Schöne Frauen, böse Männer und Dr. Faust in der Twilight Zone

Trash, klassischer Horror, neumodisches Mystery und philosophischer Essay: "Jugend ohne Jugend" vom großen Coppola

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Blutrote Rosen tauchen die Leinwand in ein Zwielicht. Ein wenig denkt man an ein riesengroßes Kaleidoskop. Die Bilder zeigen Krieg und ferne Vergangenheit, schöne Frauen, böse Männer und göttliche Stimmen - der Albtraum eines fast 70-jährigen. Dann setzt die Geschichte ein, eine Traumnovelle, die sich um Wiedergeburt und die Ursprache der Menschheit dreht - kleiner geht‘s nicht bei Francis Ford Coppola. Coppolas neuer Film ist zwar eine intellektuelle Zumutung - was aber vor allem der Vorlage geschuldet ist. Ästhetisch ist er aber der Beachtung wert.

Alle Bilder: Sony Pictures

Francis Ford Coppola - wenn dieser Name fällt, horchen die Filmliebhaber aller Länder noch immer auf. Coppola ist einer der allergrößten lebenden Regisseure, einer der sich seit Ende der 60er Jahre vielfach für alle Zeiten in die Filmgeschichte eingeschrieben hat, mit epochalen Werken wie dem dreiteiligen Epos der Italoamericans, „Der Pate“, mit „Apocalypse Now“, mit „Bram Stokers Dracula“. Auch Weiteres ist unvergessen: „Conversation“, „One from the Heart“, „Rumble Fish“.

Immer wieder, über alle Zeiten, Stile und Interessen hinweg handeln Coppolas Filme sehr geschichtsbewußt und klug von Geld, Macht und Gewalt, von Vätern und Söhnen, von archaischen Schicksalen und der Realität inmitten des American Dream; seltener handeln sie von Liebe und Jugend, seltener von Unschuld als von ihrem Verlust.

Weinhandel statt infantiler Vergnügungspark

Zuletzt hatte sich Coppola vom Regiehandwerk zurückgezogen. Das lag kaum an den zeitweise massiven finanziellen Problemen mit seiner Produktionsfirma, vielleicht schon mehr an dem Zeitaufwand, den ihn der - weitaus lukrativere - Weinhandel kostete, aber auch nicht wirklich daran, dass sich das Kino seit Coppolas Anfängen mehr als einmal selbst neu erfunden hat und aus Sicht des Regisseurs zumindest in den USA längst zu einem infantilen Vergnügungspark retardiert ist - immerhin hat Coppola weiterhin als Produzent an ziemlich vielen Filmen mitgewirkt.

Vielleicht hat Coppola mit fast 70 Jahren einfach schon alles Wesentliche erzählt. Vielleicht darf man nach knapp 30 Regiearbeiten, darunter megalomanische Projekte wie „Apokalypse Now“, die manch anderen ins Irrenhaus befördert hätten, auch einfach sagen: Es ist genug.

Mythoschwurbelballast: Wiedergeburt, Verjüngung, Suche nach der Ursprache

Nach zehn Jahren kommt Coppola nun aber doch zurück, und da er das nicht muss, und sein neuer Film „Jugend ohne Jugend“ auch - soviel kann man sagen, ohne Prophet zu sein -, zumindest kein Blockbusterhit werden wird, muss es sich wohl um eine Herzensangelegenheit handeln.

Erzählt wird die Geschichte eines faustischen Pakts. Im Zentrum steht der alte Traum von ewiger Jugend, Wiedergeburt, Verjüngung und Neuanfang. Das ist schon eine ganze Menge Gewicht, eigentlich genug für einen einzigen Film. Es gibt aber noch ein zweites Zentralthema. Das ist die Suche nach jener Ursprache, von denen in den heiligen Schriften diverser Kulturen die Rede ist. Coppola hat sich und seinem ersten Film nach zehn Jahren Regie-Absenz eine schwere Last aufgebürdet.

Lebensphilosophie, Sanskrit, Seherpose: ein alteuropäischer Universalgelehrter

Aber der Reihe nach: Die Vorlage zu dem von Coppola selbst geschrieben Drehbuch stammt von dem rumänischen Religionsphilosophen Mircea Eliade (1907–1986). Eliade studierte zunächst Philosophie in Bukarest, vor allem bei dem charismatischen Nae Ionescu, Anhänger von Nietzsche und deutscher Lebensphilosophie, Professor für Logik und Metaphysik und Mystiker, dessen Assistent Eliade später war.

