Scheitern in Tripolis
Über mehr als Absichtserklärungen kam man bei der gemeinsamen Konferenz der EU mit Staaten der Afrikanischen Union (AU) über Einwanderungsfragen nicht hinaus
Zwei Tage hatten in der libyschen Hauptstadt Tripolis 78 Staaten der EU und der Afrikanischen Union (AU) über Einwanderung und Entwicklung debattiert. Doch im gemeinsamen Abschlussdokument wurde keine einzige konkrete Maßnahme vereinbart. Weil die EU nicht bereit war, den geforderten Entwicklungsfond einzurichten, weigerten sich die afrikanischen Länder, die geforderte Rücknahme ihrer Landsleute festzuschreiben. Der libysche Staatschef Gaddafi bezeichnete die Emigration als natürliches Phänomen und als Recht aller.
Es ist erstaunlich, dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Konferenz in Tripolis als "wichtigen Schritt" bezeichnet. Dieses positive Bild steht im krassen Gegensatz dazu, wie das Treffen zum Beispiel in spanischen Medien beurteilt wird, wo auch vom "völligen Scheitern" gesprochen wird.
Als "positiv" kann gewertet werden, dass es überhaupt eine gemeinsame Erklärung gab und dass so viele afrikanische Staaten an dem Treffen teilnahmen. In den wesentlichen Fragen ist man aber keinen Schritt weiter gekommen. Die angestrebten Rahmenbedingungen für eine Migrationspolitik sind auch weiterhin nicht in Sicht. Die Folgekonferenz von Rabat, die im Juli stattfand, blieb allerdings noch unkonkreter.
Die Afrikaner forderten konkrete Hilfe, denn es sollte auf dem Treffen auch um Entwicklung gehen, um der Jugend in Afrika eine Zukunft bieten zu können. Doch Entwicklungspolitik führt man in der EU zwar gerne im Mund, wenn es um konkrete Mittel geht, werden die Politiker meist einsilbig. Ihr Ziel war, wie schon in Rabat, die afrikanischen Länder in ihre Abschottungspolitik einzubinden.
Dort hatte die EU durchgesetzt, dass die Grenzschutzagentur Frontex vor der Küste Westafrikas mit Marokko, Mauretanien, Senegal und den Kapverdischen Inseln gemeinsame Patrouillen durchführt. Nun stand, neben der stärkeren Einbindung des Gastgebers die Rücknahme derer auf dem Programm der EU, die weiterhin Europa erreichen.
Doch einer allgemeinen Rücknahme wollten die Afrikaner nur zustimmen, wenn die EU im Gegenzug in der Abschlusserklärung auch konkrete Zahlen für die Unterstützung genannt hätte. Dazu war die EU nicht bereit. So wurde nur die "die Möglichkeit zur Schaffung eines Fonds" für Entwicklungshilfemaßnahmen in Aussicht gestellt. Dafür soll eine "gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern der Afrikanischen und Union und der EU-Kommission gebildet werden", heißt es nun im elfseitigen Schlussdokument.
Erneut wird allgemein erklärt, der Kampf gegen die illegale Einwanderung dürfe sich nicht nur auf repressive Maßnahmen stützen, sondern müsse mit einer Entwicklungspolitik und einer Politik zur friedlichen Lösung von Konflikten und Stabilität in Afrika gekoppelt werden. Die EU versprach, bis 2010 den Anteil für Entwicklungshilfe auf 0,56% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu steigern. Die Hälfte der Steigerung soll den afrikanischen Staaten zu Gute kommen. Dabei wird seit 35 Jahren ein Anteil am BIP von 0,7 % angestrebt und der Anteil in den OECD-Ländern sank von mageren 0,33 Prozent (1990) auf klägliche 0,25 Prozent (2005).
Einwanderung ist ein „natürliches Phänomen“
So darf niemanden wundern, wenn sich die Afrikaner schwer in der Rücknahmefrage tun, schließlich halten die Überweisungen der Auswanderer die Wirtschaft einiger Staaten aufrecht und sichern das Überleben vieler Familien. Nach langen Debatten gelang es der EU lediglich, in die Präambel einen Passus über die Bedeutung früherer Abkommen aufzunehmen. Konkret war das von Cotonou gemeint, als afrikanische Staaten im Jahr 2000 im Beniner Regierungssitz die Rücknahme derer zugesagt hatten, die illegal nach Europa gelangen. .
Auch in der Frage der legalen Einwanderung kam man nicht weiter. Vereinbart wurde nun, über die "Vereinfachung" der Verfahren zu "debattieren", um einer "bestimmten Personengruppe" den Zugang in die EU zu gewähren. Dazu gehört auch die zeitlich befristete Migration, zum Beispiel als Erntehelfer, "wobei die Bedürfnisse des Marktes und der Schutz der Arbeitsemigranten beachtet werden müssen".
Am Rande der Konferenz hatte der EU-Kommissar für Entwicklung Louis Michel angeregt, Einwanderungsagenturen in den Herkunftsländern einzurichten, um die Menschen zu informieren und die Einwanderung zu steuern und zu regeln. Er sprach auch die unbequeme Wahrheit an, dass es sich bei der Einwanderung um ein "natürliches Phänomen" handele.
Das bekräftigte auch der libysche Staatschef Muammar Gaddafi, der die Einwanderung als "ein Recht" bezeichnete. Grenzen seien eine neue künstliche Erfindung und sich gegen die Einwanderung zu stellen, sei "wie gegen die Strom zu rudern", sagte er. Man dürfe die komplexen sozialen und historischen Gründe für das Phänomen nicht ignorieren.
So wird sich die Hoffnung der EU kaum erfüllen, Libyen, als eine der derzeitigen Haupttransitländer, stärker in die EU-Pläne einzubinden und es zu einem Vorposten der Abschottungspolitik zu machen, wie es mit Marokko gelungen ist. Während über Libyen in diesem Jahr geschätzte 16.000 Flüchtlinge auf die italienische Insel Lampedusa gelangten, haben knapp 30.000 Menschen den langen Weg von Mauretanien und dem Senegal aus auf die Kanarischen Inseln zurückgelegt. Das sind 2006 schon fast sechs Mal so viele wie im gesamten Vorjahr. Es zeigt sehr deutlich, dass sich nur die Routen verändern. Wie viele auf dem langen Weg nun ihr Leben verlieren ist unklar. Allein im letzten Winter waren es Tausende.