Schutzhaft in Pflegeheimen
Die "Neue Normalität"? Angefragte Institutionen schweigen. Aber es gäbe einen radikalen Ausweg!
Alle Bundesländer in Deutschland haben unterschiedlich scharfe Einschränkungen für Bewohner und deren Angehörigen von Pflegeheimen angeordnet. Wie auch die anderen Einschränkungen von Grundrechten werden ähnliche Maßnahmen in Pflegeheimen auch in anderen Staaten praktiziert, zum Beispiel in Portugal, wo ich mich derzeit aufhalte
Bevor ich zum Inhalt komme, möchte ich kurz etwas zu meiner Person, meinem Hintergrund, sagen, damit Sie den Text vielleicht besser einordnen können:
Ich bin Sozialpädagoge und Philosoph. Seit ich als Jugendlicher das Drehbuch zum Fernsehfillm Bambule von Ulrike Meinhof gelesen habe -- der Film wurde damals zwar gedreht, dann aber nicht ausgestrahlt -,- beschäftigt mich die Machtausübung und Möglichkeiten des Widerstands gegen solche Machtausübungen, in den so genannten totalen Institutionen.
Auch ein Pflegeheim ist eine solche totale Institution. Darunter verstehen wir Einrichtungen, in denen Menschen untergebracht sind und die das gesamte Leben der Insassen bestimmen. Ich arbeitete in einer Justizvollzugsanstalt, Kinderheimen, leitete und war NRW-weit Abteilungsleiter für Wohnheime geistig behinderter Erwachsener. Später führte ich ein privates Pflegeheim, war da auch Sprecher für die privaten Pflegeheime in der kommunalen Pflegekonferenz. Ich war Dozent an Altenpflegeschulen, Autor und "Pflegeexperte" beim Fachverlag "Vincentz". Schließlich zeigte ich als Unternehmensberater Pflegeheimen Freiräume auf, wie sie trotz Einführung der Pflegeversicherung gute kundenorientierte Arbeit leisten könnten.
In allen meinen Arbeitsfeldern versuchte ich stets, oft mit Erfolg, die Betroffenen, das sind die Heimbewohner, deren Angehörigen, aber auch die Träger und Mitarbeiter, zu ermutigen und unterstützen, sich gegen die alltäglichen vom Staat, wenn nicht legitimierten, dann doch immer inspirierten Eingriffe in ihre Handlungsmacht, also ihre Würde, zur Wehr zu setzen; oder positiv formuliert: einen eigenen Gewinn aus den Angeboten zu erzielen.
Ich bin kein Mediziner. Und möchte mich nicht in die Reihen der "Hobby-Virologen" einordnen. Allerdings habe ich während meines Sozialarbeits-Studiums durchaus mehr als nur kleine Einblicke in das Arbeitsfeld der Epidemiologie erhalten, da ich auch bei einer Sozialmedizinerin meine Diplomarbeit geschrieben habe.
Ist besonderer Schutz für die Alten und Vorerkrankten gegenwärtig notwendig?
Wenn es Einigkeit über die gesamte Bandbreite der Virologen und Epidemiologen gibt, dann ist es dies: dass durch die aktuelle Mutation des Coronavirus Alte und schwer vorerkrankte Menschen besonders bedroht sind. Und auch hier sind sich noch alle Experten einig: Schutz für die Risikogruppe kann einzig und allein durch Herdenimmunität hergestellt werden.
Die Uneinigkeit startet jetzt: Während die verbreitete, also herrschende, Meinung die Auffassung vertritt, diese Herdenimmunität müsse aus ethischen Gründen durch Impfmaßnahmen hergestellt werden, vertreten die Dissidenten (zumindest in Deutschland) unter den Wissenschaftlern die Auffassung, diese solle möglichst schnell auf natürlichem Weg, nämlich über natürliche Infektion der Mehrheit der Bevölkerung hergestellt werden, die nicht zur Corona-Risiko-Gruppe gerechnet werden. Das sind alle, die gesund und unter 75 Jahr alt sind und für die daher keine Einschränkungen innerhalb ihrer peer group erfolgen sollten.
Und nun kommen wir zu einer tragischen Konsequenz aus dieser Erkenntnis, die wiederum alle Wissenschaftler eint: Besonders die Älteren müssten als Risikogruppe in hohem Maße vor dem Virus geschützt werden.
