Saudi-Arabiens Puppentheater mit Hariri: "Sie wissen genau, was sie tun"?

Screenshot des Hariri-Interviews, YouTube

Das Königreich hat sich verspielt, wie sich an der Affäre des libanesischen Premierministers zeigt, der seinen Rücktritt nun halb zurücknimmt

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Wer sich nachmittags eine Yacht für angeblich 500 Millionen Dollar kaufen kann, die er vormittags zufällig gesehen hat, lebt in einer Sphäre, wo "ich will" gilt und nicht "ich soll". Wenn dann noch der US-Präsident politische Rückendeckung für das Einkassieren riesiger Geldsummen und wichtiger Machtressorts gibt - "Ich habe großes Vertrauen in König Salman und den Kronprinz von Saudi Arabien, sie wissen genau, was sie tun" -, dann kann man darauf rechnen, dass der "impulsive" (BND) Kronprinz Schwierigkeiten mit der Erdung bekommt.

Was die destabilisierende, impulsive Interventionspolitik von Mohammad Bin Salman, vor welcher der BND im Dezember 2015 warnte, auslösen kann, wurde vergangene Woche deutlich: Aus dem Jemen kamen Nachrichten, wonach die saudische Abriegelung nicht einmal mehr Hilfsgüter für Hungernde und Kranke ins Land lässt, und Spekulationen darüber, dass im Libanon der nächste kriegerische Konflikt ausbrechen könnte, gewannen an Fahrt.

Der Prinz will das Kriegsgetöse

Der libanesische Ministerpräsident Hariri hatte zuvor in Saudi-Arabien seinen Rücktritt erklärt, verbunden mit dem Hinweis darauf, dass sein Leben im Libanon gefährdet sei und die Quelle der Drohung mit der Hizbollah und Iran in Zusammenhang gebracht, die beide, wie er verstehen ließ, auch die Sicherheit des ganzen Landes bedrohen.

Umgehend sorgten sich selbst nüchterne Beobachter darüber, ob hier versucht wird, einen Waffengang gegen die Hizbollah anzuzetteln, der auch Iran hineinziehen würde. Der Eindruck, dass sich eine Eskalation anbahnt, wurde von Kriegserklärungen aus Saudi-Arabien begleitet, die Richtung Hizbollah und Iran zielten (Saudi-Arabien hebt Konflikt mit Iran auf die nächste Stufe.

Die Erklärungen waren eigenartig formuliert - "Wir werden die Regierung des Libanon wegen der Hisbollah-Miliz als eine Regierung betrachten, die Saudi-Arabien den Krieg erklärt". Die Kriegserklärungen machten großen Krach, bleiben aber in letzter Konsequenz vage.

Zuerst sprach man von einem "möglichen Kriegsakt" Irans, dann druckste Außenminister Jubeir bei einem Interview bei genaueren Nachfragen um die Festlegung herum, ob der Raketenangriff tatsächlich als Kriegsakt einzustufen sei.

Auch Macht über Medien: Was will MBS damit?

Eigenartig war auch der turbulente Rahmen, aus dem heraus die großspurigen Ansagen erfolgten. Kronprinz Muhammad Bin Salman (auch MBS genannt) hatte genau an diesem Wochenende damit begonnen, im Königshaus, in der Regierung und in der saudi-rich-Geschäftswelt aufzuräumen. Das Zwischenresultat sieht so aus, dass er andere Familienzweige ins Abseits und Konkurrenten unter Hausarrest gestellt hat.

Er gebietet jetzt über den Sicherheitsapparat und die Nationalgarde und, was die Machtübernahme vervollständigt, über die Zentralen der saudischen Medienmacht in arabischen Ländern sowie über Milliarden an beschlagnahmten Vermögen.

Dies alles hatte seinen Ausgangspunkt an einem Wochenende, das die halbe Welt in Erstaunen versetzte, viele Fragen aufwarf und die Trennlinie zwischen Realität und Fiktion unscharf werden ließ. Als vergangene Woche in sozialen Netzwerken die Ankündigung die Runde machte, dass MBS im Laufe der nächsten Tage zum König ausgerufen werden sollte, schien es unrealistisch, dies leichtfertig als Nachricht aus dem Märchenland abzutun. Die Hauptfrage war: Was will MBS mit seiner Macht?

