Schicksalstag für Julian Assange

Sprühschablone mit Portrait von Julian Assange in Leipzig. Bild: Herder3, CC BY-SA 3.0

Britisches Gericht entscheidet heute über die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers in die USA. Die Bundesregierung ging zuletzt etwas ehrlicher mit dem Fall um

Kurz vor der gerichtlichen Entscheidung über einen Auslieferungsantrag der USA gegen den australischen Journalisten und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, hat sich die Bundesregierung erstmals kritisch zu dem Verfahren in London geäußert. Sie verfolge mit Sorge den Prozess in Großbritannien und die im November schriftlich eingereichten Schlussplädoyers von Anklage und Verteidigung, so die SPD-Bundestagsabgeordnete und Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, am Mittwoch. Obwohl die Erklärung zurückhaltend formuliert ist, deutet sie auf ein Ende der Doppelzüngigkeit Berlins gegenüber einer der skandalträchtigsten Politprozesse in Europa hin.

"Menschenrechtliche und humanitäre Aspekte einer möglichen Auslieferung dürfen nicht übersehen werden", so Kofler weiter. Der körperliche und psychische Gesundheitszustand von Julian Assange müsse bei der Entscheidung über die Auslieferung in die USA "unbedingt Berücksichtigung finden". Schließlich sei Großbritannien - auch nach dem Brexit - an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden. Dies gelte auch mit Blick auf das Strafmaß und die Haftbedingungen.

Nach einer von Unregelmäßigkeiten und Intransparenz überschatteten monatelangen Verhandlung wird Richterin Vanessa Baraitser am heutigen Montag um zehn Uhr das Urteil verkünden. Sie entscheidet dann, ob der 49-jährige Journalist in die USA ausgeliefert wird, wo er sich 17 Anklagepunkten nach dem Antispionagegesetz stellen müsste. Zudem ist Assange in einer erweiterten Anklage wegen Eindringens in Computer angeklagt. De facto droht ihm lebenslange Haft.

Zu erwarten ist allerdings, dass die jeweils unterlegene Seite nach dem heutigen Richterspruch binnen 28 Tagen in Berufung gehen wird. Der Rechtsstreit über eine Auslieferung von Assange in die USA könnte sich jahrelang hinziehen und am Ende vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgefochten werden. Der kritische Punkt ist daher nicht unbedingt die Auslieferung an sich, sondern die Haftbedingungen, die klar gegen menschenrechtliche Standards verstoßen.

Die Bundesregierung wusste es besser

Doch eben das hat die Bundesregierung seit der dramatischen Festnahme Assanges am 11. April 2019 in der Botschaft von Ecuador in London ignoriert (Festnahme von Julian Assange aufgrund von US-Auslieferungsantrag). "Es bleibt bei unserer Haltung", sagte Außenamtssprecher Rainer Breul Anfang Dezember 2019: "Wir haben keinen Grund, am rechtsstaatlichen Vorgehen der britischen Justiz und der Einhaltung internationaler Mindeststandards bei den Haftbedingungen zu zweifeln."

Im Februar vergangenen Jahres wiederholte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen, die Bundesregierung habe an der Rechtsstaatlichkeit und Arbeitsweise der britischen Justiz keinerlei Zweifel: "Wir gehen davon aus, dass Julian Assange in Großbritannien ein faires Verfahren erhält und die Einhaltung der Menschenrechte und internationaler Rechtsstaatsprinzipien gewährleistet ist", so der SPD-Politiker.

Wohlgemerkt, das war zu einem Zeitpunkt, zu dem der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Nils Melzer, sowie zahlreiche Menschenrechtsorganisationen mit teils drastischen Worten die Misshandlung des WikiLeaks-Gründers in britischer Haft kritisiert und auch die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert hatten.

Und: Das Portal fragdenstaat.de hatte im September enthüllt, dass die Bundesregierung über die deutsche Botschaft in London sehr wohl über die rechtsstaatlichen Probleme des Prozesses und auch die unhaltbaren Haftbedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh informiert war. Anders als Sprecher oder Staatsminister des Auswärtigen Amtes in der Bundespressekonferenz oder dem Bundestag zugaben, hatten deutsche Diplomaten Berlin durchgehend über den Prozess in Kenntnis gesetzt. Auch mehrere deutliche Berichte des UN-Sonderberichterstatters Melzer lagen dem Auswärtigen Amt vor.

Man könnte sagen, Vertreter des Außenamtes haben zur Causa Assange anhaltend die Unwahrheit gesagt, um sich nicht einem Fall von Politjustiz und Folter in den eigenen europäischen Reihen stellen zu müssen.

Forderungen zum Handeln waren lange verhallt

Mit ihrer vorsichtigen Kritik bricht die SPD nun ein stückweit mit ihrer bisherigen probritischen und transatlantischen Linie. Appelle zu einem solchen Richtungswechsel hatte es zuhauf geben. Die Bundesregierung solle "alle diplomatischen Kanäle bemühen, diese gefährliche Präzedenz zu verhindern", hatte CCC-Sprecher Dirk Engling im September gegenüber Telepolis gefordert ("Bundesregierung sollte diesen gefährlichen Präzedenzfall verhindern").

In den letzten Jahren sei mehrfach festgestellt worden, dass die von WikiLeaks unter Assange veröffentlichten Informationen "ganz überwiegend im öffentlichen Interesse waren und auch die Bemühung von WikiLeaks, die geleakten Inhalte zu schwärzen, durchaus journalistischen Standards genügte", so Engerling. Bei näherer Betrachtung sei der Appell an Zivilcourage und bürgerliches Engagement zudem nur dann angeblich illegal, "wenn die USA ein paar antiquierte Landesverratsparagraphen aus dem Keller holen".

Der CCC-Sprecher erinnerte im Telepolis-Interview daran, dass auch in Deutschland der inzwischen offen ins rechte Lager gewechselte Ex-Geheimdienstler Hans-Georg Maaßen mit einem ähnlichen Mittel gegen das Portal netzpolitik.org vorgegangen war.

Der politische Prozess gegen Assange und das harsche Vorgehen der britischen Justiz führen nun, am Ende, doch noch zu der lange ausgebliebenen Kritik. Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen außer der AfD hatten sich vor wenigen Tagen mit der Gründung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe für die Freilassung des Journalisten eingesetzt. Die Initiative "von Abgeordneten aller demokratischen Fraktionen im Deutschen Bundestag" war vor den Weihnachtsfeiertagen mit einer Erklärung vorgestellt worden, die Telepolis dokumentiert hatte (Von Linken bis CDU: Mega-Koalition für Julian Assange).

Wenn Richterin Baraitser heute das Urteil verliest, wird Assange all das nur mittelbar helfen. Nicht nur, dass die Kritik aus Berlin zu vage ist und zu spät kommt. Vor Ort wird sie auch nicht wahrnehmbar sein. Die Regeln zur Eindämmung der Corona-Krise in Großbritannien verhindern eine adäquate Prozessbeobachtung.

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