Schulden zur Eindämmung des Neoliberalismus

Seite 4: Geldanhäufung im Anlagesektor

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Wenn fortlaufend neues Geld in Umlauf gebracht wird, stellt sich die Frage, was damit letztlich geschieht. Indem die Regierungen Ausgaben tätigen und die Privathaushalte konsumieren, gehen Geldbeträge jeweils in andere Hände über. Über eine Vielzahl von Transaktionen gelangt das Gros der geschaffenen Liquidität schließlich in den Besitz von Kapitalanlegern. Finanzielle Zugeständnisse an Investoren und Großverdiener kommen ihnen auf direkterem Weg zu. Je größer die Einkommensunterschiede in einem Land sind, desto schneller vollzieht sich dieser Prozess. Der Gesamtbetrag des in den Anlagesektor gelangten Geldvolumens lässt sich mithilfe der Summe der Staatsschulden von USA, Euro-Raum und Japan einerseits und den Prozentzahlen der von den Zentralbanken gehaltenen Anteile andererseits errechnen: Er nähert sich aktuell der Zehn-Billionen-Dollar-Grenze. Diese Marke wird um einiges überschritten, wenn die restlichen Staaten hinzugenommen werden. Der Betrag entspricht den Forderungen der Zentralbanken. Nicht berücksichtigt sind Staatsobligationen, die auf dem Kapitalmarkt veräußert wurden.

Da Geld keinen Ertrag bringt, sind Anleger um den Erwerb von Objekten bemüht, die Gewinne in Gestalt von Dividenden, Mieten und Zinsen abwerfen. Nach vollzogenen Handelsakten verbleiben die Geldbeträge jedoch überwiegend in der Anlagesphäre. Während sich auf dem Gütermarkt die Kaufkraft der Konsumentenschaft im Umfang des Geldausgebens vermindert, kommt es auf dem Kapitalmarkt zu keinem vergleichbaren Nachfragesenkungseffekt. Indem sich immer mehr Geld auf der Suche nach Anlageobjekten befindet, während das Angebot begrenzt ist, entsteht unweigerlich ein Anlagenotstand.

Kurse und Werte können in ungeahnte Höhen steigen, falls es nicht gelingt, neue Anlagebereiche zu erschließen. Privatisierungen stellen einen Weg dar, der allerdings weitgehend ausgeschöpft ist. Öffentliches Eigentum etwa an Versorgern und Immobilien ist zum größten Teil verscherbelt worden. Ebenfalls wurde bei der Übernahme gesellschaftlicher Dienstleistungen durch private Anbieter eine Grenze erreicht. Stattdessen werden Forderungen erhoben, Privatisierungen rückgängig zu machen, weil die versprochenen Einsparungen und Qualitätsverbesserungen ausgeblieben sind.

Da eine staatliche Kreditaufnahme die Endnachfrage öffentlicher und privater Haushalte beflügelt, entsteht ein Investitionsbedarf, der durch Geld aus dem Anlagesektor finanziert werden kann. Doch einerseits gelangt hierdurch nur ein Bruchteil des auf dem Kapitalmarkt vagabundierenden Geldvermögens in die Realwirtschaft, andererseits bleibt der Effekt temporär. In dem Ausmaß, wie die Bilanzsummen der Zentralbanken wachsen, wird bald neue Liquidität in die Anlagesphäre gespült, deren Umfang die Investitionsausgaben weit übersteigt.

Eine galoppierende Inflation der Anlagetitel ist unvermeidbar. Weil die Kapitalerträge nur leicht wachsen, sinken sie in Relation zu den steigenden Preisen der Assets. Haben etwa Aktien, Immobilien oder Anleihen einen doppelten Handelswert erklommen, fällt die prozentuale Rendite auf die Hälfte zurück. Trotzdem erweist sich eine Anlage vorteilhafter als Geld, das keinen Ertrag bringt. Erst wenn die Differenz minimal wird, dürfte das Interesse am Erwerb von Anlagetiteln nachlassen.

Da sich die Gewinne zunehmend aus der Wertsteigerung der Assets speisen, werden Spekulanten angezogen, die viel mit geliehenem Geld operieren. Als Folge nehmen Volatilität und Verlustrisiko zu. Sollte es wie während der Subprime-Krise zu einem Crash der Vermögenswerte mit Konsequenzen für die Realwirtschaft kommen, wären Regierungen in der Lage, mittels Zentralbankkrediten in erforderlicher Höhe gegenzusteuern.