Frankreich: Gegen alle Seriosität

Europäisch gelernte Seriosität war kein Kriterium, den man bei diesen Vorgängen anlegen kann. Das war spätestens nach der Erklärung aus Frankreichs Regierung klar, wonach sich der libanesische Premierminister ihrer Einschätzung nach "frei bewegen" könne.

Diese Einschätzung war je nach Blickrichtung ein Irrtum, eine Irreführung oder eine Verlegenheit. Richtig war sie nicht. Bis zum vergangenen Wochenende verdichteten sich Informationen, Aussagen und Indizien, wonach Hariri bei seinem Besuch in Saudi-Arabien am 3. November mit einem Ablaufplan konfrontiert wurde, bei dem er, gelinde gesagt, nicht viel mitzubestimmen hatte.

Schon die Aussagen der französischer Diplomatie samt ihres Chefs im Außenministerium waren von einer Eigenart bestimmt, die man sonst aus Diktaturen kennt: Man postuliert eine Wahrheit ("dass sich Hariri frei bewegen kann"), relativiert sie in seltsamen Nebenbemerkungen ("in Saudi-Arabien", hieß es ohne Anführungszeichen in französischen Medien, die über Le Drians Aussage zu den Freiheitsgraden Hariris berichteten) und schildert Ereignisse, deren Seltsamkeit bzw. Widersprüchlichkeit ausgeblendet wird.

So wurde von einem Treffen eines französischen Diplomaten mit Hariri berichtet, der von saudischen Männern umstellt war, aller Wahrscheinlichkeit nach vom Geheimdienst, ohne auf diese Eigentümlichkeit einzugehen: Hariri wurde nicht als der unfreie Mann dargestellt, der er bei genauerem Hinsehen war. Am Wochenende war zu lesen, dass der libanesische Geheimdienstchef Abbas Ibrahim später nach Paris fuhr, um dort über Hintergründe aufzuklären.

Tatsächlich gab es im Hintergrund zu Hariris rätselhaftem Aufenthalt in Saudi-Arabien sehr viel Reisetätigkeit des Chefs der libanesischen Sûreté générale Abbas Ibrahim, wie die französisch-sprachige Zeitung L'Orient Le Jour berichtet. Der libanesische Präsident Michel Aoun ist davon überzeugt, dass sich Hariri weder frei bewegen noch frei äußern kann. Weswegen Aoun den Rücktritt Hariris auch erst dann anerkennt, wenn ihn dieser persönlich im Libanon bestätigt.

Hariri: "Rücktritt noch mal überlegen"

Am gestrigen Sonntagabend gab Saad Hariri dem ihm engstens verbundenen libanesischen Sender Futur (al-Mustaqbal)-TV, der den gleichen Namen trägt wie seine Partei, ein Interview. Er sollte nun selbst die offenstehenden Fragen klären. Nach Aussage von Beobachtern war es ein sehr seltsames Interview.

Hariri erklärte u.a., dass er in Saudi-Arabien frei sei, dass er sofort reisen könne, wenn er wolle, dass er aber noch in einem Reflexionsprozess sei. In zwei oder drei Tagen würde er in den Libanon zurückkehren. An seiner Rücktrittserklärung halte er nicht unbedingt fest. Er warnte erneut vor der Einmischung Irans - in "allen arabischen Ländern", wiederholte den Zusammenhang mit der Hizbollah, deutete jedoch auch an, dass man ein "Gespräch mit der Hizbollah" über die Bewaffnung führen müsse.

Vier volle Gläser Wasser soll Hariri während des Interviews getrunken haben, eine glasklare Antwort, warum er nicht umgehend in den Libanon zurückkehre, was dort alle politischen Parteien forderten, blieb er schuldig. Videoausschnitte des Gesprächs zeigen einen Moment, wo er mit einer Geste einen Mann wegschickt, der einen Zettel in der Hand hält. In den sozialen Netzwerken wird dem Bedeutung beigemessen, weil viele der Ansicht sind, dass seine Rücktrittsrede in Saudi-Arabien vorformuliert war und er sie nur ablas.

