Scholz unter Druck: Bleibt er beim Nein zur Taurus-Lieferung?

Olaf Scholz werden seine Vorbehalte übel genommen. Dabei waren auch die Leopard-Panzer nicht der erhoffte "Gamechanger". Foto: European Commission (Christophe Licoppe) / CC0 1.0

Rollenverteilung ähnlich wie bei Panzer-Debatte. Mediale Schützenhilfe für Befürworter. Der zögernde Bundeskanzler wird erneut als Feigling gelabelt.

Wieder einmal steht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unter Rechtfertigungsdruck, weil er der Lieferung eines bestimmten Waffensystems an die Ukraine nicht zustimmen will. Anfang des Jahres waren es die Leopard-2-Panzer, für deren Lieferung er schließlich grünes Licht gab, nachdem er aus den Reihen der Ampel-Koalition scharfe Kritik geerntet hatte und von mehreren Medien des Zauderns gescholten worden war. "Das ist feige, Kanzler!" hatte damals die Bild geurteilt.

Die Boulevardzeitung steht auch jetzt – neben der FDP-Wehrpolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und dem CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen – ganz vorn in der Reihe der Akteure, die Scholz dazu bewegen wollen, endlich den Weg für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine frei zu machen:

Dieser BILD-Bericht sorgt für Riesen-Aufregung in Kiew, Washington und auch Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (65) will der Ukraine derzeit KEINE deutschen Taurus-Marschflugkörper liefern, die von der ukrainischen Armee so dringend benötigt werden.


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Skandalisierung in Großbuchstaben

Nicht nur das Wort "keine" wird skandalisierend in Großbuchstaben hervorgehoben, sondern auch, dass sich seine Minister in dieser Frage "NICHT" gegen Scholz durchsetzen könnten. Zudem gibt das Blatt an, "die Wahrheit über Scholz’ Ukraine-NEIN" zu kennen und zerpflückt mutmaßlich vorgeschobene Gründe. Darunter auch die Sorge, für den Einsatz der Marschflugkörper würden neue, sensible Geodaten benötigt.

"Nicht unbedingt", schreibt Bild-Redakteur Julian Röpcke. Für den Einsatz des integrierten TERCOM-Navigationssystems, das während des Fluges Gelände-Kontur-Abgleiche durchführt, müsste die Bundeswehr der ukrainischen Armee in der Tat sensible Daten zugänglich machen, räumt er ein.

Allerdings verfüge Taurus auch über ein GPS-unterstütztes Trägheitsnavigationssystem, "ähnlich wie Hunderte M31-Raketen, die Deutschland zusammen mit den fünf M270 Mehrfachraketenwerfern in die Ukraine geliefert hat". Diese Steuerungssysteme könnten auch allein genutzt werden – allerdings auf Kosten der Präzision, die "von einem auf etwa fünf Meter Zielgenauigkeit" reduziert würde.

Auch hält Röpcke die Befürchtung für vorgeschoben, die Ukraine könne mit den Marschflugkörpern russisches Territorium angreifen, da die ukrainische Armee schon jetzt über "nahezu 20 deutsche hochmoderne Distanzwaffen-Systeme mit 40 bis 85 Kilometer Reichweite" verfüge. Bisher halte sich Kiew aber an die Vereinbarung mit Deutschland, diese nur gegen russische Invasionstruppen auf ukrainischem Territorium einzusetzen.

Tatsächlich hätten "mehrere Quellen" als Grund für Scholz’ Vorbehalte genannt, dass die Ukraine mit dem Taurus-Marschflugkörper die 2018 errichtete Krim-Brücke zerstören "und so die Oberhand im Krieg gegen Russland erlangen könnte". Scholz befürchte, dass der Kreml dies als Eskalation von Seiten Deutschlands wahrnehmen könne.

Ist Putin zu ängstlich für die Atombombe?

Strack-Zimmermann dagegen hält den russischen Präsidenten Putin für "zu ängstlich", um Atomwaffen einzusetzen. Sie hat daher keinerlei Vorbehalte gegen die Lieferung, selbst wenn der Kreml Deutschland und die Nato dadurch als Kriegspartei wahrnehmen könnte.

Abgesehen davon, ob Strack-Zimmermann Putins Psyche richtig einschätzt, stellt sich die Frage, warum gerade die Taurus-Marschflugkörper der "Gamechanger" ein sollen, der den Krieg zugunsten der Ukraine verkürzt und das Blutvergießen beendet, wenn die ukrainische Armee doch schon über mehrere hochmoderne Distanzwaffensysteme verfügt und im Fall des Taurus-Systems auf Präzision verzichten muss.

Hinzu kommt die Frage, wie die russische Seite im Rahmen des konventionellen Krieges reagieren wird, wenn die Krim-Brücke wieder einmal attackiert, aber nicht irreparabel zerstört wird. Im Juli hatten die russischen Streitkräfte mit Angriffen auf die ukrainischen Hafenstädte Odessa und Mykolajiw reagiert, als die strategisch wichtige Brücke angegriffen worden war. Zuvor waren schon die Leopard-Panzer von Befürwortern der Lieferung als "Gamechanger" beworben worden.

"Mitverantwortung für den weiteren Verlauf des Krieges"

Allein die Tatsache, dass Scholz so massiv unter Rechtfertigungsdruck steht, weil er zögert, bestimmte Waffensysteme zu liefern, zeigt ein Selbstverständnis von großen Teilen der politisch-medialen Elite als Kriegspartei.

"Aus unseren Waffenlieferungen für die Ukraine erwächst eine Mitverantwortung für den weiteren Verlauf des Krieges", schrieb der Philosoph Jürgen Habermas im Februar in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung mit der Überschrift "Plädoyer für Verhandlungen". Da hatte Scholz sein "Nein" zur Panzerlieferung gerade erst aufgegeben, schon wurde über Kampfjets diskutiert.

Dass sich Habermas gar nicht kategorisch gegen jede Waffenlieferung ausgesprochen hatte, sondern nur für "rechtzeitige Verhandlungen" – wobei er gar nicht vorgab, den richtigen Zeitpunkt zu kennen, sondern sich nur Sorgen machte, dass er vor lauter Kriegsgeschrei verpasst werden könnte – entging damals vielen, die sich schon über das Wort "Verhandlungen" an sich empörten.

Auch im viel gescholtenen "Manifest für Frieden" wurde nicht gefordert, der Ukraine keinen einzigen Schuss Munition zur Selbstverteidigung mehr zu liefern. Nur eine "Eskalation der Waffenlieferungen" wurde dort abgelehnt:

"Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen."

Solche Feinheiten wollte das bellizistische Lager aber im Frühjahr nicht zur Kenntnis nehmen. Der Ton war unter anderem durch den Publizisten Sascha Lobo gesetzt, der in seiner Spiegel-Kolumne von "Lumpenpazifismus" gesprochen hatte.