Schwarze Kultur: "Wir warten nicht mehr auf die Apokalypse, sie war schon da!"

Natasha A. Kelly

Wie geht es nach dem Eurozentrismus weiter? Afrofuturismus 2.0 und die Frage: Wie eine post-apokalyptische Zukunft aussehen kann? Welches Wissen wird Standard? Interview mit Natasha A. Kelly

Seit Jahren engagiert sich die Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly für die Etablierung der Black Studies, die Untersuchungen zu Schwarzer Geschichte in Europa zum Inhalt haben.

Sie hat sich zudem ausgiebig mit dem Phänomen Afrofuturismus auseinandergesetzt, das weiter in die Vergangenheit als die popkulturelle Strömung zurück reicht.

Eine Schwarze Zukunft denken

Afrofuturismus denkt eine Schwarze Zukunft, vor allem aus dem Wissen der bereits erfolgten Apokalypse. Welche Rolle spielt Schwarze Kultur in den heutigen Krisenzeiten und wie verändert die Ausgangslage, dass die Apokalypse bereits geschehen ist, das kulturelle und politische Potenzial des Afrofuturismus?

Frau Kelly, Sie beschäftigen sich viel mit Afrofuturimus. Worum geht es da?

Natasha A. Kelly: Es geht darum, mittels Technologie, Design, also Kunst im Allgemeinen, sich Schwarze Kultur in der Gegenwart und Zukunft vorzustellen. Es ist tatsächlich schwer, alles zusammenzufassen, aber es ist eine Bewegung, die es erlaubt, sich eine Zukunft jenseits der bestehenden eurozentrischen Machtstrukturen vorzustellen. Das als ganz kurze, erste Antwort.

Afrofuturismus hängt auch mit Science-Fiction-Literatur zusammen. Wenn man sich mit Afrofuturismus beschäftigt, ist immer auch die Frage, was als Standard gesetzt wird. In der Science Fiction wird stark der Fokus auf europäische und US-amerikanische Werte gelenkt.

Natasha A. Kelly: Ja, ich würde sagen, dass Science Fiction etwas ziemlich Eurozentrisches ist. Es handelt sich um ein eurozentrisches Genre, in dem es darum geht, dass sie auf die Apokalypse warten oder dass Aliens auf der Erde landen und die Menschheit aufgefressen wird. Ich überspitze das jetzt mal ein bisschen. Afrofuturismus geht aber auf die Black Speculative Art zurück.

Genau da würde ich auch einen Unterschied zwischen Science Fiction und Black Speculative Art machen. Black Speculative Art geht davon aus, dass die Apokalypse schon passiert ist: Versklavung, Kolonialisierung oder was wir als Maafa beschreiben. Das ist der Begriff für den Schwarzen Holocaust. Da das schon passiert ist, bewegen wir uns in einer post-apokalyptischen Zeit.

Das Genre Afrofuturismus gibt es, obwohl der Begriff erst in den Neunzigerjahren aufgekommen ist, schon sehr lange. Die ersten sogenannten Slave Narratives sind auch schon afrofuturistische Werke. Man denke an den zeitgenössischen Autor Ishmael Reed. Er ist einer der bekanntesten Slave Narratives-Autoren.

Wenn wir uns historische Autoren wie W.E.B. Du Bois anschauen, waren sie Wegbereiter für den Afrofuturismus, wo es wirklich darum ging, sich eine Zukunft ohne Rassismus vorzustellen.

Sie stellten sich insgesamt die Frage, ob es Schwarze Menschen in der Zukunft gibt. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen Science Fiction und Black Speculative Art, dass wir nicht darauf warten, dass Aliens landen. Die Schwarzen Menschen sind die Aliens, im Sinne der Alienation von Franz Fanon.

"Wir stellen uns eine post-apokalyptische Zukunft vor"

Wie schaut das konkret aus?

