Schwedens neuer Pessimismus
Regierung erlässt weiterhin Restriktionen zum Schutz gegen Mutante B117. "Schwedischer Sonderweg" ist allerdings noch nicht beendet
Mit ernster Miene wandte sich der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell bei der mittlerweile digital gestalteten Pressekonferenz an die Bevölkerung: "Es gibt ein großes Risiko für eine dritte Welle."
Die jüngsten Zahlen weisen darauf hin, dass die Kurve der Neuinfektionen wieder steigt. Auch kam es zu lokalen Ausbrüchen in der Region Gävleborg, zudem mit der Mutante aus Großbritannien. "In jeder Hinsicht muss der Infektionsanstieg so schnell wie möglich gestoppt werden", mahnte der weiterhin populäre Tegnell. Das Wichtigste sei nach wie vor, auf Abstand zu achten.
Warnungen vor der "Dritten Welle"
Die Warnungen vor der "Dritten Welle" beherrschen gerade den schwedischen Corona-Diskurs, wobei es keine aktuellen Zahlen zur Mutation aus Großbritannien gibt. Angesichts der erstmals in Großbritannien entdeckten Variante B117 hat das Land, das für seinen milden Kurs bekannt ist, einige Restriktionen eingeführt. So müssen Ausländer bei der Einreise seit kurzem einen aktuellen negativen Test mit sich führen. Die Einreise aus Großbritannien und Dänemark verbot man aus Furcht vor der Mutante schon kurz vor Weihnachten.
Das schwedische Militär soll nun helfen, die Grenze zu Norwegen zu überwachen, um eine Ausbreitung der Virusvariante zu verhindern. Noch Ende des vergangenen Jahres war es umgekehrt - die Regierung in Oslo schickte den norwegischen Grenzbeamten Soldaten zu Hilfe, um einreisenden Schweden einen negativen Test abzuverlangen, da dort die Infektionszahlen höher und die Pandemie-Maßnahmen laxer sind.
Restriktionen und ein anderer Ton
Zu den jüngsten Restriktionen in Schweden gehört die Minderung von Passagierzahlen bei Fernbus- und Zugfahrten. Möglich ist dies nun, weil das schwedische Parlament das sogenannte "Pandemiegesetz" Anfang Januar abgesegnet hat. Damit hat die Regierung die Handhabe, Geschäfte, Sportanlagen und Gaststätten zu schließen sowie den öffentlichen Verkehr und Inlandsflüge stillzulegen. Allerdings gibt es keine Handhabe für Ausgangssperren wie in Deutschland.
Tegnell glaubt, dass die Impfungen erst im Juni einen Effekt haben werden. So wies er am Sonntag daraufhin, dass die Restriktionen über das Frühjahr beibehalten werden - der 64-jährige Mediziner ist wieder präsenter in der schwedischen Öffentlichkeit, doch hat sich der Optimismus des Staatsepidemiologen gewandelt.
International bekannt wurde er durch das Vermeiden eines Lockdowns im Frühjahr, bei dem Restaurants, Geschäfte, die meisten Schulen und Grenzen offenblieben. Damit sollte die zweite Welle im Herbst vermieden werden, die nach Tegnells Theorie nur diese Länder heimsuchen würde, die im Frühjahr abriegelten. Tegnell und die anderen Mitarbeiter des Gesundheitsamtes setzten auf Herdenimmunität, mal mehr, mal weniger offen. Für Stockholm wurde sie für Sommer 2020 vorhergesagt.
Doch als im November die Neuinfektionen stiegen und die Nachbarländer Finnland, Norwegen und Dänemark, vor allem was die verhältnismäßige Anzahl an Covid-19 Toten betrifft, weit besser dastanden, agierte der sozialdemokratische Regierungschef Stefan Löfven unabhängiger von Tegnell.
Derzeit sind in dem Land mit zehn Millionen Einwohnern knapp 600 000 Personen infiziert, es starben über 12 000 Personen an oder mit Covid-19.
Nun tritt Tegnell anders auf. Schweden ist in seiner Rhetorik nun nicht mehr das überlegene Land, keine Insel der Vernunft mehr in einem Meer von globalem Chaos. Tegnells Ton ist alarmistischer geworden.
Der Kurs bleibt: Empfehlungen statt Verbote
Dennoch ist der schwedische Sonderweg noch nicht wirklich abgesagt. Weiterhin setzt die Regierung im Verbund mit dem Gesundheitsamt auf Empfehlungen und nicht auf Verbote. So kann eine Schulleitung in Schweden selbst entscheiden, ob sie schließt und den Unterricht digital zu Hause fortsetzen lässt. Kürzlich wurde nochmals das Gebot zu Hause zu arbeiten sowie das Verbot des Alkoholausschanks nach 20 Uhr bekräftigt.
Erst seit Anfang Januar gibt es die Empfehlung, eine Maske in öffentlichen Verkehrsmittel zu tragen - allerdings nur zu Stoßzeiten morgens und abends. Doch sowohl der Chef der Gesundheitsbehörde Johan Carlsson wie Anders Tegnell wurden schon erwischt, wie sie ohne Maske zu besagten Uhrzeiten im Zug unterwegs waren.
Die Auseinandersetzung über den schwedischen Weg ist noch nicht vorbei. Aufregung gibt es zum Beispiel über "Media Watch Dog of Sweden", eine geschlossene Facebookgruppe von Wissenschaftlern, Ärzten und weiteren Personen um den in Stockholm wohnenden irischen PR-Experten Keith Beg, die Schweden für "gehirngewaschen" hält und über gute Kontakte zu internationalen Medien und EU-Politikern verfügt und ihre Kritik gut platziert.
Die Gruppe sei geschlossen, da sich die Teilnehmer vor Angriffen fürchten würden. Unbeliebt machen sich die Gegner des schwedischen Sonderwegs auch dadurch, dass sie die Verantwortlichen der schwedischen Krisenstrategie vor Gericht verklagen wollen.
Sveriges Radio hat einen Bericht über die Gruppierung gesendet, in dem Kommunikationsexperten behaupten, dass deren Mitglieder Schweden im Ausland schlecht darstellen, ähnlich wie Propaganda in Kriegszeiten. Emma Frans, eine prominent in den Medien vertretene Epidemiologin, wirft der Gruppe vor, dass sie die Demokratie bedrohe, da sie Journalisten und Wissenschaftler "systematisch schikanieren" und einschüchtern würde.
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