Schwitzende Atomkraftwerke

Die Energie- und Klimawochenschau: Die Bundesregierung hat inzwischen ihre Version des entschleunigten Atomausstiegs auf den Weg gebracht

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Die jüngsten Avancen, die Cem Özdemir und anderes grünes Führungspersonal der CDU machen, lassen ein Ja der Ökopartei zu Merkels Ausstieg ohne Umstieg erwarten. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann hängt sich derzeit am weitesten zum Fenster heraus, in dem er seine Partei auffordert, auf das Ausstiegsziel 2017 zu verzichten und den Regierungsentwürfen zuzustimmen. Mal sehen, ob diese auf ihrem Parteitag am 25. Juli sich mal wieder fürs Mitregieren oder doch eher für mehr Druck auf die schwarz-gelbe Koalition entscheiden.

Mehr als einmal war in den letzten Wochen zu lesen, dass Deutschland das erste Land oder zumindest der erste große Industriestaat sei, der sich aus der Atomkraft verabschiedet. Dass beim Nachbarn Österreich ein ungenutztes AKW verstaubt, ist vielen Journalisten unbekannt wie auch die dänische und polnische Abstinenz. Aus dem ehemaligen Atomforschungszentrum in Roskilde bei Kopenhagen ist längst eine Stätte geworden, an der eifrig für erneuerbare Energieträger und Speichertechnologien geforscht wird. Die drei Forschungsreaktoren sind längst abgeschaltet, das dänische Atomprogramm wurde bereits in den 1970ern durch eine starke Gegenbewegung in der Bevölkerung gestoppt.

Auch in Italien wurden die letzten kommerziellen Meiler bereits 1990 abgeschaltet, nach dem sich die Bevölkerung in mehreren Referenden dafür ausgesprochen hatte. Dabei wird es nun auch bleiben, denn über Pfingsten stimmten die Italiener, wie berichtet, gegen den von der Regierung Berlusconi geplanten Bau neuer AKW.

Rechtspopulisten für Atomkraft

Beim Nachbarn Schweiz laufen die AKW noch, aber ob noch neu hinzukommen werden, wie lange Zeit diskutiert, ist sehr fraglich geworden. Regierung und Parlament (Nationalrat) der Eidgenossenschaft haben den Ausstieg aus der Atomenergienutzung beschlossen. Nur die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP, sonst vor allem für ihre rassistischen Kampagnen bekannt, stemmt sich dagegen. Vergeblich. Die Liberalen der FDP enthielten sich und die meisten anderen bürgerlichen Abgeordneten stimmten mit Sozialdemokraten, Grünen und Linken für ein Aus.

Allerdings haben die AKW-Fans noch nicht ganz aufgegeben. Im Ständerat, der zweiten Parlamentskammer, die von Vertretern der Kantone gebildet wird, hoffen sie, die Beschlüsse so modifizieren zu können, dass eine Hintertür für etwaige neue AKW offen gehalten wird. Das geht aus einem Bericht der Aargauer Zeitung hervor.

In Japan, wo die massiven und nicht selten recht militanten gesellschaftlichen Kämpfe der 1950er bis 1970er längst vergessen sind, ist ebenfalls die Debatte um die Atomkraft neu entbrannt. Angesichts der Ausmaße der dortigen Reaktorkatastrophe auch kaum verwunderlich. Am Samstag gab es in zahlreichen Städten zwischen Sapporo im Norden und Okinawa im Süden Demonstrationen gegen die Atomindustrie an denen einige Zehntausend Menschen teilgenommen haben dürften (In Japan wächst die Ablehnung von Atomenergie). Beobachter fanden nicht so sehr die Ausmaße beachtlich, sondern vor allem, dass sich nun tatsächlich Widerstand regt.

Auch Japaner für Ausstieg

Immerhin drei Viertel der japanischen Wähler sprechen sich inzwischen dafür aus, die AKW nach und nach abzuschalten, schreiben die Korrespondenten der Nachrichtenagentur Reuters. Die derzeit stillstehenden Reaktoren sollen nach Ansicht von 35 Prozent auch dann nicht wieder in Betrieb gehen, wenn sie den verschärften Standards entsprechen. Eine knappe Mehrheit von 51 Prozent ist allerdings der Ansicht, dass nichts dagegen spräche. In der Nachbarschaft der entsprechenden Reaktoren ist die Ablehnung jedoch größer. 65 Prozent der Befragten will höhere Strompreise akzeptieren, wenn dadurch erneuerbare Energieträger gefördert werden.

