Schuldenbremse: Wem die Aussetzung nicht genügt und warum
Selbst manche Unionspolitiker fordern eine Reform. Der Parteinachwuchs kritisiert das. Spricht der JU-Chef damit für eine Generation oder für eine Klasse?
Seit der Ankündigung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die sogenannte Schuldenbremse wegen einer außergewöhnlichen Notlage auszusetzen, werden die Stimmen für eine Abschaffung oder grundlegende Reform dieses Instruments lauter.
Für eine vollständige Abschaffung setzte sich bisher vor allem Linkspartei ein – aber selbst in den Unionsparteien, deren Bundestagsabgeordnete gegen eine Umgehung der Schuldenbremse geklagt und damit die mutmaßliche Notlage herbeigeführt hatten, gibt es Stimmen, die das finanzpolitische Korsett als zu eng empfinden.
So stellt unter anderem Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die 2009 eingeführte Schuldenbremse infrage und weist darauf hin, dass sie mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag wieder abgeschafft oder zumindest grundlegend reformiert werden kann.
"Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Schuldenbremse an sich, sondern schlicht die Verfassung verteidigt. Die Ausgestaltung der Schuldenbremse in der Verfassung lässt sich ändern; und damit auch die Grundlage für künftige Rechtsprechung", erklärte Wegner am Donnerstagabend.
Zumindest plädiert er für eine Unterscheidung zwischen Krediten für Zukunftsinvestitionen und solchen für laufende Ausgaben: "Jeder, der ein Haus baut, jeder Unternehmer, der beispielsweise in neue Maschinen investiert, weiß: Natürlich sind Kredite für langlebige Investitionen sinnvoll."
JU-Chef keilt gegen "Boomer-Generation"
Kritisiert wird Wegner dafür vom Chef der Parteinachwuchsorganisation Junge Union, Johannes Winkel, der dabei auch gleich im Namen einer ganzen Generation spricht: "Die Boomer-Generation muss verstehen: Das Prinzip Gießkanne ist vorbei", sagte er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Wegner, der 1972 geboren wurde, zählt streng genommen schon nicht mehr zu den "Boomern"; von Winkel, der 1991 das Licht der Welt erblickte, trennen ihn 19 Jahre.
Während der JU-Chef diesen Altersunterschied in die Waagschale wirft, um die Schuldenbremse zu verteidigen, hält die Nachwuchsorganisation der Kanzlerpartei SPD dagegen: Für Juso-Chef Philipp Türmer ist es "der größte Bullshit", die Schuldenbremse mit den Interessen der jungen Generation zu begründen.
"Nichts verhindert mehr Investitionen in die Zukunftsfähigkeit und Transformation unserer Gesellschaft", befand er am Donnerstag. "Die Schuldenbremse ist aktuell die größte Gefahr für meine Generation."
Dass nicht nur Staatsschulden, sondern auch große Vermögen vererbt werden, die besteuert werden könnten, wird bei den Jusos, aber traditionell nicht bei der JU in Betracht gezogen.
Die Aussetzung der Schuldenbremse für dieses Jahr sei das Mindeste, dürfe aber nicht als großer Erfolg verkauft werden, so Türmer. Spannend sei, "was wir 2024 machen".
Den Klägern war die Tragweite nicht klar
CDU-Chef Friedrich Merz, dessen Fraktion mit ihrer Klage den Stein ins Rollen gebracht hatte, war bisher strikt gegen eine grundlegende Reform: "Ich sehe im Augenblick nicht, dass wir an die Schuldenbremse heran müssen", sagte er vor wenigen Tagen in der ARD-Talkshow "Maischberger".
Allerdings gab auch Merz zu, dass ihn die Tragweite des Karlsruher Haushaltsurteils überrascht habe. Betrifft es doch laut Begründung nicht nur den Klima- und Transformationsfonds (KTF), der demnach nicht unverbrauchten Geldern aus dem Corona-Sonderfonds aufgefüllt werden durfte, sondern auch andere "überjährige" Fonds.
Die "schwarz-grüne" Landesregierung in Schleswig-Holstein hat deshalb am Donnerstag bereits eine Haushaltsnotlage für dieses und das kommende Jahr festgestellt, denn sie hatte zuletzt auch auf Mittel aus dem Ukraine-Notkredit zurückgegriffen, der für mehrere Haushaltsjahre beschlossen worden war. Das gilt nun laut Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts als rechtswidrig.
Der Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr 2021 ist allerdings weiterhin gültig – die Bundesregierung muss also zumindest ein Bemühen zur Einhaltung der Klimaschutzziele erkennen lassen und kann ihn nicht völlig ignorieren, wenn sie sich keinen offenen Verfassungsbruch vorwerfen lassen will. Nur gibt es jetzt für diese Bemühungen eine Finanzierungslücke im Umfang von rund 60 Milliarden Euro.
Nun muss zwar nicht jede Art von Klimaschutz teuer sein – die kostengünstigen oder sogar Geld sparenden Möglichkeiten sind aber vor allem bei einem Koalitionspartner besonders unbeliebt.
Der Vorschlag, auf klimaschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg zu verzichten, steht zwar schon längere Zeit im Raum, kam aber bei der FDP bisher nicht gut an. Lindner hat sich bisher jede Kritik am Dienstwagenprivileg verbeten und hält sogar den Begriff für "linkes Framing".