Dann studierte er in Kalkutta Sanskrit und indische Philosophie, kehrte 1932 zurück und wirkte 1939 bis 1945 formal als Assistenzprofessor für Religionsgeschichte und indische Philosophie an der Universität Bukarest, arbeitete tatsächlich aber 1940 als rumänischer Kulturattaché in London. 1941/42 war in gleicher Position in Lissabon und danach in Madrid tätig, dann bis 1956 an der Pariser Sorbonne und dann lehrte er als Professor für vergleichende Religionswissenschaften in Chicago. Eliade war ein Universalgelehrter alteuropäischen Zuschnitts.

Das heißt, dass der ganze Gestus seines Werks wie seiner Persönlichkeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurzelte, und hier wieder in einer spezifisch mittelosteuropäischen Ausprägung des Intellektuellen, für die das Abendland noch lange nicht untergegangen ist. Das ist mit einer seherischer Pose verbunden - nach außen, gegenüber der Masse abweisend, insbesondere gegenüber der als „Massenkultur“ verachteten pluralen Kultur der Moderne. Die eigene Rolle wird als die eines geistigen Führers von Volk, Vaterland und Menschheit in der Nachfolge der platonischen Idee des Philosophenkönigtums interpretiert.

Weltanschauliche Fiction und „Eiserne Garde“

Das weltanschauliche - man scheut sich von Theorie, Philosophie oder gar „Nonfiction“ zu sprechen - Werk Eliades atmet den Gestus des direkten Zwiegespräch mit dem Weltgeist und stellt den Anspruch, die in ihm behandelten Phänomene „von innen heraus“, durch tiefere Einsicht und emotionale Durchdringung, zu behandeln und nicht etwa durch schnöde, kaltherzig-moderne Beweisstrukturen zu besudeln. Viel ist vom „Seelenraum“, von „ewigen Sinnbildern“, vom „Unvergänglichen“ und von Mysterien die Rede. Eliade betreibt also keineswegs Wissenschaft im neuzeitlichen Sinn, eher ist er ein Mythomane.

Aber auch seine Romane und phantastischen Geschichten sind zugleich anspruchsreiche Essays, die die großen monotheistischen Weltreligionen, orientalische Sprachen, indischen Schamanismus, mythische Archetypen miteinander vermengen.

Auch einige totalitäre Gedanken lassen sich in ihnen leicht entdecken, was auf den dunkelsten Fleck in Eliades Biografie führt, die von ihm lange verschwiegene, erst nach seinem Tod in ihrem Umfang aufgedeckte Mitgliedschaft in der brutalen christlich-faschistischen „Eisernen Garde“ des Corneliu Codreanu. In seinem 1935 veröffentlichten Roman „Die Hooligans“ verklärt Eliade das von d‘Annunzio und anderen Fin-de-Siecle Autoren angelesene neue Lebensgefühl des grausamen amoralischen Lebens.

Nur ein Beispiel unter vielen überlieferten: Nachdem der Rektor der Universität von Iasi von rechtsradikale Studenten regelrecht zerstückelt worden ist, meinte Eliade im Gespräch mit Freunden, „er, Mircea Eliade, hätte sich nicht damit begnügt“, sondern dem Mann „auch noch die Augen ausgestochen. Alle, die eine andere Politik als die Gardisten vertreten, sind Volksverräter und haben das gleiche Schicksal verdient.“ 1980 beschrieb Eliade dann diese „bis zur Grausamkeit gehende Rücksichtslosigkeit“ und „krasse Amoralität“ jener Mord- und Schlägerbanden, denen er selbst angehörte, und die „jederzeit bereit waren, Fenster und Köpfe einzuschlagen, Synagogen auszurauben oder Bücher zu verbrennen.“

Selbstopfer, Neomystizismus, Hitler und die Umkehrung der Weltgeschichte

Kaum analysiert wird von Eliade dabei allerdings, was das eine mit dem anderen zu tun haben könnte. Dabei gingen im rumänischen Faschismus die Idee eines klerikal-autoritären Obrigkeitsstaats, der christlich verbrämte Kult des Selbstopfers im Kampf des Leidens und des Todes mit dem Neomystizismus mancher faschistischen Flügel, mit Ultranationalismus, Antisemitismus und gewalttätiger Schreckensherrschaft, gut zusammen.

