Schutz gegen Piraterie am Horn von Afrika

Reeder wollen bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord

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Nach der Piratenangriff auf den Öltanker "Jubba XX" des arabischen Schiffseigners Jubba General Trading auf seinem Weg nach Berbera vor Somalia am Samstag treffen sich am Mittwoch Reedereivertreter und Gewerkschafter mit dem Koordinator für die maritime Wirtschaft Hans-Joachim Otto. Sie fordern einen besseren Schutz für die Schiffe vor Somalia. Ralf Nagel, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Reeder (VDR) in Hamburg, spricht sich für bewaffnete Spezialeinheiten an Bord zum Schutz der Handelsschiffe aus.

Piratenvorfälle 2011 am Horn von Afrika, versuchte Angriffe (gelb), ausgeführte Angriffe (rot), verdächtige Schiffe (violett). Bild: ICC/Google

"Die Piraterie ist bei uns Dauerthema", erklärt ein Sprecher vom Verband Deutscher Reeder (VDR) in Hamburg. Obgleich sich die meisten Schiffe vor der Durchfahrt des Gefahrengebietes im Golf von Aden an die Sicherheitsmaßnahmen halten, sind sie dennoch vor einem Piratenangriff nicht geschützt.

Usus ist es, dass sich Kapitäne vor der Einfahrt in die Hochrisiko-Zone vor der somalischen Küste vier bis fünf Tage vorher per Email oder Fax bei der MSCHOA (Maritime Security Center – Horn of Africa) in Northwood Großbritannien anmelden. Von dort aus wird die Schiffspassage am Horn von Afrika stündlich überwacht.

Seit 2009 gibt es den International Recommanded Transit Corridor, zwei Fahrrinnen, die sich vor der Küste Somalias 500 Seemeilen in die Länge und 5 Seemeilen in die Breite ausdehnen. In den Fahrkorridoren im Golf von Aden patrouillieren Kriegsschiffe und Flugzeuge der EU-Mission Atalanta sowie internationale Kriegsschiffe Chinas, Russlands, Japans und Indiens. Zu diesem Zweck lief am Montag die deutsche Fregatte "Bayern" aus dem Marinestützpunkt Wilhelmshaven aus, um ab dem 13. August den EU-geführten Anti-Piraterie-Verband "Atalanta" für vier Monate zu leiten.

An Bord sollen bewaffnete Spezialeinheiten

"Wir halten uns immer an die Sicherheitsmaßnahmen im Gefahrengebiet. Doch unsere Schiffe sind ständig durch die Piraten gefährdet", so der VDR. Dieser vertritt die größten Schiffseigner für Containerschiffe in Deutschland, die die Route nach Asien durch den Golf von Aden ständig nutzen.

Leichte Beute für die Piraten sind vor allem langsame Schiffe, Tanker und Projekt-Schiffe mit Schwergut. "Wir sichern die Mannschaft durch Stacheldraht, einen Schutzraum im Inneren des Schiffsbauch und durch Fahrmanöver", erklärt Ralf Nagel, Geschäftsführer des VDR, am Montag in der Tagesschau. Doch mit den eigenen Schutzmaßnahmen fühlen sich die Hamburger Reeder nur "teilgeschützt" und fordern deshalb von der Bundesregierung weitere Maßnahmen.

Nachdem im ersten Halbjahr die Piratenangriffe auf 266 Attacken angestiegen sind, soll die Bundesregierung nun schnellstmöglich prüfen, ob und wie rechtlicher Handlungsbedarf besteht. In dem für Mittwoch anberaumten Spitzengespräch mit den Regierungsvertretern in Berlin wird die Möglichkeit erörtert, private Sicherheitsunternehmen an Bord zu nehmen. Wie die THB, die Deutsche Schifffahrts-Zeitung in Hamburg, am Dienstag berichtet, ist es Ziel, die privaten Sicherheitskräfte so auszubilden, dass sie Piratenattacken über Ausbildung und Bewaffnung abwehren. Doch stelle diese Forderung ein echtes Problem für die Reedereien dar, da es dafür bisher keine Zertifizierung gibt.

Zurzeit helfen sich die Schiffseigener zudem mit hohen Versicherungssummen, mit denen Lösegeldforderungen und andere Risiken versichert und abgedeckt werden. Augenblicklich befinden sich 600 bis 700 Seeleute in der Gewalt der Piraten. So wurden 2011 51 Millionen Euro Lösegeld an die Piraten bezahlt. "Es wird immer schwieriger, überhaupt noch Seeleute für die Strecke zu finden", so ein VDR-Sprecher.

Hamburger Piratenprozess fordert hochrangige Politiker als Zeugen

Eigentlich sollte der Hamburger Piratenprozess bereits eingestellt werden (Mutmaßliche Piraten aus Somalia vor Gericht in Hamburg). Denn entgegen dem Völkerrecht wurden die angeklagten somalischen Piraten nach dem Überfall im April letzten Jahres auf das Containerschiff "Taipan" der Hamburger Reederei Komrowski von der niederländischen Marine nicht innerhalb von 48 Stunden einem Ermittlungsrichter vorgeführt. Dies war die Kritik des Anwalts Oliver Wallasch.

Damit die mutmaßlichen Piraten trotzdem in Deutschland angeklagt werden können, gab es eine Absprache zwischen niederländischen und deutschen Behörden. Sollte nun die Kammer das Verfahren gegen die zehn mutmaßlichen Seeräuber nicht einstellen, sollen hochrangige Zeugen wie Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und die Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberg (FDP) im Hamburger Gerichtssaal aussagen. Aufgrund der augenblicklichen Dürre- und Hungerkatastrophe in Somalia befürchtet das Gericht keine Fluchtgefahr der Angeklagten.