Vor der Dreifach-Katastrophe in Fukushima, die am Samstag drei Monate alt wurde, ohne dass ein Ende in Sicht wäre oder Betreiber Tepco die zusammengeschmolzenen Reste der Brennstäbe auch nur halbwegs unter Kontrolle bekommen hätte, deckten AKW 30 Prozent des japanischen Strombedarfs. Seit dem sind aber neben den drei Havaristen und den unmittelbar benachbarten Reaktoren auch eine ganze Reihe weiterer AKW vom Netz, entweder, weil sie während des Erdbebens ebenfalls beschädigt wurden, oder weil sie in ähnlich tektonisch riskanten Zonen stehen.

Wirtschaftsminister Banri Kaieda lässt sich von der zunehmenden Ablehnung der Risiko-Technology allerdings nicht anfeinden. Atomkraftwerke sollen seiner Ansicht auch langfristig zur Energieversorgung des Landes beitragen. Sein Ministerium warnt davor, dass im nächsten April alle 54 Meiler des Landes stillstehen könnten, wenn sich die lokalen Behörden weiter widerborstig zeigen. Doch das scheint nur ein bisschen Panikmache zu sein, um die AKW als unersetzbar für die Wirtschaft darzustellen. Auch hierzulande bedient sich die Atomlobby gerne ähnlicher Mittel, wie wir zu Pfingsten mal wieder erleben konnten (Die große Pfingst-Panik).

Durstige AKW

Selbst die Atomnation Frankreich, die sich wie keine andere abhängig von ihren AKWs gemacht hat, steht nicht mehr einmütig hinter der Atomlobby. In der Hauptstadt Paris gingen nach einem Bericht des Internet-Portals "Klimaretter" am Samstag an die 5.000 Menschen, unter ihnen viele Japaner, für den Atomausstieg auf die Straße. In zahlreichen anderen französischen Städten sowie in Brüssel habe es ähnliche Aktionen gegeben.

Unbill droht den französischen AKW-Betreibern vor allem von anderer Seite. Seit Monaten regnet es in weiten Teilen Westeuropas zu wenig. In Großbritannien wurden einige östliche Regionen bereits zu Dürregebieten ausgerufen. Selbst die schweren Unwetter, die in den letzten Wochen Teile Frankreichs und Deutschland heimgesucht haben, konnten das Defizit bisher nicht ausgleichen, haben aber reichlich Schäden angerichtet.

Das Ergebnis sind nicht nur schlechte Ernten für viele Landwirte, sondern auch niedrige Wasserstände in den Flüssen. Das könnte sich demnächst zum Problem für Frankreichs Stromversorgung auswachsen, denn 44 von 58 AKW sind für ihre Kühlung auf ausreichendes und nicht zu warmes Flusswasser angewiesen. Wie die Nachrichtenagentur IPS meldet gibt es Hinweise darauf, dass sich dir Regierung darauf vorbereitet, einige Meiler abzuschalten, sollte die Dürre noch lange anhalten. Das Energieministerium hat im Mai bereits eine Art "Überwachungskomitee" eingerichtet. 2003, 2005 und 2006 hatten bereits AKW wegen Hitze und Dürre vorübergehend abgeschaltet werden müssen.

Unbeliebtes Fracking

Man soll es nicht glauben, aber auch die Ölindustrie kann Probleme bekommen, wenn der Regen zu lange auf sich warten lässt. Das zeigt sich derzeit im US-Bundesstaat Texas, der zur Zeit unter der schlimmsten Dürre seit mindestens 116 Jahren leidet, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Besonders dort, wo neue Bohrlöcher gebohrt werden, ist die Lage heikel, denn diese Arbeiten benötigen besonders viel Wasser.

Ebenfalls betroffen ist die Erdgasförderung. Das wird in den USA und auch in Texas aus sogenannten unkonventionellen Lagerstätten gewonnen, in denen das Gas in kleinen Kammern im Sedimentgestein eingeschlossen ist. Erst durch das sogenannte Fracking kann es gewonnen werden. Hierzu wird mit Chemikalien versetztes Wasser unter hohem Druck in die entsprechenden Schichten gedrückt, wodurch zahlreiche Risse (Englisch fractures) entstehen und das Gas entweichen kann.

Diese Methode, für die hierzulande seit einiger Zeit auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verstärkt Werbung gemacht wird, ist höchst umstritten. Zu den möglichen negativen Folgen gehören unter anderem Verunreinigungen des Grundwassers und damit der Trinkwasserreservoirs.

Die niedersächsische Landesregierung hält die Gefahren zwar für gering, aber viele Bürger finden das nicht recht überzeugend. Ende Mai gab es zum Beispiel in Münster eine Demonstration gegen in der dortigen Region geplante Fracking-Vorhaben. Einer der Akteure auf diesem Feld ist übrigens RWE Dea, ein Unternehmen, das in Schleswig-Holstein CO2 im Untergrund verpressen will und zudem eine Tochter des Braunkohle- und Atomkraftwerke betreibenden Konzerns RWE ist.