Schuldspruch nach Berliner Tiergartenmord: Justiz und Geopolitik
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Der Prozess gegen den Russen Krasikow ist wie erwartet ausgegangen. Die Aufarbeitung des Morddeliktes war von Beginn an stark politisiert, auch vor Gericht
Das Urteil im Namen des Volkes lautet: lebenslängliche Haft. Der Angeklagte Vadim Krasikow ist ein Mörder. Heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen habe er, so entschied heute der Staatsschutzsenat am Berliner Landgericht, den arglosen Tornike K. alias Zelimkhan Changoshwili im kleinen Berliner Tiergarten ums Leben gebracht. Die Bundesanwaltschaft sprach anfangs einer Hinrichtung im Auftrag staatlicher Stellen "der russischen Zentralregierung".
Die Verteidigung ging demgegenüber von Totschlag aus und bestritt damit die "Arglosigkeit" des Toten. Begründet wurde dies mit dessen Vergangenheit und auch mit einem dubiosen anstehenden Treffen mit der Frau des früheren georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili.
Sie hätte dem Opfer in dessen deutschem Asylverfahren am Tag der Tat helfen wollen. Um einen einfachen grundsoliden Asylsuchenden mit etwas Honighandel dürfte es sich bei so viel Aufmerksamkeit also kaum gehandelt haben.
Arglos dürfte das Opfer, auf das schon früher in Georgien ein Anschlag verübt worden war, tatsächlich kaum gewesen sein. Das Opfer hatte unübersehbar weiter Kontakt zu tschetschenischen Kreisen, denen man, so Frau Saakaschwili, "doch helfen müsse".
Zwischen Bluttat und Slapstick
Zwei Jahre zog sich der Prozess um die Erschießung im Berliner Tiergarten an einem warmen Augusttag des Jahres 2019 hin. Nach den starken Worten zum Auftakt war zuletzt beim Plädoyer der Karlsruher Behörde nur noch von "Regierungsstellen" statt der "Zentralregierung" die Rede.
Dies dürfte auch mit den diplomatischen Folgen der Behauptung und deren Unbeweisbarkeit im Prozess zu tun haben. Vergleichbar starke Worte, bis hin zum "Staatsterrorismus", blieben dann noch medialen Berichten, etwa der ARD-Tagesschau vorbehalten.
Während des Prozesses fiel dieser Begriff nicht. Vermutlich sollte mit seiner Verwendung vor allem der mediale Druck auf die Bundesregierung erhöht werden, auch wegen dieses Vorgangs einmal mehr Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Staatsterrorismus ist ein Begriff, der eine der letzten Stufen vor einem Krieg bezeichnet.
Kommen dem die Vorgänge im Kleinen Tiergarten zu Berlin nahe? Wohl kaum. Prozessbeobachter erlebten im altehrwürdigen Berliner "Kriminalgericht" vor der Staatsschutzkammer die eigentümliche Mischung des Dramas einer blutigen Untat und eine aufgepäppelte Agentenstory mit gelegentlichen Slapstick-Einlagen.
Fast belustigt präsentierte eine Richterin der Kammer die geschmacklos zusammengestellten Kleidungstücke des Angeklagten Krasikov alias Sokolov, die er vor und nach der Begehung der Tat getragen haben soll.
Dem stets sachlich und souverän verhandelnden Vorsitzenden Olaf Arnoldi rang dieser Auftritt die Bemerkung ab, "was man als Richter doch so alles können müsse".
Gerade solche Szenen trüben das Bild des Angeklagten vom Profikiller, auch wenn die Tat als solche wohl hinreichend und mit kriminalistischer Akribie aufgeklärt worden ist. Die Verteidigung des Angeklagten konnte nicht belegen, dass trotz eines entsprechenden Passes ein Mensch des Namens Sokolov, geboren in Irkutsk, in Russland real existiert.
Viel Mühe, das Gegenteil zu untermauern, machte sich dagegen die investigative Organisation Bellingcat, deren geheimnisvoll als "Zeuge G. auftretender Vertreter Christo Grozew allein drei Tage in Berlin befragt wurde.
G. ist stets bestens informiert zur Stelle, wenn es gegen Russland und sonstige Bösewichte geht. So schon im Fall Skripal in Großbritannien, beim syrischen Giftgas oder dem Fall Nawalny.
Er schilderte beredt, wie er mit weiteren Akteuren wie The Insider und auch mit Bestechung von Beamten die Person Krasikov durchleuchtet haben will.
Lückenlos kennt er sich in Funkzellen aus, in denen sich der jetzt Verurteilte bevorzugt vor Gebäuden des Geheimdienstes FSB tummelte. Einblick hätte er in staatliche Steuer- und Rentenakten, bei Passregistern, Führerscheinstellen und Flugdaten quer durch Europa.
Einleuchtender erscheinen hingegen banale Ermittlungen des Berliner Landeskriminalamts, die aus DNA-Spuren, Fingerabdrücken und simplen Tattoo-Vergleichen anhand beschlagnahmter Familienfotos dem Beschuldigten Krasikov nachwiesen, ebendieser und wohl nicht irgendein Sokolov zu sein.