Schuldenbremse: Wird die Aussetzung juristisch wasserdicht?

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Verkündet ist sie für dieses Jahr schon – für 2024 wird die Aussetzung der Schuldenbremse diskutiert. Doch sie steht und fällt mit der Begründung.

Die Schuldenbremse ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 in aller Munde. Der Zweite Senat des höchsten deutschen Gerichts hat nicht nur die Übertragung einer Kreditermächtigung zur Bewältigung der Corona-Krise auf den Klimafonds für verfassungswidrig erklärt, sondern sich auch erstmals mit der Schuldenbremse und den Vorgaben der Artikel 109 und 115 des Grundgesetzes näher befasst. Das Ergebnis ist folgenreich.

Aktuell entspinnt sich eine Debatte vor allem darüber, inwiefern man die Schuldenbremse erneut aussetzen kann. Die Ampel-Regierung hat dies für das Jahr 2023 eigentlich schon beschlossen. Unlängst sind jedoch Forderungen laut geworden, eine Aussetzung auch für kommende Jahre, insbesondere 2024, ins Auge zu fassen.

Da stellen sich vor allem zwei Fragen: Geht das rechtlich? Und wenn ja: Welche Rolle spielt dabei der Klimaschutz?

Nicht ohne Grund sind bisher andere Begründungen im Gespräch: SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nennt hier die Folgen des Ukraine-Kriegs.

Wann kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden?

Der Bundestag kann Ausnahmen beschließen und damit die Schuldenbremse aussetzen. Eine Ausnahme von den Vorgaben der Schuldenbremse ist nach Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes möglich.

Allerdings nur, wenn es sich um eine Naturkatastrophe oder – wie von der Ampel-Regierung für das Jahr 2023 angenommen – um eine außergewöhnliche Notsituation handelt, "die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt".

Daran gemessen muss die Regierung zweischrittig vorgehen, um eine Ausnahme zu beschließen, wie der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam zutreffend ausführt:

"In einem ersten Schritt muss die Politik also nun festlegen und vor allem begründen: Was genau ist die ‚außergewöhnliche Notsituation‘ für den aktuellen Beschluss?

In einem zweiten Schritt muss man begründen, warum die kreditfinanzierten Maßnahmen in einem Zusammenhang mit der ‚außergewöhnlichen Notsituation‘ stehen."

Dazu muss man wissen: Der Begriff "außergewöhnliche Notsituation" ist unbestimmt. Die Verfassung gibt nicht vor, was im Einzelnen als "außergewöhnlich" und damit verbunden als "Notsituation" gilt. Dies ist vielmehr durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs zu ermitteln. Und hierzu macht das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil nun wichtige Vorgaben.

Zum einen führt das Gericht (Rn. 104f) aus, dass der Begriff der außergewöhnlichen Notsituation "im Kontext des Staatsschuldenrechts haushaltsrechtsspezifisch zu interpretieren" sei.

Die haushaltswirtschaftliche Relevanz unterstellt ist nach dem Willen des Verfassungsgerichts hierunter insbesondere "ein Schadensereignis von großem Ausmaß" zu verstehen, "das – wie ein schweres Flugzeug- oder Eisenbahnunglück, ein Stromausfall mit Auswirkungen auf lebenswichtige Bereiche der Daseinsvorsorge oder ein Unfall in einem Kernkraftwerk – wegen seiner Bedeutung in besonderer Weise die Öffentlichkeit berührt und auf menschliches Fehlverhalten oder technische Unzulänglichkeiten zurückgeht".

Zum anderen führen die Karlsruher Richter (Rn. 106) aus, dass von einer solchen Notsituation "auch außergewöhnliche Störungen der Wirtschafts- und Finanzlage" erfasst sein können.

Für die als weiteren Ausnahmefall geltende Naturkatastrophe gibt das Verfassungsgericht wiederum Folgendes im Urteil (Rn. 103) vor:

"Der Begriff der 'Naturkatastrophe' bezeichnet dabei unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden, wie etwa Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre oder Massenerkrankungen."

Mit diesen Vorgaben aus Karlsruhe im Gepäck kann man sich der zweiten Frage widmen.

Ist die Klimakrise eine Notsituation?

Zwar liegt es nahe, eine außergewöhnliche Notsituation mit Blick auf die Klimakrise anzunehmen. Nicht nur für das Jahr 2023. Auch und gerade für die kommenden Jahre steht eine Verschärfung der Klimakrise und damit eine Zunahme von Naturkatastrophen ernsthaft zu befürchten, wenn nicht weitreichende Schutzmaßnahmen ergriffen werden.

Dieser Auslegung macht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts jedoch einen Strich durch die Rechnung.

Denn anhand der zuvor dargestellten Erwägungen zeigt sich, dass das Gericht nur dann notbedingte Ausnahmen zulässt, wenn es sich um einmalige, punktuell auftretende Krisenlagen ("ein Schadensereignis von großem Ausmaß" – "wie ein schweres Flugzeug- oder Eisenbahnunglück") handelt, auf die der Staat kurzfristig reagieren muss.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Die langfristige Bekämpfung der Klimakrise mit Zielen für die Zukunft dürfte nicht erfasst sein.

Ähnlich sehen das auch Lukas Märtin und Carl Mühlbach, die auf dem Verfassungsblog zu folgender Einschätzung kommen:

"Mit Blick auf die Konstruktion der Notlage fällt auf, dass Kreditaufnahmen immer nur re-aktiv möglich sind. Das Kind muss also schon in den Brunnen gefallen sein, bevor der Gesetzgeber mit Hilfe von Kreditaufnahmen tätig werden darf. Ein aktives und präventives Vorgehen gegen vorhersehbare Krisen ist ohne Kredite zu tätigen."

Dringender Handlungsbedarf

Am Ende muss man ein ernüchterndes Fazit ziehen: Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form wird man wohl nicht wegen der Klimakrise aussetzen können. Denn nach den verfassungsgerichtlichen Vorgaben dürfte es sich bei der Klimakrise weder um eine außergewöhnliche Notsituation noch um eine Naturkatastrophe im Sinne des Artikels 115 Absatz 2 Satz 6 Grundgesetz handeln.

Das bedeutet aber: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Eine Lösung wäre, die Schuldenbremse zu reformieren und an die Ziele des Klimaschutzes anzupassen, wie das Bundesverfassungsgericht sie mit dem nach wie vor gültigen Klima-Beschluss vom 24. März 2021 festgelegt hat. Dazu gehört vor allem, dass Klimaneutralität hergestellt wird.