Mit diesem Anspruch aber, wörtlich genommen, werden die Alten zum passiven Objekt staatlicher Biopolitik, da ihnen die eigene Handlungskompetenz entzogen wird. Sie werden pauschal entmündigt. Die Alternative: Aufklärung der Risikogruppe und Unterstützung statt Entmündigung wird bisher kaum kommuniziert.
Unternehmerisches Handeln vs. politischer Herrschaft
Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Pflegeheim leiten. Stellen Sie sich weiter vor, die Situation wäre dramatischer, als sie bisher verlaufen ist.
Als Risikogruppe wollen wir modellhaft ausschließlich die alten Menschen sehen, die in Pflegeheimen leben. Ich unterstelle also (hier liegt die bewusste Übertreibung), dass auch niemand in Deutschland an oder mit dem Virus stirbt, außer Pflegeheimbewohner.
In Deutschland leben ca. 730.000 Menschen in Pflegeheimen. Mit Stand vom 17. April 2020 sind bisher in Deutschland nach der Statistik der John Hopkins Universität knapp 5.000 Menschen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus verstorben.
Ihr Pflegeheim hätte 40 Plätze. Da in den letzten 3 Monaten statistisch nur ein alter Mensch auf 146 Pflegeplätzen in Zusammenhang mit Corona verstorben wäre, hätte Ihr Heim weit mehr als dreimal so groß sein müssen, um auch nur einen einzigen Toten gehabt zu haben. Also selbst unterstellt, dass wirklich alle im Zusammenhang mit Corona verstorbenen Menschen in Pflegeheimen verstorben wären, was ja ganz und gar nicht der Fall ist, wäre die Panik ausgeblieben, wären Sie nicht durch das Testen und die Medien alarmiert worden.
Aber tatsächlich ist nun in Ihrem Heim ein angeblicher Coronaverdachtsfall aufgetreten: Einer ihrer Bewohner hatte trockenen Husten. Ihre Mitarbeiter haben, auch um ihre eigene Gesundheit besorgt, auf sofortige stationäre Einweisung gedrängt, obwohl der Bewohner sich gegen eine Verlegung ins Krankenhaus gesträubt hat. Sie selbst vermuten zwar, dass es sich hier um eine gewöhnliche kleine Erkältung handelt, aber ihre Pflegekräfte sind verunsichert. Tatsächlich haben Sie auch weder Schutzkleidung oder Atemschutzmasken in ausreichender Zahl vorhanden.
Zunächst versuchen Sie, bei Ihrem Sanitärfachhandel das fehlende Material zu bestellen. Sie überlegen auch vorsorglich, welche Maßnahmen Sie im Fall einer Infektion ergreifen könnten. Vielleicht sollten Sie als Aufnahmevoraussetzung einführen, dass die Bewohner negativ auf Corona getestet sein müssten? Sie denken auch darüber nach, welche Angebote Sie machen können, um die Sicherheit Ihrer Bewohner zu erhöhen, falls es tatsächlich zu Infektionen in Ihrem Heim kommt. Vielleicht wäre es eine gute Idee, vermehrt Desinfektionsmittel im Eingang und in den Wohnbereichen für die Besucher bereitzustellen? Oder Sie bieten den Bewohnern an, ihr Essen im eigenen Zimmer einzunehmen, so dass sie nicht längere Zeit mit anderen Bewohnern in einem Raum sitzen?
Eine interne Fortbildung durch einen entsprechenden Facharzt, an der auch interessierte Kunden/Angehörige teilnehmen könnten, wäre vielleicht auch eine kurzfristig umsetzbare Idee. Sie könnten vielleicht die Außentüre schließen, damit Besucher klingeln müssen und Sie kontrollieren können, dass nicht zu viele Menschen auf einmal Ihr Haus betreten. Was für ein Glück, dass Sie im Moment zwei freie Plätze haben, so können Sie diese Räume schnell umwidmen, etwa Besuchszimmer einrichten, mit einem Tisch und einer Glasscheibe darauf als Trennwand, wo sich Angehörige mit solchen Bewohnern treffen können, die besonderen Schutz vorziehen? Sie könnten auch zum Selbstkostenpreis oder sogar kostenlos Schutzmasken für die Besucher anbieten, damit die Besuche für ihre Bewohner durch ihre Lieben jetzt nicht weniger werden oder gar ausbleiben. Sie könnten noch einen Aushang machen, dass die Bewohner sich mit Ihrem Besuch vorzugsweise im großen Garten treffen können, an der frischen Luft, wo die Infektionsgefahr bekanntlich viel geringer ist?
