Schauprozess gegen "Guantánamo Five"
In Guantánamo begann gestern der Schauprozess gegen fünf angebliche Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September. Derweilen stärkte der Oberste Gerichtshof Kanadas die Rechtsposition des kanadischen Guantánamo-Häftling Omar Khadr
Erstmals mussten sich fünf mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder wegen der Terroranschläge in New York und Washington vom 11. September 2001 vor einem militärischen Sondertribunal im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba verantworten. Die Anklage lautet auf Terrorismus, Verschwörung, Mord und Sachbeschädigung. Die US-Militärjustiz strebt für alle Angeklagten die Todesstrafe an.
- Khalid Scheich Mohammed: Der in Kuwait geborene und in Pakistan aufgewachsene Angeklagte wurde 2003 in Pakistan festgenommen und galt zeitweise als „Nummer drei“ im Terrornetzwerk Al-Qaida. Scheich Mohammed wird von der US-Regierung als „Hirn“ der Terroranschläge vom 11. September bezeichnete. Er soll sich selbst mit den Anschlägen gebrüstet und Taten gestanden haben, die ihm gar nicht vorgeworfen wurden ("Der Islam hat kein grünes Licht zum Töten gegeben").
- Ramzi Binalshibb, mutmaßlicher Verbindungsmann der Flugzeugentführer zur Al-Qaida-Führung. Er war Mitbewohner von Mohammed Atta, dem angeblichen Anführer der Attentäter vom 11. September, in Hamburg und angebliches Mitglied der „Hamburger Zelle“. Die US-Behörden beschreiben den gebürtigen Jemeniten als einen Schatzmeister von Al Qaida. Binalshibb soll maßgeblich an den Anschlägen vom 11. September beteiligt gewesen sein, erhielt aber laut Anklage kein Visum für die USA. Er wurde 2002 im pakistanischen Karachi gefasst.
- Mustafa Ahmad Al-Hawsawi: Der Saudi-Araber soll von Khalid Scheich Mohammed beauftragt gewesen sein, Geld für die Terroranschläge vom 11. September zu sammeln. So soll er den Piloten der entführten Flugzeuge das Geld geschickt haben, mit dem sie ihre Unterkunft und ihre Flugstunden bezahlten.
- Ali Abd Al-Aziz Ali: Ein Neffe von Khalid Scheich Mohammed aus Pakistan, der an der logistischen Organisation der Anschläge beteiligt gewesen sein soll. Zudem soll er der Verbindungsmann zum „Schuhbomber“ Richard Reid gewesen sein.
- Waleed bin Attash alias Khallad: Der Jemenit soll zweien der Flugzeugentführer geholfen haben, die Attentate vorzubereiten. Bei seiner Festnahme 2003 soll er einen Anschlag auf das US-Konsulat in Karachi geplant haben. Die US-Regierung verdächtigt ihn, hinter dem Anschlag auf den Zerstörer „USS Cole“ im Golf von Aden zu stecken, bei dem im Oktober 2000 17 US-Soldaten getötet wurden.
Alle Angeklagten befinden sich seit mehr als fünf Jahren in US-Gewahrsam. Sie waren in den Jahren 2002 und 2003 vom US-Auslandsgeheimdienst CIA aufgespürt und zunächst in CIA-Geheimgefängnissen im Ausland gefangengehalten worden. Im Jahr 2006 wurden sie ins US-Gefangenenlager in Guantánamo Bay auf Kuba überstellt.
„Ich wünsche mir, ein Märtyrer zu sein“
Khaled Scheich Mohammed, den die US-Regierung als einen „der niederträchtigsten Terroristen der Geschichte“ bezeichnet, erschien am Donnerstagmorgen ohne Fesseln in Begleitung seiner Anwälte vor Gericht, um gemeinsam mit den anderen Verdächtigen an der Anklageverlesung teilzunehmen. Scheich Mohammed, der inzwischen einen grauen Bart trägt, soll auf Prozessbeobachter einen „munteren, gesprächigen Eindruck“ gemacht haben. Als ihm der Richter sagte, dass ihm im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe drohe, antwortete der Angeklagte: „Ja, ich wünsche mir seit langer Zeit, ein Märtyrer zu sein.“
Laut der CNN-Korrespondentin Kelli Arena, die den Prozess in Guantanamo verfolgt, soll Scheich Mohammed zudem darauf bestanden haben, sich selbst zu verteidigen. Religiöse Gründe verböten es ihm, die ihm zur Seite gestellten Pflichtverteidiger zu akzeptieren. Für ihn gelte allein islamisches Recht.
Parodie auf rechtsstaatliche Verfahren
Die im Oktober 2006 durch den Military Commissions Act (MCA) etablierten Kommissionen sprechen allen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn (Kongress legitimiert das von Bush eingeführte Unrechtssystem). Neben geheimen Beweisen sowie Beweisen vom Hörensagen erlauben sie auch die Zulassung von unter Zwang abgelegten Geständnissen.
