Schwarze Kultur: "Wir warten nicht mehr auf die Apokalypse, sie war schon da!"

Seite 3: Schwarze europäische Geschichte: "Wir kehren den Blick um"

Wo konkret finden wir diese Leerstellen?

Natasha A. Kelly: Es gibt diese Leerstellen vor allem in der Wissenschaft. Mit der Gründung des Black European Academic Network (Bean) 2010 wollten wir aufzeigen, dass es Schwarze Geschichte, Schwarze Kunst und Schwarze Kultur schon immer im europäischen Raum gegeben hat.

Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter: Ohne all diese Aspekte hätte es Europa in dieser Form gar nicht geben können. Immer dann, wenn sich etwas als Schwarz zeigt, dann wird es weißgewaschen.

Wir sehen es beispielsweise ganz klar bei der Musik: Als Sun Ra ungefähr in den Sechzigern bekannt wurde und seine Musik in den achtziger und Neunzigerjahren nach Deutschland schwappte, da wurde die eigentliche politische Botschaft überhaupt nicht mittransportiert.

Es wurde als coole und funky Musik gesehen und die Wenigsten haben wirklich verstanden, dass es sich um eine Gesellschaftskritik handelt. Wenn Sun Ra sagt, dass wir Schwarze Menschen nur auf dem Saturn leben können, dann deshalb, weil die Erde für uns nicht mehr bewohnbar ist.

Wenn wir uns die Hip-Hop-Bewegung angucken, bemerken wir auch eine seltsame kulturelle Transformation. Als diese nach Deutschland kam, entwickelte sich ein Phänomen wie Deutsch Rap. Da frage ich: Wo ist der Schwarze kulturelle Aspekt geblieben? Das wird komplett politisch entleert.

Techno ist eine Schwarze Bewegung, die im Arbeitermilieu von Detroit entstanden ist. Durch Technomusik wollten sie ihre gesellschaftlichen Nachteile – im Sinne eines Deep Prejudices – zum Ausdruck bringen. Gerade in Berlin zeigen sich die Veränderungen im Techno-Genre; da hast du so eine Veranstaltung wie die Love Parade, die ihrer politischen Kraft komplett entleert wird.

Das kritisieren wir auch in unserem Buch. Wir kehren den Blick um: Ja, wir können uns angucken, was auf gut Deutsch scheiße läuft. Wir können aber auch Schwarze europäische Geschichte anschauen und diese sichtbar machen. Das war eine Verschiebung, die uns wichtig war. Nicht zu sagen: "Alles ist scheiße!", sondern: "Vieles ist scheiße, aber es gibt halt zwischendurch auch Gutes, mit dem wir vor allem unsere Communities empowern können".

Unser nächster Schritt ist, daraus eine Digital Platform zu machen. Wir haben gerade die Förderung erhalten und sind in Europa unterwegs, um die Inhalte zu digitalisieren.

Sie sprachen auch über strukturellen Rassismus im akademischen und schulischen Bereich und wie man gegen ein solches Unbewusstsein angehen kann.

Natasha A. Kelly: Ich finde es wichtig, dass in der Amerikanistik auch Schwarze Literatur gelesen wird, aber das ist eben Schwarze Literatur aus den USA. Das Schwarzsein wird aber in einem deutschen Kontext immer nur im Kontext der USA gelesen. Als wäre das Schwarzsein ein Importprodukt gewesen. Als ob Schwarze Geschichte in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg beginnt. Das kritisiere ich, weil Schwarze deutsche Geschichte sehr viel weiter zurückgeht.

Mein neues Buch, das im August erscheint, heißt "Schwarz. Deutsch. Weiblich". Darin bin ich Schwarzen deutschen Frauen auf die Spur gegangen und verwebe ihre Geschichten mit autobiographischen Erzählungen.

Die älteste Frau, die ich gefunden habe, lebte 1685: Juliana Rosina. Sie lebte am Hof in Wolfenbüttel, am selben Hof wie Anton Wilhelm Amo. Amo dürfte inzwischen mehreren Leuten bekannt sein. Er durfte als Schwarzer Versklavter lesen und schreiben lernen, was allerdings ein Experiment war.

Der Fürst von Wolfenbüttel wollte sehen, ob Schwarze überhaupt lesen und schreiben können. Deswegen wurde er zur Schule zugelassen. Er hat später philosophische Bücher geschrieben und wurde der erste Schwarze Professor an einer deutschen Universität.

Von Juliana Rosina wissen wir gar nicht so viel, weil es bislang keinen Raum für Forschung zu ihr gab. Ich wollte also mit meinem neuen Buch zeigen, dass es auch eine lange Geschichte von Schwarzen Frauen in Deutschland gibt. Anhand verschiedener Biographien, die durchweg seit dem 17. Jahrhundert bis heute rekonstruierbar sind, entsteht eine etwas andere deutsche Erzählung.

Ich möchte damit zeigen, dass die Black Studies und auch der Schwarze Feminismus in einem deutschen Kontext eine Eigenständigkeit haben können. Es geht nicht nur darum, zu erforschen, was in den USA oder in einem anderen Teil der Welt passiert, sondern explizit, wie sich das Schwarzsein in Deutschland ausgeprägt hat.

Wollen Sie das auch in einen institutionellen Rahmen überführen?

Natasha A. Kelly: Ja. Das tue ich bereits. In verschiedenen Kontexten. In Düsseldorf beispielsweise unterhält unser Verein, Black German Arts and Culture e.V., eine Studiobühne. Durch praktische Arbeit und durch Performances wird dort ab Herbst Schwarze Ästhetik im deutschen Kontext überhaupt definiert werden. Es gab bisher nie Räume, nie Ressourcen, nie Einrichtungen, um überhaupt Schwarze Geschichte, Schwarze Ästhetik und Schwarze Kultur in einem deutschen Kontext aufzuspüren. Das wollen wir nun ändern.

Besten Dank für dieses interessante Telefonat.

Natasha A. Kelly: Gerne.

Hinweis: Das Adjektiv "Schwarz" wird großgeschrieben, weil es sich um eine politische Selbstbezeichnung handelt, die rassistische Fremdzuschreibungen ablöst.

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