Schlappe für Kiew vor dem Internationalen Gerichtshof

Verkündung der vorläufigen Entscheidung im Fall Ukraine v. Russian Federation, Blick in den Gerichtssaal am 19. April. Bild: UN Photo/ICJ-CIJ/Frank van Beek

Die Ukraine habe keine Beweise für die russische Unterstützung von Terrorgruppen geliefert, anerkannt wurde der Schutz der Krimtataren und der ukrainischen Sprache auf der Krim

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Die Ukraine hat zumindest vorläufig eine Schlappe vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) der Vereinten Nationen in Den Haag einstecken müssen. In einer vorläufigen Entscheidung hat der ICJ zwar die Klage der Ukraine angenommen, aber lediglich einen Punkt provisorisch bis zur endgültigen Entscheidung übernommen, nämlich dass Russland die Tartaren auf der Krim nicht diskriminieren darf und die Möglichkeit garantieren muss, dass es Unterricht in ukrainischer Sprache gibt.

Abgelehnt wurde jedoch, vorläufige Maßnahmen gegen Russland zu verhängen, wie dies von Kiew gefordert wurde. So sollte Russland aufgefordert werden, jede Handlung zu vermeiden, die den Streit verstärkt oder ausweitet, was auch die Lieferung von Waffen, Geld oder Personal einschließen sollte. Der Gerichtshof hätte auch keine Mittel, ein Urteil durchzusetzen.

Die Forderung, dass die Möglichkeit eines Unterrichts in ukrainischer Sprache bestehen muss, wurde einstimmig beschlossen, dagegen stimmten 13 von 15 Richtern dafür, dass die Institutionen der Tartaren wie der Medschlis des Krimtatarischen Volkes nicht eingeschränkt werden dürfen. Seit 2016 ist die Vertretung der Tartaren auf der Krim von Russland als extremistische Organisation verboten worden.

Für Kiew ist das Ergebnis enttäuschend, auch wenn Präsident Poroschenko knapp mitteilte, dass die Entscheidung "vielversprechend" sei, da den Anklagen stattgegeben wurden: "Wir sind zuversichtlich, auf dem richtigen Weg zu sein. Wir hoffen auf eine erfolgreiche Anhörung dieser Fälle."

Hauptvorwurf: Unterstützung "illegaler bewaffneter Gruppen"

Hauptpunkt der ukrainischen Klage ist auf der Grundlage des 2002 in Kraft getretenen Internationalen Abkommens zur Unterdrückung der Terrorismusfinanzierung (ICSFT) der Vorwurf an Russland, "illegale bewaffnete Gruppen" in der Ostukraine mit Waffen und Ausbildung zu unterstützen, deren Finanzquellen nicht zu stoppen und finanzielle Unterstützer nicht zu verfolgen. Damit unterstütze Russland in Verletzung des Abkommens Terrorismus. Russland wird so mitverantwortlich gemacht für den (weiter unaufgeklärten) Abschuss von MH-17, den Beschuss von Zivilisten in Volnovakha, Mariupol und Kramatorsk sowie Bombenanschläge auf Zivilisten wie 2015 in Charkiw, wo drei Menschen starben. Auch im Falle eines bewaffneten Konflikts seien Angriffe auf Zivilisten Terrorakte, weswegen hier der ICDFT gelte.

Die Ukraine verlangt, dass Russland sofort die Unterstützung der "illegalen bewaffneten Gruppen, die an Terrorismusakten in der Ukraine beteiligt sind", einstellen müsse. Alle Waffen müssten aus der Ukraine abgezogen, die Grenzen kontrolliert, der Fluss an Geld, Waffen und anderen Wertgegenständen aus Russland und der "besetzten Krim" unterbunden und Schadensersatz für die abgeschossene MH-17 sowie für den Beschuss von Zivilisten und für alle anderen Terrorakte geleistet werden.

Auf der Grundlage des Internationalen Abkommens gegen Rassismus wirft die Ukraine Russland vor, "systematisch die Krimtataren und die Ukrainer auf der Krim zu diskriminieren und zu misshandeln", ein "illegales Referendum in einer Atmosphäre der Gewalt und Einschüchterung nichtrussischer ethnischer Gruppen" abgehalten zu haben, die politische und kulturelle Äußerung der Identität der Krimtataren zu unterdrücken, diese daran zu hindern, sich zu kulturellen Ereignissen zu versammeln, eine Kampagne zum Verschwindenlassen und der Ermordung von Krimtataren durchzuführen und zu tolerieren" oder die Sprache und Medien der ethnischen Ukrainer zu unterdrücken.

Im vorläufigen Urteil werden nicht einmal die ethnischen Ukrainer erwähnt, auch wenn gefordert wird, dass die Sprache weiter gelehrt werden soll. Man wird sich erinnern, dass die Intention von Kiew, Russisch in der Ukraine zu verbieten, mit ein Grund war, dass es zu Protesten in der Ostukraine gekommen war.

Gericht fordert die Umsetzung des Minsker Abkommens von allen Seiten

Russland bestreitet die Geltung des ICSFT in diesem Fall und den Vorwurf, dass die feindlichen Handlungen in der Ostukraine als Terrorismus eingestuft werden. Abgesehen von der Ukraine habe dies keine internationale Organisation und auch kein anderer Staat gemacht. Es habe Vorfälle des ungerichteten Beschusses und andere Verletzungen des humanitären Rechts gegeben, aber diese fallen nicht unter die Definition des Terrorismus. Die meisten zivilen Opfer hätte es überdies auf den Gebieten der beiden "Volksrepubliken" DPR und LPR gegeben. Viele Quellen würden bestätigen, dass ukrainische Truppen ungerichtet auf Gebiete gefeuert hätten, beispielsweise im Mai 2014 in Slawjansk, wo viele Zivilisten getötet und Wohngebäude, Krankenhäuser und Infrastruktur zerstört worden seien. Was den Abschuss von MH-17 angeht, so habe die Ukraine keine Beweise geliefert, dass etwas zur Verfügung mit der Absicht oder im Wissen gestellt worden war, dass es für Terrorakte gegen Zivilisten verwendet wird.

Das Gericht kommt vorläufig zu dem Urteil, dass obwohl die Gründe der Ukraine für die geforderten Rechte gegenüber Russland plausibel seien, seien aber keine Beweise für die Existenz der Behauptungen vorgelegt worden, insbesondere dafür, ob Russland mit Absicht oder Wissen Unterstützung für terroristische Zwecke geleistet hat. Daher können die geforderten provisorischen Maßnahmen nicht verhängt werden. Die ukrainische Vize-Außenministerin Olena Zerkal sagte am Mittwoch nach dem Beschluss, dieser sei "sehr positiv", habe aber auch die "schwachen Punkte" der Ukraine offenbart. Man habe gewusst, dass es schwache Punkte gebe, jetzt müsse man Beweise sammeln.

Überdies erinnert der Gerichtshof an die Resolution des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2015 und an die Vereinbarungen, die zur Umsetzung des Minsker Abkommens getroffen wurden und von Vertretern der OSZE, der Ukraine, Russlands und "bestimmten Gebiete der Regionen Donezk und Lugansk" sowie von den Präsidenten Russlands, der Ukraine und Frankreich und der Bundeskanzlerin unterzeichnet wurden. Lapidar merkt der Gerichtshof ohne Schuldzuweisung an, er erwarte die vollständige Umsetzung der Maßnahmen, "um eine friedliche Beilegung des Konflikts in den östlichen Gebieten der Ukraine zu erreichen".