Kurz: Sie denken kundenorientiert, suchen kundenorientierte Lösungen.
Während Sie jedenfalls gerade so richtig in Fahrt kommen, die guten Ideen sprudeln, Sie recht zuversichtlich sind, dass Sie die Lage schon irgendwie meistern werden, erhalten Sie zwei Eil-Briefe vom Staat:
Der erste Brief trägt den Titel:
Sie lesen den Brief aufmerksam durch und bekommen einen Schreck! Wie sollen Sie derartige Forderungen umsetzen? Als ob es so einfach wäre, mal eben " unverzüglich Isolations- und Quarantänebereiche in einer für die Bewohnerzahl angemessenen Größe vorzubereiten". Sie haben Jahre daran gearbeitet, Ihren Pflegekräften beizubringen, die Zimmer als Zuhause, als Wohnung ihrer Bewohner zu sehen. Sie haben damit geworben, dass Ihre Kunden diese "Wohnungen" mit wenigstens ein paar vertrauten Gegenständen einzurichten können. Wie soll das gehen, plötzlich drei verschiedene getrennte Unterbringungs-Bereiche einzurichten ohne ganz massiv in das Wohnrecht ihrer Kunden einzudringen. Ist das überhaupt rechtlich möglich?
Glücklicherweise finden Sie im zweiten Brief des Ministeriums auch Auslegungshinweise. Darin, so hoffen Sie, finden Sie Hilfen, wie Sie die geforderten Maßnahmen in Ihrem Haus umsetzen können.
Doch weit gefehlt, hier wird nur noch schärfer formuliert, welche Ergebnisse von Ihnen erwartet werden. Dass es die Verfasser in diesen Auslegungshinweisen im Zusammenhang mit dieser lagerartigen Vorgehensweise auch noch wagen, von unterschiedlichen Wohn-Bereichen zu sprechen, erleben Sie als nur noch zynisch. "Die Wohnung ist unverletzlich", heißt es doch im Grundgesetz. Und Sie haben jedenfalls ihren Pflegekräften immer wieder eingeschärft, dass sie auch die Bewohnerzimmer in diesem Sinn als vom Grundrecht geschützte Wohnung ihrer Kunden ansehen müssen, z.B. diese nicht einfach betreten dürfen ohne das "Herein" nach dem Anklopfen.
Genauso unmöglich erscheint es Ihnen, nun plötzlich drei verschiedene Teams, samt Nachtwachen, einzurichten. Woher sollen Sie die Mitarbeiter dazu nehmen? Die Hinweise, wo Sie diese rekrutieren können, sollen ja wohl ein Witz sein? Als ob Sie nicht eh schon alles versuchen würden, auch nur die bisher gesetzlich vorgeschriebene Anzahl von Pflegekräften zu gewinnen.
Und nun sollen Sie Ihre schon an der Grenze des Zumutbaren arbeitenden Mitarbeiter auch noch verpflichten, bis zu 12 Stunden zu arbeiten? Und danach nur 9 Stunden Ruhepause zu haben? Notfalls, so wird ja auch schon diskutiert, sollen Sie ihr Team gar mit Zwangsarbeitern aufstocken?
Während Sie noch verzweifelt nach Auswegen suchen aus diesem Horror, den Sie umsetzen sollen, erfahren Sie aus den Medien, dass in NRW nun ein totales Besuchsverbot für Pflegeheime eingeführt worden ist.
Ausgehverbot, Besuchsverbot: Ihr ganzer kundenorientierter Ansatz bricht zusammen. Sie sollen Ihr Haus ganz offensichtlich zu einem Gefängnis umbauen. Und ihre Mitarbeiterinnen sollen neben der Pflege auch noch Wärterinnen sein, Hilfspolizei. Sie werden blass. Und: Ihnen fällt zum ersten Mal in ihrem Berufsleben nichts mehr ein.