Schiefe Bilanzen, ungewisse Aussichten

Die NPD verstrickt sich - kurz vor den für die Partei wichtigen Kommunalwahlen - immer tiefer in undurchsichtige finanzielle Machenschaften

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Nun soll auch der Bundesvorsitzende Udo Voigt von den chaotischen Zuständen profitiert haben.

Wenn es nach dem Willen der Bundestagsverwaltung gegangen wäre, hätten die nachgewiesenen Fehler im Rechenschaftsbericht 2007 die NPD 2,5 Millionen Euro gekostet. Doch die 2. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts teilte diese Rechtsauffassung nur zur Hälfte. Zwar habe die NPD die erhaltenen staatlichen Mittel nicht in voller Höhe ausgewiesen und damit gegen das parteienrechtliche Transparenzgebot verstoßen. Eine Bestrafung in doppelter Höhe der beanstandeten Summe lehnten die Richter allerdings ab. Nun muss die NPD 1,27 Millionen Euro zahlen, sofern die Berufungsverhandlung zu keinem anderen Ergebnis kommt.

Für die Nationaldemokraten ist das Urteil der vorläufige Höhepunkt einer schwer zu durchschauenden Finanzaffäre, die der frühere Bundesschatzmeister Erwin Kemna ins Rollen brachte. Der heute 58-jährige soll um die 700.000 Euro aus der Parteikasse abgezweigt haben und wurde nach einem späten Geständnis im Sommer 2008 zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt.

Beobachter und parteiinterne Kritiker des seit 1996 amtierenden Bundesvorsitzenden Udo Voigt fragten sich schon damals, wie eine solche Summe ohne Voigts Wissen oder Billigung verschwinden konnte, doch dieser bestritt eine Verwicklung in den Fall Kemna vehement. Überhaupt seien die fortgesetzten Attacken auf das Finanzgebaren der NPD lediglich ein Versuch des „Systems“, die Partei „kampfunfähig machen“, erklärte Voigt kurz vor dem Urteilsspruch des Berliner Verwaltungsgerichts im NPD eigenen Web-TV. Er bezog sich damit offenbar auf eine Überlegung des Berliner Innensenators Ehrhart Körting (SPD), den Rechtsextremen eine Zwangs-Insolvenz zu verordnen und damit das oft diskutierte, bereits einmal gescheiterte und durchaus unsichere Verbotsverfahren vorerst überflüssig werden zu lassen.

Wenn Firmen überschuldet sind, gibt's die Möglichkeit eines Insolvenz-Verfahrens. Da Parteien nicht über dem Gesetz stehen, sollte das auch bei der NPD der Fall sein. Parteispenden und die Wahlkampfkosten-Erstattung des Bundes würden dem Insolvenz-Verwalter unterstehen. Die NPD könnte dann nur noch auf ehrenamtliche Mitarbeiter zurückgreifen.

Ehrhart Körting

„Kurzfristige Zwischenfinanzierung“

Seit dem vergangenen Wochenende gehört das „System“ freilich zu Voigts kleineren Problemen. Nach Erkenntnissen eines Nachrichtenmagazins, das auf ein „Papier aus dem politischen Nachlass des kriminellen Ex-Schatzmeisters“ verweist, hat der Vorsitzende von der eigenen Partei selbst Geld für eine "kurzfristige Zwischenfinanzierung" erhalten. Die Rede ist von 30.000 Schweizer Franken, die offenbar in bar übergeben und als Darlehen gewährt wurden.

Warum es sich um Franken handelt, aus welchem Grund die Summe nicht überwiesen wurde und ob der Parteichef das Geld bis dato zurückgezahlt hat, wollte NPD-Justitiar Frank Schwerdt den wissbegierigen Journalisten nicht verraten. Rätselhaft bleibt überdies, was es mit weiteren 12.500 Euro auf sich hat, die Voigt im Dezember 2004 von der NPD erhalten haben soll, diesmal als Rückzahlung eines Darlehens, dass er selbst der Partei zur Verfügung gestellt haben will.

Das Magazin berichtet von einer Anzahl weiterer Darlehen, die ein beträchtliches Loch in der Parteikasse hinterlassen haben sollen. Die NPD bemühe sich deshalb, „das knappe Restgeld der Partei in Sicherheit zu bringen“. So soll der neue Schatzmeister Ulrich Eigenfeld gerade erst versucht haben, eine private Zuwendung in Höhe von 50.000 Euro, die für die Gründung einer politischen Stiftung vorgesehen war, an den „Verein zur Pflege nationaler Politik“ umzuleiten.

Ob solche Transaktionen die Partei vor einem finanziellen Desaster retten können, ist angesichts der zu erwartenden Strafzahlungen in siebenstelliger Höhe unwahrscheinlich. Doch die Partei verfügt über gute Kontakte, solvente Gönner und Mitglieder. Gut möglich also, dass auch in dieser Situation ein Ausweg gefunden wird.