Die internationale Gemeinschaft zeige im Kampf gegen die Piraterie wenig Fortschritte. Denn der Hauptimpuls müsste "von Land aus im Rahmen der internationalen Mandate der UN erfolgen", sagt Ralf Nagel vom VDR. Die Piraten begrenzen sich nicht mehr auf den Golf von Aden, sondern greifen mittlerweile Schiffe im gesamten indischen Ozean an. Dabei wird die Auseinandersetzung immer gewaltsamer.

Obgleich die Piraterie in den Gewässern vor der somalischen Küste zwischen 2007 und 2011 leicht rückläufig ist, blüht das Geschäft auf. Dies ist die Einschätzung der afrikanischen Expertin Kidist Mulugeta von der UNECA (United Nations Economic Commission Africa) bei einem Gastvortrag im German Institute of Global and Area Studies in Hamburg.

Karte: state.gov

Piraten am Horn von Afrika

Seit Beginn der neunziger Jahre bedrohen Piraten am Horn von Afrika die internationalen Schifffahrtsrouten und Nahrungsmittellieferungen für Somalia, deren Bevölkerung derzeit unter der schlimmsten Dürrekatastrophe seit 60 Jahren leidet. Die Piraten gruppieren sich in Kleingruppen von zehn bis 15 Männern im Alter von 16 bis 40 Jahren. Ihre Strategie: Sie setzen in wendigen, bewaffneten Schiffen die Schiffsriesen mit Maschinengewehren und Panzerfäusten unter Beschuss und zielen auf Mannschaft und Kapitänsbrücke. Meist brauchen sie nicht länger als 15 Minuten, um ein Schiff zu kapern. Mit Enterhaken besetzen sie dann das Schiff und fordern Lösegeld. "An Bord nehmen die Piraten alles mit, was sie finden, Benzin, Nahrungsmittel, Geld oder sie nehmen Geiseln”, so Mulugeta.

Wenn sich die Mannschaft beim Kapern des Schiffes nicht rechtzeitig in Schutzräume im Inneren des Schiffes zurückziehen konnte, stehen sie unter dem Kommando der Piraten. Diese entführen Schiff mit Mannschaft und Kapitän kurzerhand in die den Piraten bekannten Häfen. Dort sind die Seeleute häufig bis zu einem Jahr in Gefangenschaft. Meist werden gekaperte Schiffe wieder als Mutterschiffe für die Piraterie eingesetzt. Die Marine kennt zwar die Orte, die die Piraten aufsuchen. Jedoch ist ein Angriff auf ein Schiff mit Geiseln höchst gefährlich und kommt deshalb so gut wie nie vor, so der Verbandssprecher des VDR.

"Die hochprofessionelle wirtschaftliche Organisation der Piraterie gleicht immer mehr der Mafia, so dass ein konsequentes Durchgreifen notwendig erscheint", sagt Ralf Nagel vom VDR der Tagesschau. Zu den Hintermännern der Piraten, die meist kleine Fische, sprich ehemalige Fischer, Farmer, Bürgerkriegskämpfer oder Technik-Experten sind, gehören einflussreiche Warlords. Immer mehr junge Männer von der somalischen autonomen Region Puntland im nordöstlichen Somalia finden Gefallen an der Piraterie, weil so der Traum vom luxuriösen Leben schnell wahr werden könnte. Denn pro Einsatz bekommen sie einen Sold von sechs- bis zehntausend Dollar.

Viele somalische Einwohner betrachten die Piraten sogar als Helden. Denn als Wurzel der Piraterie steht der illegale Fischfang meist ausländischer Thunfischflotten in den fischreichen Gewässern Somalias. So fuhren die verarmten Fischer anfangs aufs Meer hinaus, um ihre Fischgründe gegen Eindringlinge zu schützen. Die Piraterie als Rechtfertigung der eingebüßten Lebensgrundlage. Ein anderer Grund ist die Verseuchung der Gewässer infolge illegaler Giftmüllverklappung internationaler Schiffe auf hoher See. 2002 wurden Tausende toter Fische an die somalische Küste geschwemmt. Seit 1991 prangert zumindest das UN-Umweltprogramm UNEP die Verklappung von Giftmüll vor Somalias Küste an.

Somalia: Land ohne Staat

Die Regierungen in Somalia, Puntland und Somaliland können kaum etwas zur Kontrolle und Bekämpfung der Piraterie beitragen. Da die Unabhängigkeit des Somaliland von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurde, die Staatsbildung somit auch nicht rechtmäßig ist, fließen keine Entwicklungshilfegelder in das durch Dürre und Bürgerkrieg geschwächte Land. Eine Marine zur Kontrolle illegaler Fischerei und Piraterie ist für die Regierung Somaliland unerschwinglich, deren Staatshaushalt jährlich auf knapp 35 Millionen Euro geschätzt wird.

Auch das Staatsbudget der am 26. Juni 2010 neu gewählten Regierung von Staatschef Silanyo von der Kulmiye-Partei steht in keinem Verhältnis zu den Einnahmen der Piraten, auf deren Konto jährlich rund 287 Millionen Euro fließen. Allein 2010 wurden laut ICC International Maritime Bureau rund 220 Schiffe in diesem Seegebiet angegriffen. Jährlich passieren 25.000 Schiffe den Golf von Aden. An Bord der Schiffe ist wertvolle Fracht, die 95 Prozent des EU-weiten Handelsvolumens bzw. 20 Prozent des weltweiten Schiffshandels ausmacht.