"Schwule Priesterpaare am Nato-Altar sind auch keine Lösung"
Seite 4: Lackmustest für weltkirchliche Zuverlässigkeit: "Die Waffen nieder!"
- "Schwule Priesterpaare am Nato-Altar sind auch keine Lösung"
- Das neoliberale Paradigma der "Unternehmerkirche"
- Exkurs: Eugen Drewermann und die Abrichtung des Individuums
- Lackmustest für weltkirchliche Zuverlässigkeit: "Die Waffen nieder!"
- Eine zentralistische Weltkirche ist impotent
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Die weltkirchliche Botschaft des Bischofs von Rom zur Corona-Pandemie lautet "Gesundheit statt Waffen":
Wenn wir den Prozess [der gegenwärtigen Krise] als Chance nutzen, können wir uns unter dem Banner der menschlichen Geschwisterlichkeit auf das Morgen vorbereiten, zu dem es keine Alternative gibt, denn ohne eine übergreifende Vision wird es für niemanden eine Zukunft geben. […]
Es ist nicht länger zu ertragen, dass wir weiterhin Waffen herstellen und mit ihnen handeln und dabei riesige Summen an Kapital ausgeben, das dazu verwendet werden sollte, Menschen zu heilen und Leben zu retten.
Papst Franziskus (Dio e il mondo che verrà, 2021)
Das zielt auf mächtige Länder wie Deutschland, das 2016-2020 im Vergleich zu 2011-2015 seine Beteiligung am globalen Waffenhandel um 21 Prozent gesteigert hat und unter den größten Waffenexporteuren Platz vier einnimmt.
Im Zentralkomitee der deutschen Katholiken dominieren Persönlichkeiten aus jenem politischen Parteienspektrum, das ob seiner unverbrüchlichen Treue zur Nato-Doktrin als "regierungstauglich" gilt. Wem will man nun folgen, der römisch-katholischen Militärministerin aus der CDU oder der Weltkirche?
Es ist an der Zeit, dass das Laiengremium endlich Klartext spricht zur Schande der deutschen Todeslieferungen in alle Welt, sich der pax-christi-Forderung nach einem generellen Waffenexportverbot im Grundgesetz anschließt und der Explosion des nationalen Rüstungshaushalts jegliche Assistenz verweigert - zugunsten menschendienlicher Investitionen. Erst dann wissen wir mit Gewissheit, dass es in deutschen Landen nicht um eine neoliberale Wohlfühlkirchenreform geht.
Zu den Friedensschritten der Weltkirche unter Franziskus gehört die nachdrückliche Unterstützung des am 22. Januar 2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen. Die Botschaft des Papstes ist unmissverständlich: Christenmenschen dürfen sich an Entwicklung, Herstellung, Erwerb, Lagerung, Zielort-Transport, Scharfstellung oder gar Zündung einer Atombombe nie und nimmer beteiligen.
Vom deutschen Militärbischof Franz Overbeck (Essen), dessen Bundeswehr-Personal und Bundeswehr-Logistik vom Staat finanziert wird, erwartet der Staatskomplex, dass er im Sinne der Nato-Doktrin die Fortführung der deutschen Atombombenteilhabe stützt. Hier geht es um den Lackmustest schlechthin!
Wird Bischof F. Overbeck, der so beharrlich den homosexuell Liebenden beisteht, sich mit Leidenschaft und ohne Hintertüren auch der Ächtung aller Nuklearwaffen durch die Weltkirche anschließen? Oder wird er, wie es das System von einem Staatsmilitärbischof erwartet, das Bekenntnis wider die gotteslästerliche Bombe vernebeln?
"Katholizität" ist keine Konfessionsbezeichnung
Einen Aufwind erfahren im 3. Jahrtausend "konfessionalistische Katholizismen", die kaum noch etwas mit leibhaftigen sozialen Lebensräumen zu tun haben. Besonders anfällig für diese Spielarten sind gerade nicht jene Katholiken, die noch in den - nunmehr weitgehend aufgelösten - katholischen Milieulandschaften aufgewachsen sind und z.B. schon als Kinder entdecken konnten, dass auch der prachtvollste Hochaltar an der Hinterseite mit schnöden Sperrholzplatten verschalt ist.
Zu den Kennzeichen der neueren Varianten gehören eine Vereinzelung der - vielfach konvertierten bzw. "neu bekehrten" - Frommen und deren Fixierung auf völlig nachgeordnete, ja nebensächliche Gegenstände der Religion. Konfessionalistische Phänomene, die die herrschenden Weltverhältnisse in keiner Weise in Frage stellen, dafür aber Stellwände und Grenzmauern zwischen Menschen errichten, sind passgenau für jenen "Spätkapitalismus", der sie auch hervorgebracht hat.
Die Theologiestudierenden nach dem letzten Konzil (1962-1965) waren gewissermaßen noch "stolz", dass ihre Kirche kein lokaler, selbstgenügsamer Heimatverein ist, sondern vielmehr nichts von alledem geringschätzt, was außerhalb von Kirche und Christentum als "gut und wahr" ansichtig wird:
Gemäß ihrer Aufgabe, Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern, fasst sie [die Kirche] vor allem das ins Auge, was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt.