Natasha A. Kelly: Wir stellen uns eine post-apokalyptische Zukunft vor. Das kann durchaus utopisch sein, also durchweg positiv oder es kann auch dystopisch sein. Es gibt zum Beispiel die Afropessimist:innen, die sich eine düstere Welt vorstellen, wo es Schwarze Menschen tatsächlich nicht mehr gibt.

Es gibt auch Ansätze, bei denen "Race" als Technologie an sich verstanden wird. Unsere Identität, Race als soziale Kategorie, wäre ohne Technologie gar nicht möglich. Das ist der Ausgang vieler afrofuturistischen Werke.

Wenn wir uns einen deutschen oder europäischen Kontext anschauen, wie Schädel vermessen oder welche biologischen Messinstrumente überhaupt erst erfunden wurden, um biologische Rassen zu konstituieren, dann war das ganz eng mit Technologie verbunden.

Deshalb ist Technologie aus dem Afrofuturismus überhaupt nicht wegzudenken, sondern ist ein grundlegender Bestandteil dessen.

Verstehe ich das richtig, dass Technologien im Afrofuturismus eine eher kritische Beleuchtung erfahren?

Natasha A. Kelly: Technologie spielt aus vielen Gründen eine zentrale Rolle im Afrofuturismus. Wie eben erwähnt, wäre der wissenschaftliche Rassismus ohne Technologie nie möglich gewesen.

Darüber hinaus spiegelt sich der zeitgenössische Afrofuturismus in Gestaltung und Design wider, die ohne Technologie nicht umsetzbar sind. Digitalität spielt also eine tragende Rolle im Afrofuturismus.

Auch mit Blick auf die Musik, die sich digital spielen und speichern lässt und ein großes Datenarchiv hervorgebracht hat, aus der viele Afrofuturist:innen Material schöpfen.

Der afrozentrische Kanon

Science-Fiction-Literatur behandelt besonders im anglo-amerikanischen Raum zunehmend marginalisierte Gruppen. Sie erwähnten W.E.B. Du Bois, dessen Story "The Comet" Sie auch in Ihrem Band namens "Afrofuturismus 2.0" veröffentlicht haben. Wofür steht dieses 2.0?

Natasha A. Kelly: Afrofuturismus gab es immer schon. Solange Schwarze Menschen schreiben, haben sie eine Zukunft imaginiert. Damals war das Erlangen der Freiheit eine Zukunftsvision von versklavten Menschen. Deswegen sind die Slave Narratives auch Teil der afrofuturistischen Welt.

Der Begriff "Afrofuturismus‘" wurde aber erst 1992 von Mark Dery geprägt. Dery ist ein weißer US-amerikanischer Kulturkritiker, der diesen Begriff in einem Interview mit Samuel Delany, Greg Tate und anderen eingebracht hat, mit der Absicht, ihre Werke in einem eurozentrischen Kanon einbetten zu können.

Die 2.0-Bewegung geht aber nun weiter und will diesen Begriff reclaimen. Es geht nicht mehr darum, den Afrofuturismus in einen eurozentrischen Kanon einzubetten, sondern ihn im afrozentrischen Kanon zu lassen. Der afrozentrische Kanon wird auch breiter als nur Literatur und Musik gefasst.

Diese Genres waren damals sehr prägnant und wurden durch Sun Ra und die Jazz-Bewegung, bis hin zu Literatur von einer Octavia E. Butler und eines Samuel R. Delanys geprägt. Die 2.0-Bewegung geht aber weiter: Es umfasst auch afrofuturistische Philosophie, was ganz eng mit dem Panafrikanismus und der Dekolonialisierung von Afrika verknüpft ist.

Visionen der Freiheit und der Zukunft waren schon immer Teil von politischen Bewegungen. Es geht aber auch um Social-Justice-Movements, wie zum Beispiel Black Lives Matter. Dies ist auch eine afrofuturistische Bewegung.

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