Scheindemokratie voller leerer Hülsen
Seite 2: In der Postdemokratie spielen die Wähler keine Rolle mehr
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Die Postdemokratie ist also ein Regierungssystem, in dem die formalen demokratischen Institutionen de facto von privilegierten Wirtschaftseliten kontrolliert werden und nicht mehr von den Bürgern. Galt früher eine Demokratie durch ihren Input, die Partizipation ihrer Bürger, als legitim, so rechtfertigt sie sich in postdemokratischen Zeiten vornehmlich durch ihren Output.
Die Wähler spielen, wenn überhaupt, nur noch eine untergeordnete Rolle und sind für die Entscheidungsfindung nicht mehr wichtig. Das System der politischen Willensbildung löst sich vom einstigen Souverän der Demokratie ab und funktioniert ohne ihn weiter.
Man kann das im Wortsinn beschreiben. Die Herrschaft - griechisch: κρατία - trennt sich vom Souverän, dem Volk - griechisch: δῆμος - und macht alleine weiter. Doch eine Volksherrschaft, in der das Volk nicht vorkommt, ist nur noch Herrschaft, keine Volksherrschaft, keine Demokratie. Am Ende also pure Herrschaft ohne demokratische Basis.
Doch es ist an den Haaren herbeigezogen, zwischen formalem Funktionieren und materiellem Nichtfunktionieren zu unterscheiden. Ein demokratisches System lässt sich auf reine Formalismen nicht reduzieren. Wenn es in der Substanz entleert ist, dann funktioniert es auch formal nicht. Dann funktioniert es überhaupt nicht. Der Apparat rattert bloß richtungslos, aber keinesfalls geräuschlos, vor sich hin.
Eine lebendige Demokratie kann nicht ohne den konstruktiven Dialog zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Politikern und Bürgern auskommen. Und erst in einem solchen Dialog entfaltet sich gelebte Demokratie. Formale Demokratie ist keine Demokratie. Noch nicht einmal eine leere Hülse. Sie ist überhaupt keine Demokratie.
Nur noch geschmierte Räderwerke im Leerlauf
In den entwickelten repräsentativen Demokratien funktionieren auch die institutionellen Grundgerüste schon lange nicht mehr. Wenigstens nicht mehr auf demokratische Weise. Auch nicht formal. Es sieht wohlgeschmierte Räderwerke, die ineinander greifen und wie ein Uhrwerk ablaufen. Sie sind völlig pervertiert und zu Instrumenten des Machterhalts und der Versorgung der herrschenden Machteliten verkommen.
Wahlkämpfe sind nur noch von PR-Experten inszenierte Schauspiele, die einige politische Themen für die Bevölkerung theatralisch in Szene setzen und ihr dabei vorgaukeln, sie hätte etwas zu entscheiden und etwas auszuwählen. Sie hat aber nichts auszuwählen; denn die Themen haben sich die Parteiführer und ihre PR-Agenten schon vorher herausgepickt, und zwar nicht nach dem Gesichtspunkt, welche Themen der Bevölkerung unter den Nägeln brennen. Ganz im Gegenteil, solche Themen werden absichtlich ausgeblendet.
Ausgewählt werden Themen, mit denen man Wahlen zu gewinnen hofft. In Wahrheit darf die Bevölkerung nur herunterschlucken, was die Parteizentralen ihr vorgekaut haben. Die Bevölkerung ist zum Wiederkäuer der Parteien degradiert worden.
Die Bürger spielen dabei nur noch eine passive oder gar apathische Rolle, unfähig zur eigenen Gestaltung der politischen Auseinandersetzung. Im Rücken dieser Inszenierung des Wahlspiels findet der tatsächliche politische Prozess statt und zwar in Form einer privatisierten Interaktion zwischen gewählten Regierungen und Eliten, die größtenteils die Interessen wirtschaftlich starker Akteure vertreten.
An die Stelle einer durch Wahlen vermittelten Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an den politischen Entscheidungen sind intransparente Verhandlungen getreten, und der demokratische Prozess dient einzig der Erzeugung von Massenloyalität.