Vorteile und Risiken einer Geldschwemme

Steigende Kurse und Werte kommen gleichfalls der Konsumentenseite zugute. Privathaushalte der mittleren und höheren Einkommensschichten können Anlagetitel erwerben und die beim Verkauf erzielten Gewinne für einen höheren Konsum nutzen. Staaten und Kommunen können Haushaltsüberschüsse in öffentliche Fonds übertragen und aus der Wertzunahme partiell ihre Ausgaben finanzieren. In besonderem Umfang würden Bürger profitieren, die in kapitalunterlegte Renten-, Pflege- und Lebensversicherungen eingezahlt haben.

Nachteilig für die Endverbraucher dürfte sich die Preisgestaltung bei Gütern auswirken, die sowohl als Anlageobjekte fungieren als auch die Konsum- und Produktionssphäre betreffen. Hierbei handelt es sich in erster Linie um Rohstoffe und Immobilien. Bei Knappheit ist mit wachsenden Preissprüngen zu rechnen. Da aber höhere Gewinnmargen zu verstärkter Investitionstätigkeit führen, sind Verteuerungen meist nur vorübergehender Natur.

Dennoch kann es zu Massenunruhen kommen, wie es sie vor mehreren Jahren infolge steigender Lebensmittel- und Energiepreise gab. Um Versorgungsengpässe zu vermeiden, sollten Staaten Reserven unterhalten und bei Bedarf aktivieren. Wo sich ein Angebot kaum vermehren lässt wie etwa bei Mietwohnungen in Stadtzentren, sollten Regierungen mittels gesetzlicher Bestimmungen intervenieren, anstatt die Preisbildung dem Markt zu überlassen. Der größere politische Handlungsspielraum würde die Chancen verbessern, Kapitalinteressen zu trotzen.

Während sich Einkommensveränderungen der Normalhaushalte auf Konsumvolumen und Sparquote auswirken, gibt es bei Vertretern der wohlhabenden Oberschicht keine vergleichbaren Effekte. Oberhalb einer bestimmten Einkommensschwelle hat die Höhe der Geldeinkünfte keinerlei Einfluss darauf, wie viel ein Haushalt konsumiert. Wachsende Vermögen sind in diesem Fall nicht Resultat gezielten Sparens, sondern ein zwangsläufiges Produkt des begrenzten Konsums, mag dieser auch gigantisch sein. Sollte die Geldanhäufung überhaupt einem Zweck dienen, dann einer guten Platzierung in der Forbes-Liste und einer Untermauerung der Zugehörigkeit zur Elite.

Neben begüterten Privathaushalten verfügen manche Staaten über riesige Vermögenspolster, die durch Exportüberschüsse insbesondere aus dem Erdölhandel akkumuliert wurden. Diese werden zuweilen abgeschmolzen, etwa bei Preiseinbrüchen oder zur Finanzierung von Prestigevorhaben wie den Aufbau einer eigenen Airline oder die Ausrichtung großer Events. Bedeutende Summen verschlingen ebenso das Militär und das Sponsoring sportlicher, kultureller und religiöser Aktivitäten. Ein Teil der Einkommen reicher Staaten und Privatpersonen fließt ferner über öffentliche Zuwendungen, Stiftungen und Einzelspenden an bedürftige Länder, Kommunen und Personen. Behalten diese Transfers dasselbe prozentuale Niveau, dann können die Beträge eine ansehnliche Größe erlangen.

Trotz verschwenderischem Geldumgangs vermögender Haushalte verbleibt ein beträchtlicher Teil der jährlich geschaffenen Liquidität in der Anlagesphäre. Ein Nettoabfluss lässt sich auch für die nächste Zukunft ausschließen. Die verbreitete Annahme, eine Hyperinflation auf den Kapitalmärkten könne auf die Realwirtschaft überschwappen, erscheint daher unbegründet. Wenn akute Verteuerungen auftreten, dann betreffen sie meist knapp verfügbare Güter und sind durch Produktionssteigerungen oder mittels staatlicher Eingriffe abwendbar.

Dagegen beruhen dauerhafte preistreibende Effekte zu einem wesentlichen Teil auf Angebotskontrollen, Wettbewerbsabsprachen und Marktaufteilungen, hinter denen global agierende Oligopole stehen. Zwar geben Regierungen vor, gegen Monopolisierungstendenzen energisch einzuschreiten. In der Realität handeln sie jedoch oft gegenteilig, besonders wenn nationale Flaggschiffe betroffen sind. Der zugrundeliegende Beweggrund, die hohe Abhängigkeit von deren wirtschaftlichem Erfolg auf globalem Parkett, dürfte im Fall einer ausreichenden finanziellen Ausstattung der öffentlichen Haushalte an Gewicht verlieren.