Eine Militärkommission besteht aus einem vorsitzenden US-Offizier und elf Beisitzern, die im Falle der Todesstrafe einstimmig entscheiden müssen. Die Angeklagten werden von der US-Regierung als „ungesetzliche feindliche Kombattanten“ bezeichnet und außerhalb jede Rechtsnorm gestellt. Damit wird ihnen der rechtliche Schutz, den Soldaten oder Zivilisten genießen, verwehrt.
Während der Anhörung sitzt der Gefangene auf einem Plastikstuhl, ist an den Händen gefesselt und am Boden angekettet. Die Angeklagten dürfen sich während des Verfahrens zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zwar äußern, jedoch nicht alle Beweise einsehen. Gegen das Urteil kann keine Berufung vor ordentlichen US-Gerichten eingelegt werden.
Akkreditierte Journalisten haben Zugang zu den Verfahren, Kameras sind in dem nach strengen Sicherheitsmaßstäben eingerichteten Gebäude jedoch nicht zugelassen. Die Pressevertreter dürfen sich während des Verfahrens auch keine Notizen machen.
Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer Farce. Aus Protest gegen den vom US-Verteidigungsministerium ausgeübten politischen Druck hatte der frühere Chef der Militärkommission, Oberstleutnant Morris Davis, im Oktober 2007 sein Amt niedergelegt.
Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak, kritisierte den Prozess als unfair. In dem Verfahren würden auch Geständnisse verwendet, die unter Folter zustande gekommen seien, sagte Nowak dem Deutschlandradio Kultur. Damit verletzten die USA internationale Menschenrechtsstandards, zu denen sie sich selbst im UN-Abkommen über bürgerliche und politische Rechte sowie in der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen verpflichtet hätten.
Physisch und psychisch gefoltert
Die vom Militär gestellten Verteidiger der fünf Angeklagten hatten vergeblich versucht, den Termin der Anklageverlesung hinauszuzögern. Sie wollten eine für diesen Monat erwartete Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs in Washington abwarten, der über die Rechtmäßigkeit der Militärkommissionen urteilen soll. Der Oberste Gerichtshof der USA hatte 2006 ein ähnliches System von Militärtribunalen als verfassungswidrig gestoppt.
Die Anwälte beklagen zudem, dass ihnen die Militärjustiz weniger Zugang zu ihren Mandanten gewährte, als dies bei einem Zivilverfahren der Fall wäre. So hatten sie erst vor kurzem erstmals Gelegenheit, ihre Mandanten zu sprechen. Sie werfen der US-Regierung vor, die Verfahren zu beschleunigen, um die US-Präsidentenwahl im November zu beeinflussen.
Darüber hinaus erklärten einige der Angeklagten, in US-Gewahrsam gefoltert worden zu sein. Die CIA hat inzwischen eingeräumt, den mutmaßlichen Chefplaner Scheich Mohammed mehrfach dem so genannten „Waterboarding“ unterzogen zu haben, einer beliebten CIA-Technik, bei der das Opfer an den Rand des Ertrinkens gebracht wird und die nach internationalen Standards als Folter gilt. Verschiedenen Quellen zufolge hat der US-Geheimdienst außerdem die Söhne Scheich Mohammeds in seine Gewalt gebracht und als Geiseln benutzt, um den Beschuldigten zum Reden zu bringen. In den Verhören ht Scheich Mohammed ein abenteuerliches Geständnis abgelegt und die Verantwortung für nicht weniger als 31 geplante bzw. ausgeführte Terroranschläge (unter anderem auf das World Trade Center, auf den Papst sowie auf verschiedene US-Präsidenten etc. pp.) auf sich genommen.
Den im Januar 2002 in Pakistan entführten US-Journalisten Daniel Pearl will Scheich Mohammed laut dem vom Pentagon veröffentlichten Vernehmungsprotokoll gar eigenhändig enthauptet haben. Auch Mustafa Ahmad al-Hawsawi und Walid bin Attash haben angeblich weitgehend gestanden, an der Vorbereitung der Attentate mitgewirkt zu haben. Während Ramzi Binalshibh Quellen zufolge jede Zusammenarbeit mit der US-Militärjustiz abgelehnt hat, soll der fünfte Angeklagte Ali Abd al-Aziz jede Verwicklung in die Terroranschläge abstreiten.
Teilsieg für Omar Khadr
Unterdessen hat der in ebenfalls Guantánamo gefangengehaltene Kanadier Omar Khadr, Sohn eines angeblichen hohen Al-Qaida-Führers, einen juristischen Teilsieg errungen. Ende Mai hat der Oberste Gerichtshof Kanadas der hartnäckigen Weigerung der kanadischen Regierung zum Trotz einstimmig entschieden, dass Ottawa einige zentrale Dokumente an das Verteidigerteam Omar Khadrs aushändigen muss.
Der damals 15-jährige Omar Khadr war im Sommer 2002 von der US-Armee bei einem Feuergefecht in der Nähe von Khost (Afghanistan) gefangengenommen worden. Er wird beschuldigt, bei dem Gefecht einen US-Soldaten mit einer Handgranate getötet zu haben. Khadr selbst erlitt während seiner Gefangennahme mehrere Schusswunden. Er soll dabei so schwer verletzt worden sein, dass er auf einem Auge nahezu blind ist.
