Scheinbare Befürworter von Volksentscheiden
Direktkandidaten und Parteien zwischen Wahlversprechen und Willenserklärung
Der Verein Mehr Demokratie befragte 1.499 Bundestags-Direktkandidaten der sechs etablierten Parteien nach ihrer Haltung zu bundesweiten Volksabstimmungen. Insgesamt sprachen sich 67 Prozent dafür aus. Die restlichen 33 Prozent setzten sich dabei nicht nur aus expliziten Gegnern, sondern auch aus Antwortverweigerern zusammen, die teilweise Parteien angehören, welche sich offiziell für Volksabstimmungen aussprechen.
Ein Ergebnis, das auf den ersten Blick insofern überrascht, als Anträge zur Einführung solcher Volksentscheide zwar seit Jahren immer wieder in den Bundestag eingebracht werden, dort aber bisher nie eine ausreichende Mehrheit fanden.
Das Rätsel löst sich allerdings dann teilweise auf, wenn man sich die auf der Website volksentscheid.de gesammelten Erklärungen der Kandidaten im Detail ansieht: Nur manche davon sind klar und deutlich, andere dagegen so einschränkend formuliert, dass sie eher als Wahlversprechen, denn als Willenserklärung gewertet werden müssen. So stellt etwa Hans-Georg von der Marwitz, ein CDU-Direktkandidat aus dem Osten Brandenburgs, seine angebliche Befürwortung unter solch massive Vorbehalte, dass sie einer Ablehnung gleichkommt:
Grundsätzlich halte ich Volksentscheide für legitim und eine Möglichkeit der politischen Einflussnahme durch den Bürger. Allerdings besteht die Gefahr, den politischen Entscheidungsprozess durch unsere Volksvertreter so zu beeinträchtigen, dass Verantwortung und Kompetenz des Parlaments außer Kraft gesetzt wird. Die Hürden für plebizitäre Entscheidungen auf Bundesebene [...] müssen dementsprechend hoch gehängt werden, so dass Missbrauch und Instrumentalisierung von vornherein ausgeschlossen werden.
Hinzu kommt, dass etwa die Hälfte der Abgeordneten nicht über Direktmandate, sondern über Parteilisten in den Bundestag gelangt. Solche Abgeordneten haben im allgemeinen ein größeres Interesse am Fortbestand einer relativ uneingeschränkten Parteienherrschaft als Direktkandidaten. Zudem verteilen sich Befürworter und Gegner von Volksentscheiden nicht gleichmäßig auf alle Parteien - die wiederum unterschiedlich stark im Bundestag vertreten sind.
Aus den Reihen der CDU wurden nur 26 der insgesamt 267 Direktkandidaten (trotz teilweise sehr einschränkender Äußerungen) als Befürworter gezählt. Die prominenteste unter ihnen ist das "Busenwunder" Vera Lengsfeld. Auch in der Schwesterpartei CSU befürwortet - anders als man dies nach den Verlautbarungen des Parteichefs erwarten hätte können - lediglich eine Minderheit von 5 Direktkandidaten Volksabstimmungen - 27 sind dagegen. Im Unterschied zu Peter Gauweiler, der sich unmissverständlich dafür ausspricht, beschränken die vier weiteren als Volksabstimmungsbefürworter gezählten CSU-Direktkandidaten ihre Zustimmung überdies auf EU-Fragen.
Zwar kommt eine deutliche Mehrheit der expliziten Gegner von Volksabstimmungen aus der Reihen der Unionsparteien - dennoch ist es keineswegs so, dass sich nicht auch unter den Kandidaten der anderen Parteien Personen befinden würden, die mehr direkte Demokratie auf Bundesebene explizit verhindern wollen, wie beispielsweise der Berliner Grüne Christian Gerber und seine Münchner Parteigenossin Ulrike Goldstein.
Mehr kategorische Plebiszitgegner gibt es unter den SPD- und FDP-Direktkandidaten, deren Parteien Volksabstimmungen auf Bundesebene ebenso wie die Grünen offiziell befürworten. Bei der SPD sind dies beispielsweise Ingrid Arndt-Brauer, die im Kreis Steinfurt antritt, der Pfälzer Gustav Herzog und der Krefelder Pharmareferent Bernd Scheelen.
In der FDP stellen sich neben dem Kultursubventionsbefürworter Hans-Joachim Otto ("Plebiszite sind Prämien für Demagogen") unter anderem der Rheinländer Markus Bestgen ("mit Volksentscheiden würden Politiker aus dieser Verantwortung entlassen"), der im Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel antretende Thomas Keller ("ich erinnere an Lemminge") und der Brandenburger Rainer Krause (der gleichzeitig vor Adolf Hitler, Silvio Berlusconi, Oskar Lafontaine und dem "Beispiel Schweiz" warnt) einer direkte Volksbeteiligung auf Bundesebene ausdrücklich entgegen.