA geändert: Neu ist, dass alle Verbände bei der Blockwahl nur noch eine Stimme haben ‒ es kann also nur noch für oder gegen Saudi-Arabien und (!) die WM 2030 gestimmt werden. Neu ist zudem, dass über mehrere Vergaben an einem Termin abgestimmt werden kann.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf versprach zwar eine gründliche Prüfung der Bewerbung des Golfstaates. Ein kritisches Wort aus der DFB-Zentrale in Frankfurt am Main blieb allerdings aus und ein Einspruch aus Frankfurt wäre eine faustdicke Überraschung. Belgien, die Niederlande oder Dänemark haben sich bereits klar für Saudi-Arabien positioniert.
Keine Einwände des DFB
Als "Gegenkandidaten" zur Bewerbung Saudi-Arabiens, die nur wenige Stunden nach Beginn der Bewerbungsfrist einging, kamen nur die asiatischen und ozeanischen FIFA-Mitgliedsstaaten in Frage. Diese hatten allerdings nur 25 Tage Zeit, um sich zu bewerben, viel zu wenig für ein solches Milliardenprojekt. In der Folge zogen Australien, Vietnam und Thailand ihre Kandidaturen zurück oder gaben erst gar kein Angebot ab.
Das neue BRICS-Mitglied Saudi-Arabien plant eine touristisch attraktive WM. Es sollen 15 neue Stadien entstehen. Riad hat bereits seine VISA-Bestimmungen gelockert und setzt nun auf einen Tourismusboom.
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Die Party wird zwar vom profitabelsten Konzern der Welt, der saudischen Ölgesellschaft Saudi Aramco, finanziert, birgt jedoch Tücken für das Herrscherhaus. MBS balanciert dabei zwischen Frauenrechten und einem Bündnis mit den wahhabitischen Eiferern. Gelingt es nicht, soziale Sicherheit und ein Minimum an liberalen Freiheiten zu garantieren, gefährdet das die Macht des Hauses Saud.
Die Fußball-Weltmeisterschaft ist eingebettet in ein sportpolitisches Gesamtkonzept: Skigebiet, UFC-Kämpfe, Formel-1-Grand-Prix und Golfturniere. Der jungen Generation wird Westbindung signalisiert, westliche Touristen werden angelockt und das Image wird aufpoliert. Sport wird so einerseits ein Instrument der Wirtschafts- und Sozialpolitik im Innern. Andererseits können sportliche Großereignisse durchaus Soft Power auf dem internationalen Parkett verleihen.