Im Oktober 2002 wurde er als illegaler „feindlicher Kämpfer“ nach Guantánamo gebracht. In einer beeidigten schriftlichen Erklärung schilderte Khadr detailliert seine Behandlung in den beiden Gefängnissen. Demnach wurde er in Isolationshaft gehalten, über längere Zeit in Stresspositionen gezwungen, physisch misshandelt und mit Vergewaltigung bedroht. Darüber hinaus gibt Omar Khadr an, man habe ihm angedroht, ihn in ein anderes Land zu überstellen, um ihn dort foltern zu lassen.
Unter der Verletzung internationaler Gesetze über Kindersoldaten und der Genfer Konventionen wurde er im Jahr 2007 vor einer Militärkommission einer langen Liste von Verbrechen, einschließlich Mord, Verschwörung, Spionage und Unterstützung des Terrorismus, angeklagt. Khadr ist der letzte Bürger eines westlichen Landes, der in Guantánamo gefangen gehalten wird.
Bei den Verhandlung vor dem Militärrichter machte Omar Khadr auf die Beobachter einen erschreckenden Eindruck: Viel älter als seine 20 Jahre und emotional völlig abgestorben. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb, dass sich Omar Khadr kaum dazu eigne, der amerikanischen Öffentlichkeit zu zeigen, dass auf Guantánamo gefährliche „Super-Terroristen“ festgehalten würden. Viel eher handelte es sich bei Omar Khadr um einen Kindersoldaten.
Kanada hat sich bislang nach Einschätzung von Amnesty International kaum für seinen Staatsbürger Omar Khadr eingesetzt. Vertreter der kanadischen Regierung haben den US-Behörden im Verfahren gegen Khadr vielmehr assistiert. In Guantánamo wurde Khadr auch von Agenten des kanadischen Geheimdienstes CSIS verhört, die Verhörprotokolle wurden anschließend dem US-Militär übergeben. Einstimmig erkannte Kanadas Oberster Gerichtshof, sowohl die Teilnahme von CSIS-Agenten an den Verhören als auch die Weitergabe der Verhörprotokolle an US-Beamte verstießen gegen internationales wie kanadisches Recht.
Kanadas höchstes Gericht begründete seine Entscheidung mit der rechtswidrigen Natur der US-Gefangenlager. Dabei stützten sich die Richter auf eine Entscheidung des obersten Gerichtshofs der USA: „Das Verfahren, das zu der Zeit in Kraft war, als kanadische Beamte [Khadr] interviewten und die Früchte ihrer Interviews an US-Beamte weitergaben, wurde vom U.S. Supreme Court […] als Verstoß gegen heimisches Gesetz und gegen internationale Menschenrechtsverpflichten beurteilt, die Kanada unterschrieben hat. Die comity [of nations]1, die normalerweise die Achtung fremden Rechts verlangt, hat in diesem Fall keine Geltung. Folgerichtig gilt die [kanadische] Verfassung."
Zugleich enthielten sich die neun Richter aber jedes unabhängigen Urteils über die Rechtmäßigkeit der Verfahren in Guantánamo Bay. Zudem wiesen sie den Antrag der Verteidigung auf Freigabe ausgerechnet eines Dokuments zurück, das die von den USA gegen Khadr erhobene Beschuldigung des Mordes erschüttern, wenn nicht widerlegen könnte. Das US-Militär hatte das Dokument zunächst unterdrückt und behauptet nun, es sei verlorengegangen. Ottawa ist im Besitz einer Kopie, hat Khadr aber die Einsicht verweigert und darf dies mit dem Hinweis auf die „nationale Sicherheit“ laut Gerichtsbeschluss auch weiterhin tun.
Laut Khadrs Militär-Verteidiger Lieutant-Commander Bill Keubler „ … besteht der wichtigste Aspekt darin, dass der oberste Gerichtshof Guantánamo als illegal bezeichnet hat, und die kanadische Regierung weiterhin nichts tut, um im Sinne Omar Khadrs zu intervenieren“.
Der Versuch der Regierung in Ottawa, Omar Khadr den Zugang zu Dokumenten zu verweigern, die seine Verteidigung unterstützen könnten, ist ein weiteres Beispiel für die Komplizenschaft der kanadischen Regierung bei Khadrs Internierung und Folter. Weder die liberale Vorgängererregierung noch das gegenwärtige konservative Minderheitskabinett hat jemals in Washington gegen Khadrs Gefangenennahme protestiert, geschweige denn sich für seine Auslieferung nach Kanada eingesetzt.
Vor dem Hintergrund, dass ein vom Außenministerium Kanadas herausgegebenes Diplomaten-Handbuch unter den Staaten, in denen Gefangene mit brutaler Behandlung rechnen müssen, neben Iran, Syrien, China und Afghanistan auch die USA und Israel auflistete, ist die Komplizenschaft der kanadischen Regierung mit der Bush-Administration besonders pikant.