Und Eliade war einer derjenigen, die dafür die geistige Unterfütterung bereitstellten1. In den 30er und 40er Jahren offentlicher Bewunderer von Hitler, Mussolini, Franco und Salazar veröffentlichte er diverse Zeitungsartikel völkisch-rassistischen Inhalts, Loblieder auf das Portugal Salazars und seinen „auf Liebe gegründeten“ klerikalfaschistischen Staat. Das geschichtsphilosophische Fundament solcher Positionen bildet die Grundidee von Eliades Denken: Die Rückkehr zu einem Europa vor der Renaissance, der Abschied von der Moderne durch die Umkehrung des Verlaufs der Weltgeschichte.

Sklave der Geschichte im Eso-Trip

In der erst 1988 postum veröffentlichten phantastischen Novelle „Jugend ohne Jugend“ ist unter anderem von der „Auflehnung gegen die konkrete historische Zeit“ die Rede, der Frage, wie der Mensch, als ein „Sklave der Geschichte“ „aus der historischen Zeit heraustreten, eine andere Zeit wiederfinden“, könne.

Die Story ist ein esoterischer Trip und handelt von einem 70 alten Wissenschaftler, dem berühmten Linguisten Dominic Matei. Ihn darf man sich sehr wohl als Alter Ego Mircea Eliades vorstellen, bis auf dessen politische Überzeugungen jedenfalls, denn mit dem Nationalsozialismus hat Matei nichts am Hut. Das ist wichtig, denn der Film setzt genau im Jahr 1938 ein, exakt zu dem Zeitpunkt also, an dem Hitler sich anschickte, seine Welteroberungspläne in die Tat umzusetzen, und Eliade sich auf dem Höhepunkt seiner faschistischen Initiation befand.

Matei ist von der Idee besessen, die älteste Sprache der Menschheit zu finden, jene Sprache, die vor dem Zusammenbruch des babylonischen Turmes gesprochen wurde. Am Ende seines Lebens fürchtet er, sein Lebenswerk nicht vollenden zu können. Da trifft ihn - ausgerechnet am Ostertag! - ein Blitz. Statt zu sterben, überlebt er, und begreift, dass er überdies wunderbar verjüngt wurde und über übermenschliche Fähigkeiten verfügt: Für ein dickes kompliziertes Buch braucht er nur ein paar Sekunden, eine neue Sprache lernt er in wenigen Stunden - ein intellektueller Superheld. Und der feuchte Traum eines Geisteswissenschaftlers.

Verdrehte Augen, ekstatisch-visionäre Schübe, babylonisches Gerede - ein Spielball männlicher Phantasien

Matei erlebt in den folgenden Jahrzehnten Krieg und Faschismus, muss sich gegen die Vereinnahmungsversuche durch deutsche Nationalsozialisten und deren Phantasien vom neuen Menschen wehren, wird Zeuge von Spaltung Europas und Mondlandung, er trifft eine Liebe wieder, die dann schon 60 Jahre her ist, und nähert sich seinem Lebensziel, den Anfang der Sprache zu finden.

Kurzer Auftritt in der Twilight Zone: Matt Damon

Der Preis des Ganzen ist hoch: ein teuflisches Alter Ego verfolgt Matei und macht ihm sein verlängertes Leben zur Hölle - eine Doppelrolle für Tim Roth. Neben ihm spielen Bruno Ganz und vor allem Alexandra Maria Lara, die die zahlreichen Facetten und das Chaotische ihrer Figur ausgezeichnet zusammenhält: Eine junge Frau namens Veronica, die zugleich eine andere namens Laura (! Preminger läßt grüßen) ist, die auf rätselhafte Weise zu altern anfängt, dabei wie eine mittelalterliche Heilige in ekstatisch-visionären Schüben die Augen verdreht und in immer älteren Sprachen, unter anderem Sanskrit und babylonisch redet - auch an „The Exorcist“ darf man hier stilistisch denken. Diese Laura/Veronica, die auch noch zur Inderin mutiert, ist reiner Spielball männlicher Phantasien.