Im gestrigen Interview, das zum Teil ungewöhnlich emotional war - Hariri brach laut Ha'aretz zwischendrin in Tränen aus -, widersprach Hariri dieser Ansicht und betonte, dass MBS für ihn wie ein Bruder sei.

Es gab, bis auf Mitglieder von US-Think Tanks, die eng mit Saudi-Arabien verbunden sind, wie Ali Shibabi von der Arab Foundation, kaum Beobachter, die vom Interview davon überzeugt wurden, dass von Saudi-Arabien kein Druck auf Hariri ausgeübt wurde, dass er ein freier Mann ist, dass er nicht für politische Zwecke instrumentalisiert wurde. Den meisten ist klar, dass Hariri von Saudi-Arabien als Marionette behandelt wird.

Die russisch-amerikanischen Abmachungen zu Syrien sind wichtiger

Die Frage ist, worin die politischen Ziele der pfuschigen Inszenierung bestehen. Einen Krieg im Libanon wollen weder die Libanesen, denen der jahrelange Bürgerkrieg im Land noch sehr gut in Erinnerung ist, noch die USA, wie Tillersons Äußerungen zur Affäre Hariri deutlich machen, weder die EU, die neue Kriegsflüchtlinge zu befürchteten hätte, noch Israel, dessen Regierung das Risiko für die eigene Bevölkerung bei einem Krieg mit der Hizbollah sehr gut einzuschätzen weiß.

Dazu kommt, dass die israelische Regierung im Augenblick wohl mehr an der russisch-amerikanischen Vereinbarung interessiert ist, die nach dem Treffen zwischen Trump und Putin veröffentlicht wurde. Daraus geht die Möglichkeit hervor, dass, wie von Israel gewünscht, eine Pufferzone an den syrischen Grenzen geschaffen wird, die frei von schiitischen Milizen, also auch der Hizbollah sein soll.

Die Vereinbarung deutet auch an, dass es bei den Abmachungen im Nahen Osten nach dem IS nicht in der Hauptsache um Konfrontationen gehen kann. Trump hat noch immer den Ehrgeiz, einen Friedensplan zwischen den Palästinensern und Israel zu entwickeln. Dazu braucht es Absprachen.

Militärische Konfrontationen oder das Signal der Bereitwilligkeit dazu gehören als Druckmittel zur politischen Verhandlungsmasse, aber wer würde in einer solchen Konstellation tatsächlich einen Krieg im Libanon riskieren?

Libanon: Saudi-Arabien macht sich unbeliebt

Iran war mit den Drohgebärden aus Saudi-Arabien nicht übermäßig zu beeindrucken. Was also bleibt Prinz MBS als (vorläufiges) Ergebnis der Hariri-Affäre? Hauptsächlich der Versuch, erneut Iran als Sündenbock für den Krieg im Jemen hinzustellen. Allerdings wurde vergangene Woche auch für jeden auch halbwegs Informierten erneut klar, dass Saudi-Arabien im Jemen brutal vorgeht.

Im Libanon erfolgte auf die Drohgebärden aus Saudi-Arabien eine Reaktion, die Solidarität über mehrere Fronten hinweg gegen den Versuch der Einmischung von außen herstellte. Der Einfluss Saudi-Arabiens ist, um es milde zu formulieren, nicht gerade gestiegen. Auf Abstand gebracht werden Libanesen, besonders Geschäftsleute, auch mit der Drohung aus Riad, dass man gegebenenfalls sämtliche libanesische Unternehmer aus Saudi-Arabien ausweisen würde.

So demonstriert man Macht und riskiert, sie zu verlieren.

Dass Hariri in seinem Interview andeutete, dass man mit der Hizbollah reden solle, ist ein Indiz dafür, dass der Führung in Riad eine Ahnung gekommen ist, dass der harte Konfrontationskurs wahrscheinlich der falsche Ansatz war. Man rudert in kleinen Schritten zurück. Da hat sich jemand überschätzt und wurde sachte zurückgepfiffen. Man darf gespannt sein, was diesem Fiasko folgt.