Schockierende Geschäftsideen

Rheinmetall W&M hat ein neues Elektroschockgerät vorgestellt und Experten diskutieren über notwendige Exportkontrollen dieser Waffen

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Rund zwanzig Staaten stehen ständig auf der Embargoliste des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. In Staaten wie Aserbaidschan, die Republik Kongo oder Sudan dürfen demnach keine Kriegswaffen geliefert werden. Doch es gibt Lücken in der Regelung. So beziehen sich die klassischen Waffenembargos nur auf ausgewiesenes Kriegsgerät. Zahlreiche Produkte der Rüstungsindustrie aber können weiter exportiert werden. Diese zweite Liste ist weitaus länger und umfasst Produkte wie Fesseln, Reizgas oder Elektroschockgeräte.

Vor rund drei Wochen hat der in Ratingen ansässige Rüstungskonzern Rheinmetall W&M auf einer Fachtagung über "nichttödliche Waffen" in Karlsruhe eine Neuentwicklung vorgestellt, die ein Schlaglicht auf diese nur spärlichen Kontrollen unterzogene Produktpalette wirft. Der neue Plasma-Taser funktioniert wie eine konventionelle Elektroschockwaffe. Mit einem Unterschied: Handelsübliche Taserpistolen verschießen zwei Kontakte, die über feine Kabel den Stromimpuls aussenden. Der von Rheinmetall zunächst nur mit einem Präsentationsvideo vorgestellte Prototyp des Plasma-Taser versprüht hingegen ein schwarzes Gas, über das der Strom geleitet wird. Auf diese Art kann die Waffe nicht nur mehrfach eingesetzt werden, der neue Plasma-Taser könnte zudem gegen ganze Menschengruppen Einsatz finden.

Die Idee ist so neu nicht. Bereits vor einem Jahr stellte der in Kalifornien ansässige US-Rüstungskonzern Taser Technologies Inc. auf einer Waffenshow in Tampa, Florida, eine Antipersonenmine vor, die bei Aktivierung eine Reihe von Kontakten verschießt und die im Umkreis befindlichen Lebewesen "unschädlich" macht. Elektrowaffen geben bei niedriger Amperezahl einen Elektroschock von 50.000 Volt aus, der auf das Nervensystem wirkt. Die Zielperson verliert für einige Sekunden die motorische Kontrolle, erleidet Muskelkrämpfe und verspürt starke Schmerzen. Die Entwickler solcher Waffen verweisen dessen ungeachtet auf deren "nichttödlichen" Charakter. Ein Urteil, das von Medizinern und Wissenschaftlern anderer Sparten immer stärker hinterfragt wird. Richard Lloyd, ein britischer Abrüstungsexperte der Organisation "Landmine Action", weist auf den ausstehenden Beweis hin, "dass diese Waffen nicht töten". Ist beispielsweise eine schwangere Frau betroffen, würden Mutter wie Kind einer tödlichen Gefahr ausgesetzt. Erschwerend komme hinzu, dass die Antipersonenminen - sei es mit Spreng- oder Elektroladung - nicht zwischen Zivilisten und Militärs unterscheiden.

Experten fordern in Anbetracht ständig neuer Entwicklungen der Rüstungsindustrie auch eine verbesserte gesetzliche Kontrolle der Branche. Ende September 2002 konnte ein Teilerfolg erzielt werden. Mit der EG-Dual-use-Güter-Verordnung Nr 1334/2000 wurde die Industrie von Brüssel aus verpflichtet, auch beim Export von Gütern, die "im militärischen wie zivilen Bereich" eingesetzt werden können, eine Genehmigung zu beantragen. Die Liste genehmigungspflichtiger Exportstaaten ist fast deckungsgleich mit derjenigen über Staaten, die mit einem klassischen Waffenembargo belegt sind.

Der Schritt war dringend nötig, denn, so schreibt amnesty international, "seit Anfang der neunziger Jahre haben die Berichte über die Verwendung von "high-tech"-Elektroschockwaffen zur Folter weltweit zugenommen". Die Menschenrechtsorganisation spricht von 76 Staaten weltweit, in denen mit vermeintlich harmlosen und nichttödlichen Waffen gefoltert wird. Allein die öffentlich zugänglichen Quellen ließen befürchten, dass Deutschland dabei im internationalen Handel eine wichtige Rolle spielt. In dem entsprechenden ai-Bericht heißt es dazu:

Die Bundesregierung (genehmigte) im Jahr 1999 nach Angaben in ihrem Rüstungsexportbericht 156 Anträge im Gesamtwert von damals rund 92 Millionen DM in der Position A 0007 der Ausfuhrliste, die neben ABC-Schutzausrüstung u.a. auch Tränengas und Reizstoffe umfasst. Leider werden diese globale Zahlen nicht detailliert erläutert(...).

Im Gespräch mit Telepolis wies auch der Leiter der Forschungsabteilung beim Internatinalen Konversionszentrum in Bonn, Dr. Michael Brzoska, auf die Mängel in der Rüstungskontrolle hin. Trotz der noch relativ jungen Dual-use-Verordnung der Europäischen Union, so Brzoska, liefe die Diskussion auch weiter, welche Länder in die Liste aufgenommen werden sollten. Amnesty hatte in dem entsprechenden Bericht darauf verwiesen, dass der einzige ausgewiesene Posten ("Teile für Reizstoffpatronen") im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung mit Chile ein Land betrifft, das im Jahresbericht 2000 der Organisation durch "unverhältnismäßige und übermäßige durch die Polizei gegen Demonstranten und Misshandlungen in Polizeigewahrsam" aufgefallen sei.

Brzoska sieht weitere Probleme. Dem Wesen einer solchen Liste sei zueigen, dass sie "nicht immer auf dem neuesten Stand" sei. Technische Neuentwicklungen fielen nicht zwangsweise unter die Güter auf der gegebenenfalls im Vorjahr entwickelten Liste der EU. Zwar sei die Brüssler Verordnung durch eine Catch-All-Klausel ergänzt worden, die auch technisch ähnliches Gerät kontrollpflichtig macht, doch eine Grauzone bleibt bestehen.

"Ein rechtschaffender Händler wird sich beim BAFA immer einen Negativbescheid holen", sagt der Abrüstungsexperte. Damit könne sich ein Konzern für den Streitfall absichern. Das Problem aber sei der gesamte administrative Vorgang. Jede Kontrolle ist sinnlos, wenn die Transparenz in den zuständigen Institutionen fehlt", sagt der BICC-Forschungsleiter. Hier sei viel nachzubessern. Nicht nur bei den Konzernen, auch in den Bundesinstitutionen.