Schulden zur Eindämmung des Neoliberalismus
Seite 5: Nicht zu unterschätzende Gefahrenmomente
- Schulden zur Eindämmung des Neoliberalismus
- Ruinöser Wettbewerb
- Verschuldung bei der Zentralbank
- Geldanhäufung im Anlagesektor
- Nicht zu unterschätzende Gefahrenmomente
- Auf einer Seite lesen
Angebotsengpässe wie auch Marktüberschwemmungen werden häufig gezielt herbeigeführt, um spekulative Gewinne zu erzielen. Erinnert sei an die maßgebliche Rolle, die George Soros während der Asien-Krise 1997 spielte. Bereits mit dem aktuell von Anlegern gehaltenen Betrag von mehr als zehn Billionen US-Dollar kann viel Schaden angerichtet werden, der sich nicht auf Spekulationstätigkeiten beschränkt. Geldmittel können für den Ausbau und die Absicherung von Monopolstellungen verwendet werden. Es ließen sich Privatarmeen nach dem Vorbild ukrainischer Oligarchen finanzieren. Sogar ein "Kauf" ganzer Länder wie im Fall traditionsreicher Fußballklubs wäre nicht auszuschließen. Hier obliegt es Regierungen und internationalen Organisationen, mit rechtlichen Bestimmungen und wirksamen Instrumenten Schranken zu setzen.
Die Verschuldung der Staaten dürfte sich auf jeden Fall fortsetzen. Der Umfang der von den Zentralbanken jährlich erworbenen Staatsanleihen, der während des letzten Jahrzehnts bei durchschnittlich einer Billion US-Dollar lag, wird eher wachsen. Die tatsächlich benötigte Kreditsumme ist jedoch um einiges höher. Sie müsste mindestens dem Betrag entsprechen, der der Realwirtschaft im Zuge der Umverteilung von Arm zu Reich während des jeweils vergangenen Jahres entzogen wurde.
Dieser lässt sich wie folgt grob abschätzen. Das verfügbare Einkommen der Privathaushalte beläuft sich in Deutschland auf 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auf globaler Ebene würde dies einem Betrag von jährlich 48 Billionen $ entsprechen. Der Anteil der obersten zehn Prozent am weltweiten Gesamteinkommen liegt bei leicht über 40 Prozent. Unter der Annahme, dass ein Zehntel ihrer Geldeinkünfte weder konsumiert noch für Hilfsleistungen oder Realinvestitionen verwendet wird, gelangen etwa zwei Billionen $ nicht zurück in den Wirtschaftskreislauf. Wird berücksichtigt, dass fast die Hälfte der betrachteten Einkommen auf das reichste Prozent entfällt, dürfte der Anteil noch größer sein.
Um einen inflationären Schub zu vermeiden, sollten die Zentralbankkredite nicht ein Niveau überschreiten, bei dem die entstehende Nachfrage nicht mehr durch rasch aktivierbare Produktionspotentiale zu befriedigen wäre. Eine vergleichbare Grenzmarke wird ebenfalls von Vertretern der "Modern Money Theory" gesetzt. Sie kontern damit den Vorwurf, eine zu lasche Geldpolitik zu befürworten. Bei der Erklärung des empirischen Befunds riesiger und permanent wachsender privater Geldvermögen tun sie sich indes schwer, da es nach ihrer Theorie keine überschüssige Liquidität geben dürfte. Ignoriert wird die Existenz externer Zwänge, die politische Entscheidungsträger an einer Abschöpfung jener Finanzmittel bzw. an deren Umverteilung hindern.
Könnten Regierungen ihren finanziellen Spielraum mithilfe von Notenbankkrediten im benötigten Umfang vergrößern, würde das im Anlagesektor befindliche Geldvermögen noch schneller zunehmen. Im Rahmen einer Risikoanalyse bezüglich eines möglichen Einsatzes privater Finanzmacht wäre dennoch der Unterschied zur aktuellen Verschuldungspraxis rein gradueller Art. Es ginge letztlich nicht darum, ob, sondern wann ein als kritisch betrachtetes Geldvermögen in private Hände gelangt sein würde.
Die Gefahren von Spekulationsattacken wie auch von Bestrebungen der Wirtschaftsmächtigen zu Ausbau und Konsolidierung ihrer Macht sollen nicht unterschätzt werden. Sie wachsen naturgemäß mit steigender Finanzkraft. Auf der anderen Seite können Regierungen ihren Handlungsspielraum beträchtlich erweitern, wenn sie über einen unbeschränkten Kreditrahmen bei ihrer Zentralbank verfügen. Bedrohungen aus Kapitalkreisen ließen sich entschieden besser abwehren. Für den Ernstfall besitzt die Politik eine unschlagbare Waffe: eine Währungsreform, die den Umtausch privater Geldvermögen oberhalb einer festgelegten Grenze beschränkt.