Erklärung "Nostra Aetate"
Wir halten fest: Es geht hier vor einem halben Jahrhundert nicht um die Fahndung nach Trennendem, sondern um das Verbindende in der Menschenwelt. (Zur "Wirkungsgeschichte" gehören z.B. auch die kirchlichen Beiträge zur Solidarität mit Flüchtenden.) In der katholischen Journalistengeneration der "Generation Benedikt" schreibt man nun gerne Texte über klerikale Kopfbedeckungen und anderen Firlefanz. (Farbigkeit und Folklore als Marktvorteile.) Sogenannte "Alleinstellungsmerkmale" und Identitätsangebote sollen das religiöse Marketing voranbringen.
Fast immer geht es hier - wie bereits vermerkt - um Oberflächliches und Banalitäten. An allen Ecken sehen wir in den einschlägigen Portalen spitze Bischofsmützen. Aber kein Mensch vermag zu erklären, welchen sittlichen Nährwert eine Mitra haben soll und warum sich deren Träger den Kopf nicht lieber frei halten.
Die verschärfte Hardliner-Variante der konfessionalistischen Religion (Fundamentalismus als Marktvorteil) spielt sich vorzugsweise im Internet ab, wo Solisten ein Publikum suchen und sich gegenseitig aufputschen zu mancherlei Wahnsinn. Eine Ästhetik aus Feudalzeiten kann in den Mittelpunkt rücken, so etwa die sechs Meter lange "Cappa Magna" in albernen Kardinals-Prozessionen.
Neuerfindungen aus dem 19. Jahrhundert steigen im rechten, "identitären Katholizismus" gerne zu "ewigen Wahrheiten" auf, die angeblich schon immer und überall Geltung hatten. Es werden hochpolitische Komplexe anvisiert, für deren Propagierung Latein, Messgewand und Weihrauch lediglich Instrumente sind. Dazu zwei Beispiele:
In den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung war es strikt unvereinbar mit dem Christsein, sich in irgendeiner Weise an Todesurteilen und deren Vollstreckung zu beteiligen. Das mit den Herrschenden symbiotisch verbundene Staatskirchentum revidierte dies später, und die den Weisungen Jesu so eindeutig widersprechende Totmachstrafe erhielt sogar ein eigenes Lehrbuchkapitel zugewiesen.
Unter dem gegenwärtigen Bischof von Rom ist die kategorische Ablehnung aller Todesurteile endlich wieder in den Katechismus gelangt. Die rechtskatholischen Propheten in den USA schreien nun: "Das ist ein Abfall vom wahren, unveränderlichen Glaubensgut."
Wenn der Papst von einer "Wirtschaft, die tötet" spricht, steht er in bestem Einklang mit der biblischen und altkirchlichen Überlieferung - aber auch z.B. mit einem Vorgänger wie Paul VI. Doch die kapitalistischen "Katholiban" sehen hier erneut einen Beweis dafür, dass Franziskus Häretiker ist. Sie verfügen über beträchtliche "social media"-Kompetenzen und das Wohlgefallen reicher Gönner. "Katholisch" ist für diese Kreise stets nur, was dem Kapital nützt. Nicht die "Autorität der Leidenden" gilt, sondern der Zynismus von Leuten, die den Abgrund negieren oder verfeierlichen wollen.
Einen Jesus, der die selbst kreierte Religion des schönen Beiwerks stört, muss man exkommunizieren. Die "Konfessionalisten" erklären statt seiner ausgewählte historische Gegebenheiten, die der biblischen Botschaft oft auf krasse Weise widersprechen, zum einzig wahren Kirchentum. All dies ist in Wirklichkeit alles andere als "katholisch".
Das theologische Zentrum der Katholizität lässt sich vielleicht gut mit einigen Ausführungen Meister Eckharts (1260-1328) verdeutlichen. Die innerste "wahre menschliche Geburt" verbindet den Einzelnen mit seiner Mitte und im gleichen Atemzug mit allen anderen, auch mit dem Menschen jenseits der Meere, den er noch nie gesehen hat (sowie mit den Menschen vergangener Zeiten und den Menschen, die nach uns geboren werden). Das "Individuellste" und das Umfassendste, sie bilden keinen Gegensatz mehr.
Katholizität ist also schier unvereinbar mit Abkapselung und Ausschließung: Sie zielt auf den weitesten geistigen, zeitlichen und räumlichen Horizont. Gemäß dem Grundprinzip der "Einheit in Vielheit" (sowie der Gemeinschaft mit den Anderen, die wirklich anders sind und es auch bleiben sollen) zeigt sich Katholizität in einer besonderen Weise des Sehens (auf das Ganze schauen) und der Befähigung zu umfassender Kooperation.
Kurzum: Katholizität ist mitnichten ein Besitzobjekt der Christen des lateinischen Ritus. Katholizität ist keine Konfession, sondern ein Bewusstsein - eine Haltung, Wahrnehmungsform, Energie und Praxis, die Menschen wie Gemeinschaften befähigt, Mauern zu überspringen! Um in dieser Spur noch weiter zu gehen: Ohne "Katholizität" gibt es keine Zukunft für die menschliche Spezies.