Im halluzinatorischen Sog

„Jugend ohne Jugend“ mischt stilistisch Elemente klassischen Horrorkinos wie „Der Exorcist“ mit neumodischem Mystery, wie man es aus „Akte X“ oder „Twilight Zone“ eher im Fernsehen kennt, und philosophischem Essay, Wiedergeburtsglauben und Schamanismus-Geschwurbel.

Es ist erstaunlich, was Coppola den intellektuellen Zumutungen Eliades ästhetisch alles abgewinnt, wie auch dieser Film jenen für Coppola typischen halluzinatorischen Sog atmet. Das prächtige Sepia, in das manche Passagen getaucht sind, das tiefe Blau, das hier für Nacht steht, signalisieren nicht historische Beflissenheit, sondern die Künstlichkeit des Ganzen. Die Bilder sind makellos und wunderbar, das Schwarzweiß herrlich. Wenn hier manche deutschen Kritiker von „krudem Nichts“ reden, vom „erbärmlichsten Film des Jahres“ schwafeln, machen sie es sich viel zu einfach, wenn sie die „verquaste intellektuelle Sinnsuche“ bemängeln und vom „überambitionierten europäischen Intellektuellen-Kino“ schwafeln, verraten sie nur ihr eigenes Niveau.

Großartiger Trash: Nazis, esoterische Experimente, Frankenstein-artige Stromstöße

Natürlich stimmt es, dass Coppola Bildklischees benutzt. Aber glaubt man wirklich, er wüsste das nicht? Hält man Coppola ernsthaft für naiv und unironisch? Wer ist da wirklich naiv? Man darf Coppolas Anfänge bei Roger Corman nie vergessen, sollte nicht übersehen, dass er immer schon für eine produktive Verwendung von Trash-Elementen zu haben war. Es gibt großartige Trash-Passagen in diesem Film, etwa jene, in der Coppola die Nazis, die ultimative Verkörperung des Bösen im Kino bei wahnsinnigen ebenso wissenschaftlichen wie esoterischen Experimenten zeigt: Sie hängen Pferde an Seilvorrichtungen auf und bearbeiten sie Frankenstein-artig mit Stromstößen.

Oder die Darstellung von Wahn und Besessenheit: Da zerbrechen die Spiegel wie in guten Horror-B-Movies, da werden die Bildachsen gekippt, als befände man sich in „Das Omen“ - so stößt Coppola alle biederen Arthouse-Fans vor den Kopf und signalisiert, dass er bestimmt keinen Film macht, der auch von Almodovar, Jarmusch, Kaurismäki oder Mike Leigh stammen könnte. Allenfalls noch von Lars von Trier. Kino als Paralleluniversum. Eine Traumnovelle.

Auf der Suche nach der verlorenen Sprache

So mischen sich Klugheit und esoterische Spinnerei bis zur Ununterscheidbarkeit wie in einem Traum, und was Coppola möglicherweise Subtantielles zu sagen hat, verdeckt der bis zur Lächerlichkeit naive Symbolismus, der hier komplizierte Ideen simplifiziert. Gute Bildeinfälle und excellente Schauspielleistungen können diese Defizite nicht rundum wettmachen. Jetzt dreht Coppola „Tetro“ und hier wird sich zeigen, inwiefern „Youth without Youth“ nur Vorübung war. Man hat den Eindruck, auf der Suche nach der verlorenen Sprache befände sich womöglich auch Coppola und wüsste schon wahnsinnig gern, was er wohl tief in seinem Herzen wirklich über diesen Film denkt.

Literaturhinweise
: Mircea Eliade: „Die Hooligans“, (zuerst 1935) Freiburg 1993
Mircea Eliade: „Erinnerungen 1907–1937“, 1980
Norman Manea: „Felix culpa – Erinnerung und Schweigen bei Mircea Eliade“; in: ders.: „Über Clowns“ Hanser Verlag, München 1992
Hannelore Müller: „Der frühe Mircea Eliade. Sein rumänischer Hintergrund und die Anfänge seiner universalistischen Religionsphilosophie“; Hamburg 2004