Noch mehr Gerichtstermine

Gut möglich auch, dass Udo Voigt, der vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen Beleidigung in Tateinheit mit Volksverhetzung gerade erst zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde, wieder die Justiz bemühen muss. Den Beschluss des Bundeswehrverbandes, der in eben dieser Verurteilung die Voraussetzung für den Entzug der Mitgliedschaft sieht und den ehemaligen Zeitsoldaten am 18. Juni aus den eigenen Reihen ausschließen möchte, will er jedenfalls nicht ohne weiteres hinnehmen. Voigt hatte sich 1972 für 12 Jahre verpflichtet und berichtet noch in seinem aktuellen Lebenslauf erkennbar stolz von der ereignisreichen Soldatenzeit.

2 Jahre Offiziersausbildung in der Luftwaffe, 15 Monate Fachausbildung in El Paso/Texas, 8 Monate Auslandsverwendung als Sicherheitsoffizier auf einem NATO-Schießplatz in Griechenland, 6 Jahre Dienst in der Truppe als Feuerleitoffizier einer Flugabwehrraketenbatterie und dann Kampfführungsdienstoffizier eines FlaRak-Batallions, letzter Dienstgrad: Hauptmann, Dienstzeitende: 1984.

Udo Voigt

Das Dienstzeitende kam unfreiwillig, denn Voigt wurde die Übernahme als Berufsoffizier wegen seiner parteipolitischen Aktivitäten verweigert. Schon damals klagte er gegen die Entscheidung beim Bundesverwaltungsgericht. Sein Parteifreund Frank Rennicke droht aus aktuellem Anlass mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Der Liedermacher, der sich selbst als „nationale Ergänzung zu Hannes Wader und Reinhard Mey“ betrachtet und bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten am 23. Mai nur vier von 1.223 Stimmen erhielt, bemängelt, dass die Präsentation seiner Kandidatur „ohne Rücksprache und damit zensiert von den Netzseiten des Deutschen Bundestages entfernt und durch rein biographische Angaben ersetzt“ wurde. So habe er „unseren deutschen Landsleuten“ kein vollständiges Bild seiner Persönlichkeit vermitteln können.

Wer sich dafür interessiert, wird im Internet schnell fündig, erfährt aber auch aus einem E-Brief an die Mitglieder der Bundesversammlung, dass der gelernte Elektro-Installateur, Hausgerätetechniker und Fachberater im technischen Außendienst seine von „Überfremdung“ bedrohte Wahlheimat in der Nähe von Stuttgart, wo er überdies „politisch verfolgt“ wurde, 2005 verlassen musste.

Seit 1994 werde ich wegen der von mir getexteten, komponierten und vorgetragenen Lieder von der Staatsanwaltschaft verfolgt und angeklagt und mußte gemeinsam mit meiner Familie mehrere politische Prozesse durchstehen, über die die Medien konsequent falsch oder einseitig berichteten und vorverurteilten.

Frank Rennicke

Warum Rennicke ausgerechnet in diesem Staat Bundespräsident werden wollte, bleibt ebenso unklar wie Voigts Festhalten an einer Interessenorganisation, die mit seinem Rauswurf „ein Signal gegen Rechtsextremisten“ setzen möchte.

Kommunalwahlkampf

Die versammelten Negativschlagzeilen kommen für die NPD zum denkbar ungeeigneten Zeitpunkt. Neben der Europawahl stehen am 7. Juni mehrere Kommunalwahlen an, bei denen die Partei ihre in den letzten Jahren erkennbar vergrößerte Basis festigen und ausbauen will. Udo Voigt erwartet einen „fundamentalen kommunalpolitischen Unterbau“ mit über 100 neuen NPD-Abgeordneten für die wichtigen Landtagswahlen und die Bundestagswahl im September dieses Jahres. In Sachsen wollen die Rechtsextremen, die bereits in sämtlichen Kreistagen vertreten sind, in 103 Städten und Gemeinden antreten. Für die thüringischen Stadträte und Kreistage stehen 73 NPD-Kandidaten zur Wahl, die ein Rahmenprogramm vertreten, das sogar die örtlichen Essgewohnheiten reformieren will.

Die NPD lehnt die massenhafte Genehmigung von ausländischen Restaurants und Imbissen ab. Wir sind nicht grundsätzlich gegen solche Einrichtungen, begrüßen sogar ein internationales Speiseangebot in unseren Städten, aber wir beobachten, daß solche Einrichtungen Überhand nehmen und die einheimische Esskultur und damit deutsche Arbeitsplätze und Gastronomie mehr und mehr verdrängen. Kurzum: Thüringen muß deutsch bleiben.

Rahmenkommunalwahlprogramm NPD-Thüringen

In Sachsen-Anhalt, wo die rechten Gesinnungsgenossen schon mal mit „Liebe Kameradinnen und Kameraden“ angesprochen werden, diagnostiziert der Landesvorstand „ein Ergebnispotenzial von weit über 15%“, das bislang allerdings nicht annähernd ausgeschöpft werden konnte. Insbesondere die Stadtratswahlen am 7. Juni könnten nun die Wende bringen, glaubt der Landesvorsitzende Matthias Heyder.

