Schaufensterdemokratie in Griechenland

Gerichtssaal im Areopag. Bild: W. Aswestopoulos

"Wer wird wohl schneller ermüden?"

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Der Streit zwischen den verfassungsmäßig bestellten Gewalten in Griechenland nimmt immer skurrilere Züge an. Der Staatsrat, Griechenlands oberstes Verwaltungsgericht, erklärte am Montag kurzerhand sämtliche Regeln zur Verpflichtung der Veröffentlichung von im öffentlichen Leben stehenden Personen für unwirksam. Die Regierung sieht es mit einer Ansage aus dem Amt des Premierministers sportlich. "Mal sehen, wer schneller müde wird", stand in einem Non Paper, welches an die Presse versandt wurde.

Die Richter, die sich weigerten, die Vermögenserklärung abzugeben, entdeckten fünf mit ihrem Rechtsempfinden nicht vereinbare Punkte:

  1. Die Verpflichtung sämtliche Bargeldbestände über 15.000 Euro hinaus und sämtliche Wertgegenstände über 30.000 Euro anzugeben.
  2. Das Fehlen einer Frist, in der die Vermögensüberprüfung zu beenden ist, sowie das Fehlen des Datenschutzes für die persönlichen Daten.
  3. Die Verpflichtung, dass in der jährlichen Vermögenserklärung sämtliche Besitztümer unabhängig davon, wann sie erworben wurden, anzugeben sind.
  4. Das Fehlen einer Regelung gemäß der in der seit Neuestem verpflichtenden elektronischen Vermögenserklärung den Erwerb von Gütern in früheren Jahren als solchen zu markieren.
  5. Die Verpflichtung der Vermögensoffenlegung für Personen, die mit dem Abgabepflichtigen in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft leben.

Obwohl die Klage anfänglich nur die Richterschaft betraf, schloss der Staatsrat aus den obigen Punkten, dass die Vermögenserklärung in der aktuellen Form für alle Betroffenen eine illegale Forderung des Staats darstellt.

Der Streit der Gewalten

Die Gewaltenteilung ist ein Grundbestandteil der westlichen Demokratien. Die Judikative, die Gerichtsbarkeit, soll dabei unter Umständen auch die Gesetze der Legislative, des Parlaments, stoppen, wenn diese gegen die Verfassung verstoßen. Die Judikative hat theoretisch auch die Macht, die Exekutive, die Regierung, hinsichtlich derer Aktivitäten zu kontrollieren.

Eigentlicher Kontrolleur der Regierung ist jedoch das Parlament. In der Praxis kommen jedoch nur die Oppositionsparteien ihrer Kontrollfunktion nach, während die Regierungsparteien in der Regel die Vorgaben der Regierung abnicken. Exekutive und Legislative sollen in der Idealform der Demokratie selbst auch die Judikative kontrollieren.

Die Macht der drei klassischen Gewalten geht dabei im Grundgedanken vom Volk aus. In diktatorischen Staatsformen ist die Macht in Händen einer oder mehrerer die Diktatur bildender Personen. Sie geht auch nominell vom Diktator aus. Zu den drei Gewalten gesellen sich die Medien als so genannte vierte Gewalt. Auch hier besagt die Theorie, dass deren Macht von den Medienkonsumenten ausgeht.

Theorie und Praxis

Die Praxis der demokratischen Staatsform hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter vom Idealbild entfernt. Besonders gut ist die neue Form der "Schaufensterdemokratie", also eines Staats, in dem die Demokratie nur theoretische Fassade ist, im heutigen Griechenland. Sie manifestiert sich in einem erbitterten Streit der vier Gewalten um die Vorherrschaft, aber auch darum, um in den Augen der Bürger als Hüter der Moral zu gelten.

Ein aktueller Anlass, aber nicht der einzige, ist der Konflikt zwischen Richtern und Regierung über ein Transparenzgesetz. Seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind sämtliche im öffentlichen Leben stehende Personen und deren Angehörigen ersten Grades verpflichtet, jährlich ihre Vermögensverhältnisse offen zu legen. "Pothen Esches" (Es-ches gesprochen) heißt der Vorgang, der gesetzlich verankert ist. Alle Beamten des Staats, alle gewählten Politiker, Journalisten und Fotoreporter müssen sämtliche Besitztümer, auch Autos, Motorroller, Kredite und Einkommen sowie eventuelle Lieferinteressen deklarieren. Falsche Erklärungen gelten als schwere Straftat.