Wahlen ohne Sinn und Substanz
Nach Crouch ist eine Postdemokratie "ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden ..., in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben".3
Die Einbeziehung der Bevölkerung in Wahlen dient nur dazu, die Loyalität der Massen zu erhalten, da so der demokratische Schein bestehen bleibt. Denn in dem auf die Wahlen folgenden politischen Prozess hat man es mit einer Interaktion der gewählten Regierung und den "Akteuren aus der Wirtschaft" zu tun. Die eigentlich vorausgesetzte Interaktion zwischen den gewählten Repräsentanten im Parlament und der Bevölkerung fehlt. Crouch postuliert4:
Je mehr sich der Staat aus der Fürsorge für das Leben der normalen Menschen zurückzieht und zulässt, dass diese in politische Apathie versinken, desto leichter können Wirtschaftsverbände ihn - mehr oder minder unbemerkt - zu einem Selbstbedienungsladen machen. In der Unfähigkeit, dies zu erkennen, liegt die fundamentale Naivität des neoliberalen Denkens.
Durch den Begriff Postdemokratie kann man nach Crouch5 besser
Situationen beschreiben, in denen sich nach einem Augenblick der Demokratie Langeweile, Frustration und Desillusionierung breitgemacht haben; in denen Repräsentanten mächtiger Interessengruppen ... weit aktiver sind als die Mehrheit der Bürger ...; in denen politische Eliten gelernt haben, die Forderungen der Menschen zu manipulieren; in denen man die Bürger durch Werbekampagnen "von oben" dazu überreden muss, überhaupt zu Wahl zu gehen.
Mit anderen Worten: Die entwickelte repräsentative Demokratie ist nichts als "eine Scheindemokratie im institutionellen Gehäuse einer vollwertigen Demokratie".6 Alle Institutionen sind leere Hülsen ohne Inhalt und ohne Substanz. Die Parlamente haben nichts mehr zu entscheiden, was nicht an anderer Stelle und vor ihnen längst entschieden wurde. Die Wahlkämpfe sind zu großangelegten Schaukämpfen verkommen, in denen außer Schaumschlägerei nichts passiert.
Selbst Parteitage - einst zentrale Orte der politischen Willensbildung und Foren der Auseinandersetzung um wichtige gesellschaftliche Zukunftsfragen - sind nichtssagende Veranstaltungen geworden, die überwiegend unter medialen Wirkungsaspekten durchkomponiert werden und auf denen vor allem für das Fernsehen paradiert wird. Und der Parteivorsitzende muss immer eine "kämpferische Rede" halten, die überzeugend begründet, warum es nur eine einzige Partei existiert, die alle Probleme der Politik zu lösen vermag, und warum er der nächste Kanzlerkandidat werden muss.
Parteitage wie einst bei den Kommunisten
Der Politikwissenschaftler Arnulf Baring hat für Parteitage nur noch blanke Verachtung übrig. Sie sind nach seinen Worten "streng hierarchisch von oben nach unten durchorganisiert… Es gelingt kaum einem Kritiker, als Delegierter zu einem Parteitag entsandt zu werden." Parteitage sind für ihn gar "Veranstaltungen, wie wir sie aus ehemals kommunistischen Ländern kennen".
Auch Bürger, die sich nicht viel mit Politik befassen, haben den Zirkuscharakter des öffentlichen Auftretens von Politikern und politischen Parteien längst durchschaut und reagieren mit Verachtung, Desinteresse und Apathie. Man kann ihnen das nicht verübeln. Denn statt Personen und Institutionen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, bekommen sie die rhetorischen Kunststückchen von Zirkusgäulen vorgeführt. Das langweilt. Es ist doch nur konsequent, wenn sie aufhören, sich überhaupt für Politik zu interessieren und immer seltener wählen gehen.
Der Teil 9 unserer demokratiekritischen Artikelreihe schaut einmal genauer hin, womit Abgeordnete in den Parlamenten so ihre Zeit verbringen: Mit dem Parlamentarismus eng verknüpft war ja stets die naive Vorstellung, dass so etwas wie eine Regierung durch kultivierte Debatte möglich sei, dass also die Vernunft von Entscheidungen wie einst Phoenix aus der Asche aus Diskussionen emporsteigen könne - so wie das aus den geistreichen Debatten im antiken Athen und Rom möglich schien. Doch selbst in der Frühzeit des Parlamentarismus war das eine reine Utopie. Doch in den hoch ritualisierten Debatten moderner Parlamente ist von vornherein jede Hoffnung darauf begraben, dass aus dem primitiven und dennoch zahnlosen Parteiengebrüll auch nur Rudimente von Vernunft hervorgehen könnten.