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Michael als Monster: Die umstrittene Dokumentation "Leaving Neverland" über Michael Jackson kommt ins deutsche Fernsehen
Die umstrittene Dokumentation "Leaving Neverland" über Michael Jackson kommt ins deutsche Fernsehen. ProSieben zeigt an diesem Samstag (20.15 Uhr) den Film von Regisseur Dan Reed, in dem zwei Männer heftige Missbrauchsvorwürfe gegen den 2009 gestorbenen King of Pop erheben.
Er war der King of Pop: Michael Jackson, die erste globale schwarze Medienikone. Geht es nach der Fernsehdokumention "Leaving Neverland" des Regisseurs Dan Reed, dann ist er bald ein König Ohneland. Schlimmer noch: Ein Monster.
"Leaving Neverland" erzählt vom Monster an der Arbeit, wie im Jahr 1987 Michael Jackson bei Dreharbeiten zu einer Werbung den zehnjährigen Jimmy Safechuck kennenlernte, und ihn, so jedenfalls behauptet es der erwachsene Safechuck in diesem Film, bald danach zum ersten Mal sexuell verführte.
Das ist ein unangenehmer Film, berstend voll mit ekelhaften Geschichten, mit Details, die kaum jemand wissen will, und die niemand wissen muss, um sich ein Bild zu machen. Denn nach 20 Minuten hat der Film gesagt, was er zu sagen hat, danach wiederholt und variiert er dies nur immer wieder.
Alles ist im Einzelnen unglaublich detailliert und explizit in einer Weise, dass sich die Frage aufdrängt: Wen kann, wen soll das alles interessieren außer den direkt Betroffenen und jenen Juristen, die darüber in einem Gerichtsverfahren entscheiden müssen?
Ein solches Verfahren hat es bereits gegeben. Michael Jackson wurde zu Lebzeiten freigesprochen. Jetzt versucht der Film den Prozeß, der im Gerichtssaal nicht wiederaufgenommen werden kann, ersatzweise auf der Kinoleinwand zu führen, um Jackson wenigstens in den Augen der Nachwelt symbolisch zu bestrafen.
Die gottgleiche Perspektive eines allwissenden Erzählers
Die beiden jeweils zweistündigen Teile, die am Samstag erstmalig in deutschen Fernsehen im nicht gerade für besondere Sensibilität oder soziales Gewissen bekannten Privatsender ProSieben zu sehen sein werden, bestehen größtenteils aus Interviews mit Safechuck und Wade Robson, den zwei heute jungen Männern, die hier zu Kronzeugen der These und zu Hauptakteuren des Films werden.
Dazu kommen öffentliche Archivbilder und Nahaufnahmen der Gesichter Safechucks, Robsons und denen ihrer Mütter. Der Regisseur suggeriert mit Drohnenaufnahmen über dem ehemaligen Anwesen Jacksons zugleich die gottgleiche Perspektive eines allwissenden Erzählers. Stilistisch ist dies ein schwacher Film, unter dem Niveau der großen amerikanischen Dokumentarkunst.
Erstmalig gezeigt wurde der Film Ende Januar beim amerikanischen Sundance Film Festival. Seitdem nahmen Radiosender in Kanada, in den Niederlanden und in Neuseeland Jackson-Songs aus dem Programm. Und der Kreativchef der französischen Nobelmodemarke Louis Vuitton, beeilte sich, von Jackson inspirierte Entwürfe aus seiner zweiten Kollektion zu entfernen.
Auf den ersten Blick scheint das Urteil gegen Jackson gesprochen.
Doch der Eindruck trügt. "Leaving Neverland" ist trotz alldem nämlich hochumstritten, auch in den USA, und das hat seine guten Gründe. Denn Regisseur Dan Reed dokumentiert nicht, er plädiert.
Dieser Film macht Michael Jackson postum den Prozeß. Er ist ein Dokument der Anklage. Er ist zu keinem Zeitpunkt ausgewogen. Argumente und Plädoyers zur Verteidigung werden nicht gehört, entlastende Indizien kommen nicht vor. Niemand aus Jacksons früherem Umfeld wurde vom Filmteam angefragt. Die einseitige Befragung von zwei Zeugen soll aussagekräftiger sein, als die gesamten polizeilichen Ermittlungen und Erkenntnisse mehrerer Gerichtsprozesse. So hinterlässt "Leaving Neverland" in jeder Hinsicht einen unangenehmen Nachgeschmack.
Gerade darum muss man noch einmal an die Tatsachen erinnern: Die bekanntlich nicht zimperliche amerikanische Justiz hat Michael Jackson freigesprochen. Das FBI hatte zuvor jahrelang ermittelt, ohne Erfolg, der 300-seitige Ermittlungsbericht der Behörde ist öffentlich im Internet einsehbar.