Die Richter und Staatsanwälte des Landes zählen dabei gleich zweifach zu den Abgabeverpflichteten. Sie sind Beamte und Entscheidungsträger. Allerdings passt es ihnen nicht, dass ihre Erklärungen von Dritten, nicht aus der Judikative stammenden Personen eines Überprüfungsausschusses kontrolliert werden sollen. Zudem wehren sie sich dagegen, dass sie, wie in einer unter der aktuellen Regierung erlassenen Novelle des Gesetzes, auch Bargeld, Schmuck, Schließfächer sowie weitere Wertgegenstände deklarieren sollen.

Sie haben zunächst mit eigenen einstweiligen Verfügungen für sich eine Ausnahme bis hin zu einer Entscheidung des Staatsrats erlassen. Der Staatsrat entschied somit über eine Klage, die pikanterweise von den Richtern des Staatsrats eingereicht wird. Der Justizminister sieht in diesem Paradoxon einen klaren Interessenkonflikt. Die Opposition hingegen stuft alle Kritiker der Justiz als Gefahr für die Demokratie ein.

Beim Volk, in dessen Namen die Richtersprüche gefällt werden, kommen solche Urteile und Verfügungen nicht gut an. Zumal die Judikative die sie betreffenden Kürzungen der Einkommen als verfassungswidrig einstufte, die entsprechenden Kürzungen bei Rentnern und dem einfachen Volk jedoch auch in einem Urteil der vergangenen Woche als korrekt einstufte.

Auf dem rechten Auge blind

Die Judikative schickt gern Sympathisanten anarchistischer Ideologien für ein Jahrzehnt hinter Gittern, während rechte Gewalttäter mit Bewährungstrafen davon kommen. Anlässlich der auf diese Art und Weise als Lebensgefährtin eines in letzter Instanz frei gesprochenen Anarchisten zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilten Doktorandin Irianna hatte es bereits eine öffentliche Auseinandersetzung von Justizminister Stavros Kontonis und der Richterschaft gegeben. Kontonis konnte nicht nachvollziehen, dass die Doktorandin, aber auch ein weiterer Mitbewohner der Wohngemeinschaft ohne wissenschaftlich nachprüfbare Beweise allein wegen ihrer sozialen Bindung und wegen in der Wohnung gefundener Bücher verurteilt wurden. Beide kamen anders als "normale" Angeklagte wegen Drogenhandel, Unterschlagung und ähnlichen Vergehen auch nicht bis zur Berufungsverhandlung frei.

So ist auch der auf frischer Tat festgenommene Mörder des Rappers KillahP, bürgerlich Pavlos Fyssas, Giorgos Roupakias auf freiem Fuß. Roupakias hatte den Musiker am 17. September 2013 erstochen. Als Mitglied der Goldenen Morgenröte steht er zusammen mit der Parteispitze vor Gericht - und das dauert. Die höchstmögliche Untersuchungshaftdauer von achtzehn Monaten verstrich, Roupakias ist somit bis zur Urteilsverkündung frei.

Der Regierung von Premierminister Alexis Tsipras kann viel vorgeworfen werden. Es fehlt ihr jedoch nicht der Mut, die Justiz zur Eile und zu verständlicheren Urteilen zu ermahnen. "Unerlaubte Einmischung in die Justiz" sieht darin die Richterschaft und wird prompt von den Oppositionsparteien Nea Dimokratia, Demokratische Fraktion (PASOK & Demokratische Linke), To Potami und der Zentristenunion dabei unterstützt. Die Opposition, die in vielen westlichen Demokratien wegen des Ausfalls der Regierungsfraktion die eigentliche Kontrollfunktion der Legislative übernimmt, versteht sich in Griechenland schlicht als Dauergegnerin der Regierung, egal ob diese nun etwas Richtiges oder Falsches in Angriff nimmt.

Dass im Fall der offen zu legenden Vermögensverhältnisse ausgerechnet für den Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis von der Nea Dimokratia unangenehme Fragen hinsichtlich der Verwicklung seiner zeitweise von ihm ohne Scheidung getrennt lebenden Gattin Mareva Grabowski in den Panama Papers aufkamen, ist ein interessantes Detail. Es hindert die Schwesterpartei der CDU/CSU nicht, in Kontonis Bestehen auf Transparenz des öffentlichen Lebens eine unerlaubte Einmischung in die Justiz zu sehen. Denn die Nea Dimokratia wird in ihren Ansichten von Teilen der Presse gestützt.