Diese Kommunalwahlen sind der Auftakt zur Landtagswahl 2011. Wenn wir in den Landesmetropolen Magdeburg und Halle mit Fraktionsstärke in die Kommunalparlamente einziehen beweisen wir, daß die NPD auch in Großstädten Wahlen gewinnen kann. Das wird ein bundesweites Signal sein und für uns der erste große Schritt in die Landespolitik.

Matthias Heyder, NPD Sachsen-Anhalt

Die „Kameradinnen und Kameraden“ in Mecklenburg-Vorpommern scheinen Ähnliches im Sinn zu haben, denn nach einer aktuellen Umfrage wäre die NPD mit 4 Prozent derzeit nicht mehr im Landtag vertreten. Engagierten Gegnern der Rechtsextremen - wie dem Greifswalder Politikwissenschaftler Hubertus Buchstein - scheint es allmählich zu gelingen, eine Gegenöffentlichkeit zu mobilisieren und deutlich zu machen, dass manche NPD-Vertreter, wenn sie denn einmal gewählt werden, neben der gefährlichen Grundeinstellung eine allenfalls „mittelmäßige Arbeitsintensität“ mit in die Parlamente bringen.

Die Bedeutung der Kommunalparlamente besteht für die NPD in erster Linie darin, eine Grundlage für kommende Landtags- und Bundestagswahlen zu schaffen. Ist die NPD erst einmal in weiteren Landtagen vertreten, oder schafft sie sogar den Sprung in den Bundestag, hofft sie, genügend Einfluss gewinnen zu können, um das bundesrepublikanische System von innen heraus abschaffen zu können. Den Rechtsextremen geht es schon deshalb nicht um konstruktive Arbeit in den kommunalen Parlamenten, weil die lokale Selbstverwaltung in einem „Führerstaat“ nach ihren Vorstellungen keinerlei Bedeutung mehr haben soll. Dieses rein strategische Verhältnis zur kommunalen Demokratie erklärt auch den großen Widerspruch zwischen der tatsächlichen parlamentarischen Arbeit der NPD-Abgeordneten und ihrer medialen Darstellung auf ihren Websites, Flugblättern und Zeitungen.

Hubertus Buchstein

Ein Forschungsprojekt der Hochschule Magdeburg-Stendal kam vor kurzem zu einer ganz ähnlichen Einschätzung. Die NPD investiert Zeit, Geld und Personal in die Kommunalwahlkämpfe um in den fünf Bereichen „Ideologietransfer - Ausbau der kommunalen Verankerung - Zugang zu Informationen - Kompetenz- und Erfahrungszuwachs - Parlament als Bühne der politischen Auseinandersetzung“ wichtige Erfahrungen zu sammeln. Darüber hinaus scheint sie damit zu rechnen, dass die Vielzahl der aufgestellten Kandidaten den Bürgerinnen und Bürgern die Vorstellung einer auch zahlenmäßig relevanten Volksbewegung suggeriert. Dieser Eindruck ist allerdings falsch. Bei den Kommunalwahlen 2007 in Sachsen-Anhalt schickte die NPD 115 Bewerber ins Rennen. Ihr Landesverband hatte seinerzeit etwa 250 Mitglieder.

Mit „Ausländerrückführungsbeauftragen“ auf Stimmenfang

Die vier Beispiele zeigen, dass die NPD vor allem in den ostdeutschen Kommunen trotz der vielfältigen Probleme auf Bundesebene unbeirrt Präsenz zeigt und mit einer kruden Mischung aus nationalen Beschwörungsformeln, rassistischen Parolen und pauschaler „System“kritik auf Stimmenfang geht. Das geschieht allerorten mit der ihr eigenen Selbstüberschätzung, aber eben auch vor dem Hintergrund eines beachtlichen Wählerpotenzials, das – wie die vergangenen Urnengänge gezeigt haben – nicht unterschätzt werden darf.

Im Westen der Republik kann sich die NPD dagegen keine großen Chancen ausrechnen. Im Vorfeld der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen (30. August oder 27. September) wurde der Ton deshalb noch einmal verschärft. „Bürgerwut in die Räte tragen“ heißt es auf dem hiesigen Rahmenkommunalwahlprogramm, in dem die Rechtsextremen für die „Abschaffung des Ausländerwahlrechts“, die „Abschaffung aller Ausländerbeiräte“, die „Streichung jeglicher Förderung für Integrationsprojekte“ oder die Beschäftigung eines "Ausländerrückführungsbeauftragen“ pro Kommune fordern.

Ausbaufähige Perspektiven werden der Partei in Nordrhein-Westfalen nicht eingeräumt, und das gilt auch für die Situation im Vorfeld der Kommunalwahlen, die am 7. Juni in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland anstehen. „Die NPD ist kein Großstadtphänomen“1 und derzeit (noch) keine politische Größe im Westen Deutschlands.

Trotzdem gilt es zu bedenken, dass sich jedes Mandat, das von NPD, DVU, Republikanern, diversen Pro-Vereinigungen oder einer anderen Partei am rechten Rand erworben wird, zu einer beträchtlichen Gesamtzahl summiert. Schon jetzt verfügt die selbsternannte „nationale Opposition“ über mehr als 600 Sitze in deutschen Kommunal- und Länderparlamenten.