Schusswaffen erhöhen die Todesrate bei Selbstmordversuchen
Die US-Regierung will wegen der Massaker und Morde schärfere Waffengesetze durchsetzen, aber die Verfügbarkeit von Schusswaffen spielt auch bei Suiziden eine wichtige Rolle
In den USA versucht US-Präsident Obama nach dem Schulmassaker von Newtown schärfere Waffengesetze durchzusetzen. Begründet wird dies vor allem damit, den Schutz der Kinder zu verbessern und die Gewalt mit Schusswaffen zu reduzieren. Bislang aber ist noch kaum die Rede davon, dass Schusswaffen nicht nur gegen andere Menschen eingesetzt werden, sondern vor allem gegen sich selbst, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Sind Schusswaffen allgegenwärtig, so sind sie ein probates Mittel für den Suizid.
Schaut man auf die offiziellen Zahlen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC), dann waren 2010 von den 38.364 Selbstmorden die Hälfte, nämlich 19.323 mit Schusswaffen ausgeführt worden. Das entspricht 6,3 Todesfällen pro 100.000 Einwohnern. Mit 11.078 Menschen starben durch Mord oder Angriffe mit Schusswaffen deutlich weniger (3,6 pro 100.000). Dabei sind Schusswaffen für den größten Teil der insgesamt 16.259 Mord- und Totschlagsopfer verantwortlich. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Selbstmordrate insgesamt ähnlich hoch wie in den USA, Schusswaffen verwendeten aber 2006 nur 0,9 Prozent, darunter nur sehr wenige Frauen. Die beliebteste Methode ist hier Erhängen.
Wie viele Verkehrsunfälle auf Selbstmordversuche zurückzuführen sind, ist nicht bekannt. Letztlich sind viele der Amokläufer, die Massaker veranstalten, auch als Selbstmörder zu verstehen. Sie wollen nicht still und einsam sterben, sondern aus ihrem Tod ein Fanal machen, um Aufmerksamkeit zu finden und zumindest als tote Täter Beachtung durch die Zahl der Menschen zu finden, die sie mit in den Tod rissen (Selbstmord durch Massaker).
Daraus könnte man ableiten, dass die Menschen halt die Methoden verwenden, die verfügbar sind. Wenn Schusswaffen nicht leicht greifbar sind, dann erhängen sich die Lebensmüden eben, nehmen Tabletten, springen irgendwo hinunter oder stürzen sich vor einen Zug. Das leuchtet auf den ersten Blick ein, ergibt jedoch ein schiefes Bild, da die Dunkelziffer der gescheiterten Selbstmordversuche groß sein dürfte. Schätzungen gehen davon aus, dass es zehnmal mehr Selbstmordversuche als erfolgreiche Suizide gibt. Gescheiterte Selbstmorde hängen aber nicht nur damit zusammen, dass die Menschen eigentlich nicht sterben wollen, wie gemeinhin angenommen wird, sondern eben auch mit den Mitteln und Methoden.
Nach einer im Annual Review of Public Health erschienenen Studie des Harvard Injury Control Research Center an der Harvard School of Public Health erhöht die Verfügbarkeit von Schusswaffen deutlich die Fatalität von Selbstmordversuchen. Auch aus früheren Studien geht das mit Schusswaffen erhöhte Risiko hervor - natürlich nicht nur bei Selbstmordversuchen, sondern auch bei unbeabsichtigten Tötungen (Schusswaffen sind gefährlich).
Bei einem Vergleich zwischen US-Bundesstaaten mit geringer Waffendichte mit solchen, in denen es viele Waffen gibt, zeigte sich für die Jahre 2000-2002, dass es in letzteren mit 14.800 mehr Selbstmorde gab als in den Bundesstaaten mit geringer Waffendichte, wo sich insgesamt 8.000 Menschen das Leben nahmen, während die Zahl der Selbstmorde mit anderen Mitteln etwa gleich hoch ist. In den Bundesstaaten, in denen durchschnittlich 47 Prozente aller Haushalte Schusswaffen haben, wurden mehr als 9.700 Selbstmorde mit Schusswaffen ausgeführt, in den Bundesstaaten, in denen es nur in 15 Prozent der Haushalte Schusswaffen gibt, waren es 2.600.
85 Prozent der Selbstmordversuche mit Schusswaffen enden tödlich
Schusswaffen sind auch bei Selbstmorden tödlicher als andere Methoden. Einmal abgeschossen, geht es schnell und irreversibel in den Tod. Etwa 85 Prozent aller Selbstmordversuche mit Schusswaffen (2001) führen zum Tod. Andere Methoden wie das Aufschlitzen der Pulsadern, das Einatmen von Autoabgasen oder das Nehmen von Medikamenten brauchen ihre Zeit, weswegen Selbstmordversuche auch wieder abgebrochen werden. Zudem sind sie oft zum Scheitern verurteilt. Auch wenn sich Menschen erhängen, können sie oft noch den Versuch beenden, weil sie es nicht "richtig" machen. Allerdings ist hier die Fatalität mit 69 Prozent auch noch sehr hoch. Pulsadern aufschneiden oder Medikamente nehmen, letzteres mit 221.005 Versuchen die beliebteste Selbstmordmethode, führt nur in 1-2 Prozent aller Versuche zum Tod. Der Versuch, durch Springen aus der Höhe sich zu töten, erreicht dies nur 31 Prozent der Versuche. Während 52 Prozent der Suizide mit Schusswaffen geschehen, wurden Schusswaffen nur bei einem Prozent der nicht tödlich ausgegangen Selbstmordversuche verwendet.
Wie die New York Times schreibt, ist die Verbindung von Schusswaffen mit tödlichen Selbstmordversuchen vielleicht doch nicht so eindeutig, wie die Zahlen dies suggerieren. Es könnte auch sein, dass die Besitzer von Schusswaffen, wie Kriminologieprofessor Gary Kleck von der Florida State University meint, eher selbstmordgefährdet sind, weil sie die Welt als gefährlichen oder schlechten Ort sehen oder sich selbst die Schuld zuweisen, wenn etwas falsch läuft. Aber das scheint etwas an den Haaren herbeigezogen zu sein, zumal es keineswegs die Besitzer der Schusswaffen sind, die Selbstmord begehen, sondern beispielsweise deren Kinder. Auch in Newton besaß die Mutter des Amokläufers ein Waffenarsenal, das der Sohn nutzen konnte, um seine Mutter zu töten, in der Schule ein Massaker auszuüben und sich dann selbst mit einer Waffe umzubringen.
In den USA spielt aber auch der Militärdienst eine erhebliche Rolle. Er schult die Menschen im Waffengebrauch, lässt sie aber nach dem Dienst im Stich, zumindest scheinen viele Veteranen mit dem zivilen Leben nicht zurechtzukommen. Ein Fünftel aller Selbstmorde werden in den USA von Veteranen begangen, in der Regel mit Schusswaffen. Nach Angaben des Department of Veterans Affairs sollen sich täglich 18 Veteranen umbringen, im Monat begehen durchschnittlich 950 Veteranen einen Selbstmordversuch. Nach einer Studie lag die Selbstmordrate bei Veteranen zwischen 2000 und 2007 bei 34.3 bis 39.8 pro 100.000, also weit über der Rate in der Gesamtbevölkerung (Nicht der Krieg, sondern der Militärdienst erhöht die Selbstmordrate).