Konsequenzen unbegrenzt verfügbaren Geldes
Wenn sich Staaten unbegrenzt durch Schulden finanzieren können, wird nichts über die Verwendung der Mittel ausgesagt. Wie es in den aufstrebenden Ökonomien Asiens gegenwärtig geschieht, könnten vermehrte Einnahmen öffentlicher und privater Haushalte zu extremen Umweltbelastungen führen. Andererseits ist ein nachhaltiges Wachstum, das lokale Bedingungen berücksichtigt, kostspieliger als der Einsatz veralteter Technologien. Über Kredite der Zentralbank ließe sich die nötige Finanzierung bewerkstelligen.
Tatsächlich impliziert Wachstum nicht automatisch mehr Ressourceneinsatz und ökologische Schäden. Bei entsprechender Prioritätensetzung lassen sich Umwelt- und Klimabelastungen trotz Produktionssteigerung bedeutend reduzieren. Neben politischer Handlungsfähigkeit der nationalen Regierungen bedarf es hierzu globaler Übereinkünfte, um Ökodumping zu verhindern. Die Chancen für die Erhaltung unseres Planeten würden sich grundlegend verbessern, wenn Staaten nicht mehr durch private Finanzmacht gegeneinander ausgespielt werden können.
Von einer Verschuldung bei ihrer Zentralbank profitieren vor allem jene Nationen und Staatengemeinschaften, die über einen großen Binnenmarkt, Exportüberschüsse oder eine allgemein akzeptierte Währung verfügen. Regierungen kleinerer, unterentwickelter und stark abhängiger Volkswirtschaften müssen dagegen vorsichtig agieren, um inflationäre Tendenzen und massive Devisenabflüsse zu vermeiden. Durch Integration in einen größeren Wirtschaftsraum ließen sich jene Gefahren vermindern, ebenso durch gemeinsame Währungen nach dem Vorbild des Euro, wie sie mancherorts angestrebt werden.
Erhöht sich die Liquiditätszufuhr, dann wächst das Geldvermögen der globalen Elite noch rasanter. Zugleich steigt der Wert des in ihrem Besitz befindlichen Anlagekapitals, allerdings größtenteils aufgrund der höheren Bepreisung. Die Vermögensschere zwischen Arm und Reich würde unweigerlich weiter auseinanderklaffen. Dagegen dürften sich die relativen Einkommensunterschiede vermindern, falls nur der Ertrag und nicht die Preisentwicklung der Assets berücksichtigt wird. Für den Normalbürger wäre letztlich entscheidend, dass seine Lebensqualität nicht mehr durch die Bereicherung der Oberschicht beeinträchtigt wird. Zudem könnten Regierungen sukzessive ihre gestärkte Position nutzen, um Kapitaleigner härter zu besteuern.
Die Vermögenden würden sich in der grotesken Lage eines Dagobert Duck befinden, dem als einzige Freude ein regelmäßiges Bad in seinem Geldpool verbleibt. Einerseits wären sie besorgt, Geld verlieren zu können, andererseits könnten sie es kaum nutzbringend einsetzen. Ihre Macht erklärt sich nicht allein aus ihrem Reichtum, sondern sie bedarf zwingend der Armut der Massen, die auf ihr Geld angewiesen sind. Durch die Möglichkeit einer unbegrenzten Geldschöpfung, die sich am realen Bedarf orientiert und die wirtschaftlichen Potentiale berücksichtigt, ließe sich die Abhängigkeit von der globalen Elite dauerhaft abstreifen.
Das hier vorgestellte Konzept ist ein gewaltiger Tabubruch. Es wäre hinfällig, wenn sich Einkommen derart umverteilen ließen, dass sie vollständig für Konsum- und Investitionszwecke absorbiert würden. Indes werden im Zuge zunehmender Ungleichheit wachsende Geldbeträge in den Anlagesektor gespült, die nicht zurück in die Realwirtschaft gelangen. Da das entstehende Defizit nicht durch eine Zunahme der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes kompensiert werden kann, folgt ein Rückgang wirtschaftlicher Aktivitäten. Lässt sich dieser nicht durch eine Steigerung der Produktivität wettmachen, sinkt die Wirtschaftsleistung. Die Hauptleidtragenden sind unter den aktuellen Machtverhältnissen die unteren Gesellschaftsschichten und die globale Peripherie.
Eine nachhaltige Umverteilung, wie sie noch bis in die 1980er Jahre durch Besteuerung der Reichen und durch produktivitätsorientierte Lohnpolitik gelang, scheitert in der Gegenwart an den neoliberalen Strukturen. Die Schaffung zusätzlicher Liquidität wird daher zu einer Daueraufgabe der Notenbanken, soll ein wirtschaftlicher Einbruch verhindert werden. Nun implizieren Schulden nach allgemeinem Verständnis eine Verpflichtung zur Tilgung. Prinzipiell könnte eine politische Machtverschiebung Voraussetzungen schaffen, den öffentlichen Schuldenberg abzutragen und die in Umlauf gebrachte Geldmenge zu reduzieren. Bis dahin dürfte jedoch eine Dimension erreicht sein, die einen Währungsschnitt inklusive Enteignung der Geldelite unvermeidbar macht, auch ohne die hier vorgestellte Option.